Deutsche Probleme mit dem Deutschlandlied - die Geschichte einer Nationalhymne

Alois Mayer, Daun-Pützborn

 

Leserbriefe erscheinen, beschäftigen sich mit dem Für und Wider der deutschen Nationalsymbole, Kommentare ereifern sich von bejahender Zustimmung bis hin zur völligen Ablehnung; Polemik ersetzt Argumente. Es hat den Anschein, als sei bei uns Deutschen der traditionelle Umgang mit den Staatssymbolen wie Flagge und Hymne komplizierter und schwieriger als bei anderen Nationen. Unser Geschichtsbewußtsein ist noch nicht gefestigt, die Vergangenheit bei weitem nicht bewältigt. Warum sollen wir eigentlich nicht stolz sein auf unser Volk, unseren Staat, auf eine endlich erlangte Demokratie, die Schützens- und erhaltenswert ist, für die Generationen gekämpft und gelitten haben?

Bei zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlichster Art werden Nationalflaggen gehißt und Staatshymnen gespielt. Es sind begrüßende Ehrenbezeigungen für die Nation, deren Hymne intoniert wird.

Begeistert singen Menschen »ihr« Staatslied. Sie identifizieren sich mit ihm. Doch stehen die Texte nicht häufig im krassen Widerspruch zu den Feierlichkeiten, bei denen sie gesungen werden?

Nehmen wir zum Beispiel die USA-Hymne mit ihren Versen, die während des Unabhängigkeitskrieges mit Großbritannien verfaßt wurden:

»Sagt an: Könnt Ihr sehen im Licht, das erwacht, was wir so stolz begrüßten, als der Abend verblutete? Breite Streifen, helle Sterne, die im Morden der Schlacht strahlend über dem Wall aufgingen, den wir hielten? Granaten blitzen, Raketen, grellrot!«

Oder zum Beispiel der Aufruf zum Kampf der Franzosen in ihrer »Marseillaise«, als 1792 preußische und österreichische Soldaten in Frankreich einfielen, um die dortige Revolution niederzuschlagen:

»Vorwärts, Kinder des Vaterlandes! Der Tag des Ruhmes ist gekommen! Gegen uns hat die Tyrannei ihre blutige Fahne erhoben! Hört im Land das Geschrei ihrer wilden Soldaten! Sie kommen geradewegs, um eure Frauen und Kinder zu erwürgen. Zu den Waffen, Bürger!« Die meisten Hymnentexte von Staaten nehmen bezug auf deren besondere geschichtliche Situation. Diese Gegebenheiten kennen, bedeutet erst, den Text zu verstehen.

Geschichtlicher Hintergrund der deutschen Hymne

Unser Deutschlandlied entstand zur guten, alten Biedermeierzeit. War diese Zeit wirklich gut, wirklich gemütlich?

Deutschland war zerteilt in eine unsinnige Vielzahl von Kleinstaaten. Wie ein bunter Flickenteppich sah die einstige Landkarte aus, 39 Mini-Länder mit eigenen Zollschranken existierten, nur lose vereint im Deutschen Bund. Und in jedem dieser Ländchen regierte ein Fürst, lebte von der Arbeit seiner Untertanen, herrschte willkürlich und ließ so gut wie keine freiheitlichen oder demokratischen Ideen aufkommen, obwohl mancher Bürger stolzes Bewußtsein für sein »Heimatland« entwickelte. So sangen zum Beispiel die Preußen aus voller Brust:

»Ich bin ein Preuße! Kennt Ihr meine Farben? Die Fahne schwebt mir weiß und schwarz voran.

Daß für die Freiheit meine Väter starben,

das deuten, merkt es, meine Farben an?

