Irrfahrt einer Schiffsglocke

Von den Weltmeeren nach Weinfeld

Friedbert Wißkirchen, Daun

 

Mr. Mike Gatty aus Dubbo/Australien schrieb am 16. 2. 1987 an: »The Direktor Wallfahrts-Kapelle (Gefallenenfriedhof) Weinfeld am Totenmaar in der Eitel, Federal Republic of Germany«. In Ermangelung eines Friedhofsdirektors in Weinfeld landete das Schreiben bei der Verbandsgemeindeverwaltung Daun. Mr. Gatty teilte darin mit, daß er in einer deutschen Zeitung gelesen habe, daß in der Weinfelder Kapelle eine Glocke hinge, die aus dem Metall einer Schiffsglocke des früheren Kreuzers »Emden« gegossen worden sein soll. Mr. Gatty, der sich mit der Geschichte aller bisherigen deutschen Kriegsschiffe mit dem Namen »Emden« befaßt, bat darum, ihm eine Fotografie der Glocke zuzusenden.

Der Verfasser hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas davon gehört, daß eine Weinfelder Glokke aus dem Metall einer Schiffsglocke gegossen worden sein sollte. Was aber lag näher, als bei der Glockengießerei Mark in Brockscheid zu recherchieren. Tatsächlich teilte Glockengießermeister Hans-August Mark wenig später mit, daß am 8. 9. 1931 bei einem größeren Glockenguß eine Glocke für Weinfeld mitgegossen worden sei. Für diesen Glockenguß sei vermutlich die ehemalige Schiffsglocke der »Emden« eingeschmolzen worden.

In der Zeitschrift »Die Eifel« vom Oktober 1963 berichtet Klaus Mark: »Im l. Weltkriege, und zwar im Jahre 1917, mußten die beiden vorhandenen alten Glocken (von Weinfeld) in den Krieg ziehen; sie kamen nicht zurück. Der uralte Glockenturm blieb ohne Glocke, bis im Jahre 1931 der bewährte und treue Mitarbeiter der Glockengießerei Brockscheid, Schmiedemeister Paul Rauen (Schalkenmehren), seinem alten Freunde August Mark sein Anliegen vorbrachte, eine Glocke für Weinfeld zu stiften. Diesem Wunsche kam der Glockengießer August Mark gerne nach. Die im Jahre 1931 gegossene Glocke ist entstanden aus dem Metall der Schiffsglocke der ehemaligen »Emden«. Die Glocke wurde der Gießerei Mark aus einer Spende zur Verfügung gestellt für den gemeinsamen Guß von 9 Glocken. Ein ehemaliger Offizier der Emden hatte die kleine Glocke von einem Materialplatz einer Werft an der Nordsee freigemacht. Die »Emden«-Glocke wurde 1931 mit Begründung als die Glocke für die Weinfelder Kirche bezeichnet, obwohl diese Schiffsglocke sinngemäß nur das Metallbad des großen Gießofens ergänzte. Aber es ist Wahrheit dabei, der Zusatz aus ihr vollendete das gemeinsame Werk des großen Glockengusses.« Diese kleine Glocke, von Paul Bauen gestiftet, ist 107 Pfund schwer und auf den Ton »B« gestimmt. Sie trägt die Inschrift: »Maria mit dem Kinde lieb, uns allen Deinen Segen gib.« Wieso hat sie den zweiten Weltkrieg überstanden, wo doch viele andere Glocken den Weg in die Rüstungsfabriken gehen mußten und eingeschmolzen wurden? Eine Erklärung und den Beweis, daß es sich um die eingeschmolzene, ehemalige Schiffsglocke handelt, liefert uns eine Akte im Bistumsarchiv Trier. In einer Stellungnahme der Abteilung Kunstdenkmäler des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 25. 7. 1940 heißt es: »Die Glocke (von Weinfeld - d. Verf.) ist von besonderem Interesse, weil sie aus der zersprungenen Schiffsglocke des Kreuzers »Emden«, der im Weltkrieg sich mit unvergänglichem Ruhm bedeckt hat, gegossen worden ist. Ich halte es für dringend erwünscht, daß Stücke, die wie die Glocke in Schalkenmehren, an hervorragende, mit dem Empfinden des ganzen Volkes verbundene Kriegsschiffe erinnern, erhalten werden.« Um das Andenken an ein sehr populäres Kriegsschiff des l. Weltkriegs nicht zu vernichten, blieb die kleine Glocke von Weinfeld vor dem Einschmelzen verschont.

Der kleine Kreuzer EMDEN kurz nach dem Stapellauf

Foto vom WZ - Bilddienst Wilhelmshaven.

- Kleiner Kreuzer »Emden« -Heldentaten auf allen Weltmeeren

Was war das Besondere an diesem Kriegsschiff?

