Wunder des Dialekts

Betrachtungen eines Zugewanderten

Hugo Gall, Daun

 

1971 kam ich in die Eifel. Seit meiner Jugend hatte ich mich für Dialekte interessiert. Nun war ich neugierig auf das, was hier wohl auf mich zu käme.

Ich hatte mir das Verstehen leichter vorgestellt. Die Leute waren freundlich und sprachen hochdeutsch, sobald sie merkten, daß ich kein Einheimischer bin.

Eines aber konnten sie dabei nicht verhindern, eine Spracheigenart mit ins Hochdeutsche zu übernehmen. Es handelt sich um den Gebrauch des Zeitwortes »holen«. Man verwendet es für »nehmen, bringen« und natürlich »holen«. Ich muß sagen, daß mich das manchmal etwas verdutzt gemacht hat. Als erstes fiel mir auf, daß ein hilfsbereiter Mitmensch mich fragte: »Ich fahre in die Stadt. Soll ich Ihnen »was mitholen?«

Mein Mitarbeiter informierte mich: »X hat heute die Arbeit wieder aufgeholt«. Mein erster Gedanke: Wie muß der gerannt sein!

In einem Geschäft wurde ich gefragt: »Haben Sie abgeholt?« Es dauerte etwas, bis ich verstand, daß nach meiner Gewichtsabnahme gefragt war.

Einmal hörte ich zufällig mit, als man über mich sprach und meinte: »Er holt immer alles zu wörtlich«.

Eine junge Theaterbeflissene erzählte mir: »Gestern, bei der Probe haben wir das Stück zweimal durchgeholt. Es war auch jemand von der Zeitung da, der Fotos aufgeholt hat«.

Von einem, der an Silvester einen guten Vorsatz gefaßt hatte, wurde gesagt: »Er hat sich das ernsthaft vorgeholt«.

Nach einem Verkehrsunfall berichtete ein Be-kannter: »Ich hole einen Rechtsanwalt in Anspruch«.

Einer, der ein gewisses Risiko einging, sagte mir: »Das muß ich dabei wohl in Kauf holen«. Während meiner beglichen Tätigkeit erhielt ich auf meine Frage zur Antwort: »Fräulein A. hat das Telefongespräch angeholt«. Von einem Ehepaar wurde erzählt: »Sie hatten keine eigenen Kinder, deshalb haben sie sich eins angeholt«.

Am krassesten empfand ich den Ausspruch über einen Selbstmörder: »Der hat sich ja damals das Leben geholt«. Hatte er es nicht eigentlich weggeworfen?

Mag es der Aufzählung genug sein. Es liegt mir völlig fern, mit diesen Zeilen die Eifeler etwa »auf den Arm holen« zu wollen. Wenn man beabsichtigt, seinen Lebensabend in der schönen Eifel zu verbringen, darf man auch nicht alles »zu ernst holen«. Stimmts?