Nie werd' ich bang verzagen, wie jene will ich sagen:

/:Sei's trüber Tag, sei's heller Sonnenschein,

ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!:/«

Jedoch die Hoffnung auf ein geeintes Deutschland, in dem das Volk mitregieren konnte, wurde enttäuscht. Heimlich sangen damals viele ein verbotenes Lied, besonders die junge studierende Intelligenz:

»Was ist des Deutschen Vaterland? Ist's Preußenland, ist's Schwabenland? Ist's, wo am Rhein die Reben blüh'n? Ist's, wo am Belt die Möven zieh'n? O, nein, nein, nein, sein Vaterland muß größer sein! Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die deutsche Zunge klingt, und Gott im Himmel Lieder singt, so soll es sein, das soll es sein, das, wack'rer Deutscher, nenne dein, das nenne dein!«

Ernst Moritz Arndt hatte dieses Lied verfaßt. Dafür mußte er sich vor Gericht verantworten. Die Fürsten ließen alle demokratisch und national Denkenden verfolgen. Die Gefängnisse waren voller Menschen, die ein einiges Deutschland forderten und die Abschaffung der zahlreichen Kleinstaaten verlangten. Die »armen« Fürsten, dann entmachtet und bedeutungslos, wehrten sich. Freiheitsliebende Patrioten wurden bespitzelt, ihre Versammlungen aufgehoben, Bücher, Schriften und Zeitungen zensiert. Aber je mehr Druck die Herrschenden ausübten, desto glühender verlangten die Patrioten nach Einigkeit und Recht und Freiheit. Überall gab es Proteste und Demonstrationen. Das Symbol für Recht und Freiheit war die schwarzrot-goldene Fahne.

In dieser Situation lieferten 1840 die Franzosen ungewollt Gründe, daß Deutsche sich stärker und bewußter auf ein gemeinsames Vaterland besannen. Sie kündeten zum wiederholten Male an, die linksrheinischen Gebiete zu besetzen. Aus diesen aggressiven Drohungen erwuchs ein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl.

So schrieb die »Kölnische Zeitung«, 1840:

»Wenn der Franzose jetzt wieder den Ruf nach dem Rhein erhebt, dann werden wir uns endlich daran erinnern, daß wir Deutschen ein Volk sind und wir schon einmal durch Einigkeit und treues Zusammenhalten dem schrecklichen Gegner Widerstand geleistet haben.« Daraufhin entstand ein nationales Gedicht, das alsbald überall hymnenähnlich gesungen

Dieses Kampflied wurde in allen Kneipen gesungen, lange noch, als die Drohungen seitens Frankreich bereits aufgehört hatten.

»Sie sollen ihn nicht haben,

den freien deutschen Rhein,

ob sie wie gier'ge Raben

sich heiser danach schrei 'n,

solang er ruhig wallend

sein grünes Kleid noch trägt,

so lang ein Ruder schallend

an seine Wogen schlägt.

Sie sollen ihn nicht haben,

den freien deutschen Rhein!«

Der Dichter des Liedes: Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 - 1874).

Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Während dieser gärenden, unruhigen Jahrzehnte, in denen langsam und sehr schmerzhaft die ersten Geburtswehen eines geeinten Volkes einsetzten, lebte in Deutschland ein äußerst gelehrter, einfühlsamer, tief religiöser und höchst musisch begabter Mann: Heinrich Hoffmann.

Er wurde am 2. April 1798 in Fallersleben geboren, in einem kleinen alten Landstädtchen, das jetzt Stadtteil von Wolfsburg ist. Sein Geburtshaus war damals wie heute eine Gaststätte.

Heinrich Hoffmann war nicht adlig. Den Namen »von Fallersleben« gab er sich eigenständig. Er erklärte es in einem Reim:

»An meine Heimat dacht' ich eben, da schrieb ich mich von Fallersleben.« Nach den Studien in Göttingen, Bonn und in Flandern wurde er 1836 in Breslau preußischer Professor für deutsche Sprache.

Er dichtete harmlose Kinder- und Wanderlieder, wie »Alle Vögel sind schon da«, »Winter ade«, »Morgen kommt der Weihnachtsmann«, »Summ, summ, summ«, »Der Mond ist aufgegangen« und viele andere. Doch ihn ergriffen rasch die dringenden Probleme seiner Zeitgeschichte, da er unter der Zersplitterung Deutschlands litt.

