Vor 40 Jahren

Die DM wird geboren

Lebensmittelkarten ade

Peter Jakobs, Simmern

 

Auf schäbigem Papier gedruckt, nur gegen den Nachweis von Arbeit und sonstigem erlaubten Tun zu haben, waren sie für Millionen von Deutschen mehr als ein Jahrzehnt lang beinahe wichtiger als Geld; die Lebensmittelkarten. Es gab sie für »Normalverbraucher«, für »Schwer- und Schwerstarbeiter«, für »Kinder, Säuglinge und Jugendliche« und wer reisen mußte (und noch durfte) bekam Reisemarken. Ob beim Bäcker, Metzger, im Lebensmittel oder Milchgeschäft, im Cafe oder Restaurant; aus den Karten wurden Abschnitte für die gewünschten Waren herausgeschnitten. Auf alte Zeitungen wurden die Marken durch die Händler sorgfältig aufgeklebt, waren die kaum briefmarkengroßen Schnipsel für Kaufleute und Gastwirte dann die Grundlage der Bestellung neuer Waren, scharfe Kontrollen sorgten ständig für das, was man Ordnung nannte.

Man kann die »Kartenzeit« in zwei große Abschnitte einteilen; bis zum Ende des »Dritten Reiches« und die Zeit der »Besatzung«. Die »hungrigste Zeit« war die Zeit nach 1945. Es gab zwar Marken, aber es war kaum Ware da und von den Franzosen war nichts zu erwarten, sie hatten selbst nichts. Die letzten Exemplare der Lebensmittelkarten verschwanden nach der Währungsreform, denn nach dem Juni 1948 bestimmten die Gesetze des Marktes den wirtschaftlichen Ablauf. Schon kurz nach dem Tag der Währungsreform waren die Schaufenster mit Waren gefüllt.

Mit der Einstellung der Bewirtschaftung und der Karten endete auch die Existenz der Ernährungsämter. Statt der Sonderzuteilungen beherrschten nun wieder Schweinshaxe und Bier, Kuchen und Kaffee, Milch und Honig zunehmend das Denken. Es bestand ein großer Nachholbedarf. Das, was später als »Freßwelle« beschrieben wurde, nahm seinen Anfang. Kein Mensch in Deutschland trauerte den Lebensmittelkarten nach. Welches Leid in eine Familie einkehrte, wenn die Mappe mit den Lebensmittelkarten verloren ging, ist für uns heute unvorstellbar. Obwohl die Eifel, also auch der Landkreis Daun, zum »Erzeugergebiet« gehörten, war die Not bei Familien besonders groß, die keine Selbstversorger waren. Weit gefehlt, wer heute glaubt, dem Normalverbraucher wäre es auf dem Lande nach dem Krieg wesentlich besser gegangen als in der Stadt. Wenn er nicht in der Lage war, selber etwas anzubauen oder sich Tiere zu halten, war er nicht viel besser gestellt als der Städter. Viele Landwirte brachten ihre Deputate lieber dem örtlichen Geistlichen, als einer kinderreichen Familie. Ob sie sich damit ein Verdienst erwerben wollten?

In unserer Familie waren die Rationen der Brotkarten ganz und gar nicht ausreichend. So ist mir noch gut in Erinnerung, daß eine Bäckerei in Hillesheim versäumte, die Brotmarken für 4 Brote je 4 Pfund abzutrennen. Die Freude bei meiner Heimkehr in der Familie war größer als wenn man heute jemanden ein größeres Geldgeschenk machte. Die Vergeßlichkeit einer Verkäuferin trug dazu bei, daß in dem Monat die Brotration schon eher reichte. Die nächsten Broteinkäufe wurden in einem anderen Bäckerladen getätigt, aus Angst, man könne sich nachträglich an das »Versäumnis« erinnern. Um nicht falsch verstanden zu werden; der Kaufpreis wurde bezahlt!

Auch der Witz hatte damals Saison: »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, auf Abschnitt Dezember gibt's wieder ein Ei.« Oder »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, den Schnaps vom Dezember, den gibt's erst im Mai.« So sang man im Krieg (heimlich) in Abwandlung eines »Durchhalteliedes«. Erwischen durfte man sich nicht lassen mit diesem veränderten Text, das hätte unabsehbare Folgen gehabt.

Noch viel ließe sich schreiben über die Zeit der Bewirtschaftung, die Höhe der Rationen und Sonderzuteilungen, über das Leiden der Raucher und die Not der Kaffeetanten.

Es ist kein Märchen, wenn heute behauptet wird, daß die Raucher sogar Rharbarberblätter getrocknet und geraucht haben.

Gemessen am heutigen Konsum eines durchschnittlichen Rauchers waren die Zuteilungen geradezu unbedeutend. An Bohnenkaffee war überhaupt nicht zu denken. Zunächst gab es den Ersatz »mit den blauen Punkten« und später roch es im ganzen Dorf, wenn irgendwo Korn gebrannt wurde.

Es gab auch damals Menschen, denen das Tauschgeschäft nicht über alles ging. So erinnere ich mich sehr gerne an die »Ballmanns-Mühlen« in Dohm und Oberbettingen-Bahnhof mit Heinrich und Andreas Ballmann.

Wenn wir nicht mehr ein noch aus wußten, beorderte meine Mutter mich mit einem Säckchen in wechselnder Reihenfolge zu einer dieser beiden Mühlen um 5 oder gar 10 Pfund Mehl (ohne Karten) »einzukaufen«. In dankbarer Erinnerung sind mir beide Ballmanns-Müller geblieben.

Vierzig Jahre sind seither vergangen, eine friedliche Zeit des Wohlstandes. Die jungen Leute unserer Familien kennen die Not der Nachkriegszeit nur vom Erzählen oder aus Berichten in Zeitungen oder Büchern. Das ist gut so und mein Wunsch wäre, daß ihnen und ihren Kindern solche Notjahre erspart bleiben.