Der kleine Kreuzer »Emden« lief am 26. 5. 1908 auf der kaiserlichen Werft in Danzig vom Stapel. Das Schiff war 118m lang, 13,5 m breit und hatte 361 Mann Besatzung. Nach erfolgreichen Probefanrten nahm die »Emden« 1909 an Manövern teil und brach im Frühjahr zu Repräsentationszwecken zu einer Südamerika-Reise auf. Nach Einsätzen in deutschen Kolonien unter Niederschlagung eines Aufstandes auf der Insel Ponape der Karolinengruppe übernahm die »Emden« 1911 die Sicherung der Europäer während der chinesischen Revolution; 1913 folgte eine Rundreise durch die deutschen Südsee-Schutzgebiete und weitere Einsätze in chinesischen und japanischen Gewässern. Nach Ausbruch des l. Weltkrieges führte die »Emden« im indischen Ozean Handelskrieg und versenkte eine Reihe von feindlichen Dampfern, legte den Schiffsverkehr im Golf von Bengalen längere Zeit lahm. Im Hafen von Malakka versenkte sie den russischen Kreuzer »Schemtschug« und den französischen Zerstörer »Mousquet«. Am 9. 11. 1914 kam es zu einem Artilleriegefecht mit dem englischen kleinen Kreuzer »Sydney«, der der »Emden« artilleristisch stark überlegen war. Die »Emden« wurde kampfunfähig geschossen und vom damaligen Kommandanten Karl von Müller auf die Klippen vor der Insel Nord-Kelling gesetzt. Der Landungszug des Schiffes unter Kapitänleutnant von Mücke, der sich während des Gefechtes nicht auf dem Schiff, sondern auf der Insel befand, besetzte den im Hafen ankernden 3-Mast-Segelschoner »Ayes-ha«, hißte die deutsche Kriegsflagge und kam nach einigen Irrfahrten Pfingsten 1915 in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul/Türkei, an. Erst im Oktober 1956 wurde das Wrack der »Emden« durch einen Wirbelsturm vollständig zerstört. Die Handelskriegsführung der »Emden« gehörte zu den bedeutendsten der Seekriegsgeschichte. Die Preußische Regierung verfügte, daß die überlebenden, ehemaligen Besatzungsmitglieder der »Emden« und deren direkte Nachkommen auf Antrag den Zusatz »Emden« zu ihrem Familiennamen führen durften.

Glocken der Kapelle Weinteld, recnts die EMDEN-Glocke. hoto Hermann bchmitt, tirockscheid

Hat der Landungszug die Schiffsglocke der »Emden« auf der »Ayesha« mitgeführt? Wie kam sie zu einer Werft in Norddeutschland, wo sie von einem ehemaligen Schiffsoffizier ent-deckt und mit in die Eifel gebracht worden sein soll, wie Klaus Mark berichtete? Könnte es nicht der Lehrer Matthias Etringer (ca. 1926 -1934) in Schalkenmehren gewesen sein? In die Schulchronik Schalkenmehren haben die »Heldentaten« des »Kleinen Kreuzers Emden« Eingang gefunden. Auf drei Seiten werden die Fahrten und Einsätze ausführlich beschrieben. Hätte er die Glocke mit nach Schalkenmehren gebracht, wäre dies wohl auch in der Schulchronik vermerkt worden. Außerdem war Lehrer Etringer kein ehemaliger Marineoffizier. Der Hinweis eines Schalkenmehrener Bürgers, mit der Heimatkunde seines Ortes sehr vertraut, könnte wohl eher zutreffen. Danach sollen der Gewerbeoberlehrer Robert Fernschild und Lehrer Johannes Droste, die auch das Kreuz auf »Senheld« errichteten, die Schiffsglocke in die Eifel geholt haben. Für diese Version sprechen einige Fakten. Johannes Droste war im l. Weltkrieg bereits Fähnrich zur See, also Marineoffizier. Er könnte über persönliche Kontakte zu Marineoffizierskameraden aus dem l. Weltkrieg die Schiffsglocke auf einer Werft in Norddeutschland besorgt haben. Dies würde auch den Angaben Klaus Mark's entsprechen, daß ein ehemaliger Marineoffizier die Glocke der »Emden« mitgebracht habe. Johannes Droste fuhr als Offizier selbst nicht

auf der »Emden«, sondern auf einem anderen Schiff.

In einem Artikel einer norddeutschen Zeitung (ohne Datumsangabe) über den Stapellauf eines Geleitbootes der Bundesmarine mit dem Namen »Emden« wird über die Glocke von Weinfeld fälschlicherweise berichtet: »Emden-Glocke« heiß ich, den gütigen Gott preis' ich. Bet' für der Gefallenen Ruh', ruf ich Euch zu!« So lautet die Umschrift auf einer »Emden-Glok-ke«. Es ist die Glocke der Wallfahrts-Kapelle Weinfeld am Totenmaar in der Eifel. Sie wurde aus dem Metall der 1930 gesprungenen Schiffsglocke des letzten Kreuzers »Emden« gegossen. Die Wallfahrts-Kapelle liegt an einem Gefallenen-Friedhof des letzten Krieges.«

Die Schiffsglocke der »Emden« hat nach vielen Irrfahrten den Weg nach Weinfeld, zu einer Stätte des Gebets gefunden, der ihrer würdig ist. Sie hat wohl manchem Seemann das letzte Geleit auf hoher See gegeben. Heute begleitet die »Emden-Glocke« die Toten von Schalkenmehren auf dem Weg zur letzten Ruhe.

Quellen und Literatur:

Heidebrand, Röhr, Steinmetz - Die deutschen Kriegsschiffe - Herford

Zeitschrift »Die Eifel« -10/1963

Bistumsarchiv Trier - Abt. B IM 10, 11, Nr. 15

Zeitung aus Norddeutschland - Datum und Name unbekannt -

Militärarchiv Freiburg - Offiziers- und Mannschaftslisten der »Emden«

WZ - Bilderdienst, Wilhelmshaven

Zeichnung: Burg Lissingen - J. Schulter