So schrieb er selber:

»Ich sang nach alter Sitte und Brauch

von Mond und Sternen und Sonnen,

von Wein und Nachtigallen auch,

von Liebeslust und Wonnen.

Da rief mir zu das Vaterland:

Du sollst das Alte lassen,

den verbrauchten Leiertand!

Du sollst die Zeit erfassen!«

Nun greift Hoffmann zu seinen Waffen, dem Geist und der Feder. Er kämpft für Freiheit und Einigkeit, setzt sich mit Kraft ein gegen die Machtansprüche der Fürsten. Seine hochpolitischen Gedichte nennt er »Unpolitische Lieder«, um so die Zensur zu täuschen. In diesem Werk, dessen 1. Teil 1840 in Hamburg im Hoffmann-Campe Verlag erschien, ging er hart und bissig gegen politische Bevormundung, Zensur und Polizeigewalt sowie Unterdrückung der Bürgerrechte vor.

Sein größter Wunsch ist in allen seinen Werken erkennbar, Deutschland als eine nationale Einheit zu sehen. Und so fordert er: »Kein Österreich, kein Preußen mehr, ein einzig Deutschland hoch und hehr ein freies Deutschland Gott bescher, wie seine Berge, fest zu Trutz und Wehr.«

Auf der Insel Helgoland, die damals noch zu England gehörte, weilte Hoffmann von Fallersleben mehrmals. Sein Breslauer Arzt hatte ihm geraten, in diesem Seeklima Erholung zu suchen. Dort traf er sich oft mit Gleichgesinnten, so auch 1842. Als seine Freunde abgereist waren, notierte Hoffmann in sein Tagebuch: »Wenn ich dann so wandelte, einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zumute. Ich mußte dichten, auch, wenn ich es nicht gewollt hätte.« So entstand am 26. 8. 1841 das »Lied der Deutschen«:

»Deutschland, Deutschland über alles,

über alles in der Welt,

wenn es stets zu Schutz und Trutze

brüderlich zusammenhält.

Von der Maas bis an die Memel,

von der Etsch bis an den Belt

Deutschland, Deutschland über alles,

über alles in der Welt.

 

Deutsche Frauen, deutsche Treue,

deutscher Wein und deutscher Sang

sollen in der Welt behalten

ihren alten schönen Klang,

uns zu edler Tat begeistern,

unser ganzes Leben lang -

Deutsche Frauen, deutsche Treue,

deutscher Wein und deutscher Sang!

 

Einigkeit und Recht und Freiheit,

für das deutsche Vaterland!

Danach laßt uns alle streben,

brüderlich mit Herz und Hand!

Einigkeit und Recht und Freiheit,

sind des Glückes Unterpfand -

blüh' im Glänze dieses Glückes,

blühe deutsches Vaterland!

Am 1. September 1841, also nur vier Tage nach dem Treffen auf Helgoland, wurde das »Lied der Deutschen« bereits gedruckt. Die Melodie stammte von Josef Haydn, der 1797, von einer Englandfahrt zurückgekehrt, seinem österreichischen Kaiser ein Lied widmete (»Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz«).

Der innige Wunsch dieses Liedes - vor allem nach Deutschlands Einigung - steigerte noch die Abneigung der Klein-Fürsten gegen den Dichter. Bereits wenige Monate später verlor Professor Hoffmann von Fallersieben sein Amt. Die preußische Universität Breslau entzog ihm die Professur. Jahrelang irrte er als politischer Flüchtling durch die zahlreichen deutschen Staaten, 39 Mal wurde der freiheitsliebende Demokrat aus Städten und Ländern ausgewiesen, viele Hausdurchsuchungen und peinliche Verhöre mußte er über sich ergehen lassen.

»Es braust ein Ruf wie Donnerhall«

Anfangs setzte sich Hoffmanns »Lied der Deutschen« nicht durch. Es war nur eines der vielen politischen Gesänge.

