Aus dem Osten und andersgläubig

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

An die mühevolle Annäherung zu erinnern, die katholische und evangelische Christen in der Eitel durchlebten, das gehört gewiß zu den Aufzeichnungen zum Thema »40 Jahre Aufbau in Rheinland/Pfalz«. Wer aus dem Osten in die Eitel kam, war schon eine Belastung für die Gemeinden. Für Flüchtlinge Wohnraum und Arbeitsplätze zu schaffen war eine, sich mit der ganz anderen Mentalität der Fremden auseinanderzusetzen eine zweite Aufgabe. Und dann die Konfession. Evangelisch nannten sie sich, betraten die Dorfkirche nie, ignorierten hohe katholische Feiertage wie Fronleichnam oder Allerheiligen. Wie praktizierten sie nur ihr Christsein?

Fremdkörper im Ort. Was macht man damit? Am besten wäre, sie gingen wieder. Unfrieden brachten sie in die festgefügte Dorfgemeinschaft, sie hatten nichts, sie waren nichts und der andere Glaube, das konnte ja nichts Gutes sein. So allerlei hatte man früher davon gehört...

Ich weiß, wovon ich rede.

Mitte der 50er Jahre kam ich in ein Eifeldorf, jung, arm und nicht katholisch. So blieb alles, was ich unternahm, zuerst einmal äußerst fraglich, wenn nicht gar bedenklich oder schlecht. Nach und nach fiel mir das auf. Die Leute tuschelten, wenn ich am Gemüsewagen stand, mit den Kindern spazieren ging, sie nahmen Anstoß an der Art, wie ich mich kleidete. Schließlich sprach eine alte Frau aus dem Nachbardorf aus, was viele aus alten Erzählungen in Erinnerung hatten. Sie meinte, ob es wahr sei, daß die Evangelischen mit dem einen Fuß nicht so richtig zurechtkämen? Und getauft sind die ja auch nicht, das weiß schließlich jedes Kind. Sie lachen darüber?

Heute kann ich es auch, aber damals war mir das gar nicht lustig zu hören. Der alten Frau zeigte ich beide Füße, blank, sie fand keinen Makel daran und unsere Begegnungen verliefen ab da überaus freundlich. Doch die Ablehnung, der schlimme Verdacht hat mich tief getroffen. Wie arg das war, spürte ich bei der Taufe eines Kindes meiner katholischen Freundin. Sie bat mich zum Festtag, ich ging mit zur Kirche, zur Taufhandlung und blieb im Hintergrund, fühlte mich nicht so recht dazugehörig. Da sprach mich der Geistliche an, ich solle das Tuch des Täuflings während der heiligen Handlung halten. »Ich? Ich bin ja gar nicht katholisch.«

»Das macht nichts«, meinte der Herr, »halten Sie mal. ..«

Die erste Geste der Zuwendung, die mir seit Jahren zuteil wurde. Das sei in Glaubensdingen doch nicht wichtig, man habe ja seine Kirche und Gemeindeglieder, meinen Sie? Weit gefehlt. Das Gefühl der Einsamkeit in solch einem Dorf war groß und die brüderliche Annahme durch diesen Mann wie ein Geschenk. Es war der Beginn eines mühevollen Weges zu den Mitchristen und heute weiß ich, daß Unwissenheit und Unkenntnis der Einheimischen eine große Rolle spielten bei der Ablehnung der Fremden. Es ist versäumt worden, die bodenständige Bevölkerung auf eine Welle von Flüchtlingen vorzubereiten. Sie wurden geduldet, weil es nötig war, von Liebe keine Spur. Mittlerweile sind die Wunden der Pioniere verheilt, die Narben blieben. Das mag der Grund sein, weshalb ich heute so oft erschrecke, wenn die neuen Flüchtlinge, wieder andersgläubige, oft auch noch andersfarbige, mit Mißachtung behandelt werden. Von ihrer seelischen Not wissen wir beinahe nichts, es gibt da ja auch noch die sprachliche Barriere. Ein freundlicher Gruß beim Vorbeigehen, irgendeine kleine Geste der Zuneigung, das könnte für den Fremden ein Stück Sonne für den Tag sein. Und jeder Christ, gleich welcher Konfession, müßte in ihm den Nächsten sehen. Das gebietet unsere Religion.

Vier Jahrzehnte Wiederaufbau, wir haben viel erreicht, auch ein Miteinander von Katholiken und Evangelischen. Das war ein dornenvoller Weg, vor allem in der Bevölkerung, weil lange Zeit keine Hilfe aus den Kirchen kam. Ausnahmen gab es, so »meinen Geistlichen« in der Eifel. Er war ein Progressiver in seiner Zeit, in der eigenen Gemeinde schalt man ihn konservativ, so eng liegen Lob und Tadel beieinander. Er wußte um beides.