Ein anderes Lied sang man als Antwort auf die erneute französische Drohung »Wir wollen hin zum Rhein!«. Lange wurde die »Wacht am Rhein« mit großer Begeisterung gesungen:

»Es braust ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wer will des Stromes Hüter sein? /:Lieb' Vaterland, magst ruhig sein, lieb' Vaterland, magst ruhig sein: Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein! Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!:/

Durch Hunderttausend zuckt es schnell, und aller Augen blitzen hell: Der Deutsche, bieder, fromm und stark, beschützt die heil'ge Landes-Mark!

Er blickt hinauf in Himmelsau'n, da Heldenväter niederschau'n, und schwört mit stolzer Kampfeslust: »Du, Rhein, bleibst deutsch wie meine Brust!«

So lang ein Tropfen Blut noch glüht, noch eine Faust den Degen zieht, und noch ein Arm die Büchse spannt, betritt kein Feind hier deinen Strand!

Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, die Fahnen flattern hoch im Wind; am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein, wir alle wollen Hüter sein!«

Und 1848 kam es in deutschen Städten zur Bürgerrevolution gegen die machtbesessenen Herrscherhäuser. Doch diese Revolution scheiterte. Die Abgeordneten in der Frankfurter Paulskirche konnten sich gegen die Macht der Fürsten nicht durchsetzen.

»Heil dir im Siegerkranz«

In 1871 wurde in Versailles das Deutsche Reich von Bismarck und den anderen Fürsten aus der Taufe gehoben, zum Kaiser wurde der preußische König Wilhelm l. gekrönt. Nun sangen die Deutschen nach der Melodie der englischen Nationalhymne »God save the Queen« ein Preislied auf den deutschen Herrscher, die »Preußenhymne«:

»Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands, Heil, Kaiser, dir! /:

Fühl' in des Thrones Glanz die hohe Wonne ganz: Liebling des Volks zu sein! Heil, Kaiser, dir! :/

Nicht ross' und Reisige sichern die steile Höh', wo Fürsten steh'n; /: Liebe des Vaterlands, Liebe des freien Mann's gründet des Herrschers Thron wie Fels im Meer. :/

Heilige Flamme, glüh', glüh' und erlösche nie für's Vaterland! /: Wir alle stehen dann mutig für einen Mann, kämpfen und bluten gern für Thron und Reich. :/

Handlung und Wissenschaft hebe mit Mut und Kraft ihr Haupt empor!/: Krieger- und Heldentat finde ihr Lorbeerblatt treu aufgehoben dort an deinem Thron! :/

Sei, Kaiser Wilhelm, hier lang deines Volkes Zier, der Menschheit Stolz! /: Fühl' in des Thrones Glanz die hohe Wonne ganz: Liebling des Volks zu sein! Heil, Kaiser, dir! :/«

Das »Lied der Deutschen« hatte im wilhelminischen Kaiserreich keine Chance. Der Traum vieler und Hoffmanns Wunsch nach Einigkeit und Recht und Freiheit ging nicht in Erfüllung. Kurz vor seinem Tode schrieb er 1874 enttäuscht:

»Und ich sang von Deutschland wieder, sang in Freud und Hoffnung nur, doch mein Deutschland über alles, kam und ward nur Makulatur!«

Erst im August 1890, bei der Feier der Übergabe der Insel Helgoland, die gegen Sansibar eingetauscht worden war, wurde das »Lied der Deutschen« zum ersten Male offiziell gesungen. Nun - ein halbes Jahrhundert nach seiner Schöpfung - wurde es bekannter. Allerdings trat eine deutliche Sinnverschiebung ein, da nationale und nationalistische Kreise sich der ersten Strophe bedienten. Zum ersten Male geriet nun der Sinn des Liedes in die politische Maschinerie. Aus gutgemeinten patriotischen Gefühlen entstand ein überheblicher Nationalismus, aus einer romantischen Liebeserklärung an Deutschland wurde ein Kampflied. Jetzt bekam das »Deutschland, Deutschland über alles« den negativen Anstrich.

So verstanden es auch die Amerikaner und Engländer. Für sie war unsere 1. Strophe ein politisches Programm. Sie übersetzten: »Deutschland, Deutschland first of nations, first of all in this wide world ....« (Deutschland, erste aller Nationen in der weiten Welt).

»Zur Nationalhymne erhoben«

Die erste Strophe des »Deutschlandliedes« war zu Beginn des 1. Weltkrieges eines der meistgesungenen deutschen Lieder. Mit diesem Lied auf den Lippen stürzten sich ungezählte Soldaten in tödlichen Kugelhagel. 1918 endete der 1. Weltkrieg, Deutschland verlor ihn. Kaiser Wilhelm, »des Volkes Zier und der Menschheit Stolz« floh nach Holland und genoß dort seine Pension.

In Weimar wurde 1919 die erste deutsche Republik gegründet, die eine demokratische Verfassung hatte. Erster Reichspräsident wurde der Sozialdemokrat Friedrich Ebert. Er trat ein äußerst schwieriges Erbe an. Abgesehen davon wurde Deutschland die Alleinschuld am Krieg gegeben. Die Bedingungen, die die Siegermächte diktierten, waren erniedrigend und unerfüllbar. Friedrich Ebert versuchte so, dem mutlosen deutschen Volk Kraft und Glauben an die Zukunft zu geben. Dies auch durch Symbole. So entschied sich unter ihm die Regierung für die schwarz-rot-goldene Flagge, um so sichtbar an die demokratische Tradition der 1848er Revolution anzuknüpfen.

Die dritte Strophe des »Deutschlandliedes«, Originalhandschrift Hoffmann von Fallersleben.

Am 11. August 1922, am Verfassungstag der Weimarer Republik, erklärte Reichspräsident Ebert im Berliner Reichstag das Deutschlandlied zur Nationalhymne, wobei der Schwerpunkt auf die dritte Strophe gelegt wurde. Bei der Einführung erklärte Ebert:

»Einigkeit und Recht und Freiheit: Dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten. Sein Lied, gesungen gegen Zwietracht und Willkür, soll nicht Mißbrauch finden im Parteikampf ... es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung. Aber so, wie einst der Dichter, so lieben wir heute Deutschland über alles. In Erfüllung seiner Sehnsucht soll unter den schwarz-rot-goldenen Fahnen der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein.«

»Deutschland stirbt«

Mit der Machtergreifung Hitlers endete 1933 die »Weimarer Republik«. Die neue Regierung übernahm die Melodie des Hoff mann'sehen Liedes. Aber gesungen werden durfte nur - und das mit erhobenem Arm - die 1. Strophe. Die Nationalsozialisten sangen sofort - sozusagen als 2. Strophe - das Kampflied ihrer Partei, das Horst-Wesselüed:

»Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschieren im Geist in unseren Reihen mit!« So entstand eine »neue« Form der Nationalhymne. Das »Lied der Deutschen« bekam einen verdrehten Sinn, die beschworene Vaterlandsliebe wurde in aggressive Überlegenheitsgefühle umgewandelt und rassisches und nationalistisches Gedankengut reifte zur gefährlichen Frucht. Deutschland, »das Volk ohne Raum«, wie die Propaganda tönte, hatte nun ein Recht, sogar die Pflicht, durch Eroberung Raum zu schaffen. Der Mensch, der staatspolitisch denkende Bürger, galt nichts mehr, nur noch »Deutschland, Deutschland über alles!« Diese Verunglimpfung, dieser Mißbrauch verleidete vielen Deutschen noch lange den normalen Umgang mit dem würdigen Nationallied. Selbst heute erregt die anspruchsvolle 3. Strophe mit ihren erstrebenswerten Zielen viele Gemüter und läßt gespaltene, labile Gefühle zur bundesrepublikanischen Demokratie zu.

Das tausendjährige Dritte Reich bestand nur zwölf Jahre. Die gesamte Welt stoppte den nationalsozialistischen Wahnsinn, der Krieg endete mit der totalen Niederlage. Das »Deutschland über alles« wurde geteilt und durch die Vertreibung von Millionen Ostdeutschen sehr zusammengedrängt.

Deutschland hörte auf, zu existieren. Das politische Singen war den Deutschen vergangen. Das Deutschlandlied wurde von den Besatzern verboten.

»Deutschland - einig Vaterland«

In 1949 wurde die Bundesrepublik gegründet. Die ersten freien Wahlen bestimmten als Bundespräsidenten Theodor Heuss und Konrad Adenauer als Bundeskanzler. Die neue Regierung übernahm die schwarz-rot-goldene Traditionsfahne der »Weimarer Republik«, eine Hymne hatte sie noch nicht.

Auch die im Herbst 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik übernahm die schwarz-rot-goldenen Farben, fügte diesen aber ihr sozialistisches Symbol hinzu; den Ährenkranz, Symbol für die Bauern, Hammer und Zirkel als Symbol für die Arbeiter. Dieser Arbeiter- und Bauernstaat sang ab 1950 als Hymne den »Nationalgesang der DDR«, komponiert von Hans Eisler:

»Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt laß uns Dir zum Guten dienen Deutschland - einig Vaterland ....«

Diese Textaussage »Deutschland - einig Vaterland« stand bald nicht mehr im Einklang mit der offiziellen Parteipolitik. Sie war zu gesamtdeutsch und paßte nicht in das Abgrenzungskonzept und zur Zwei-Staaten-Theorie der DDR. So wird seit 1972 dieser Text nicht mehr gesungen, während die Melodie weiter gespielt wird.

Die Bundesrepublik tat sich von Anfang an schwer mit ihrer Nationalhymne. Der Versuch, Schillers und Beethovens »Freude schöner Götterfunken« als Ersatz-Nationallied einzuführen, scheiterte.

Bundespräsident Heuss sollte eine Entscheidung herbeiführen. Er sah den Sinn, den Wert und die Notwendigkeit einer Hymne ein. Deshalb beauftragte er Dichter und Komponisten, ein neues Lied zu scharfen. Die von ihm gewählte »Hymne an Deutschland« (Text: Alexander Schröder; Melodie: Hermann Reuter) konnte sich jedoch in der Bevölkerung nicht durchsetzen.

»Land des Glaubens, deutsches Land, Land der Väter und der Erben uns im Leben und im Sterben Haus und Herberg, Trost und Pfand, sei den Toten zum Gedächtnis, den Lebendigen zum Vermächtnis freudig vor der Welt bekannt, Land des Glaubens, deutsches Land.« Bundeskanzler Adenauer wollte das »Lied der Deutschen« beibehalten, Heuss war dagegen. Hitzige Debatten wickelten sich ab, die bis 1952 andauerten und die Gemüter erregten. Am 29. 4. 1952 drängte Bundeskanzler Adenauer den Präsidenten Heuss in einem Brief, endlich eine Entscheidung zu treffen:

»Daher die erneute Bitte der Bundesregierung, das Hoffmann-Haydn'sche Lied als Nationalhymne anzuerkennen. Bei staatlichen Veranstaltungen soll die dritte Strophe gesungen werden.«

Heuss gab dem Drängen des Kanzlers nach. Am 2. Mai 1952 schrieb er: »Da ich kein Freund von pathetischen Dramatisierungen bin und mit mir selber im Reinen bleiben will, muß ich nach meiner Natur auf eine feierliche Proklamation verzichten. Wenn ich also der Bitte der Bundesregierung nachkomme, so geschieht das in der Anerkennung des Tatbestandes.«

Die Bundesregierung hat seitdem wieder eine Nationalhymne. Sie braucht sich dafür weder der Entstehung noch des Inhaltes zu schämen. In den 60er und 70er Jahren wurde es um diese Hymne still. Bundesrepublikaner hörten auf, das Nationallied anzustimmen, Schülergenerationen wuchsen heran, ohne Text und Melodie zu kennen. Heute wird dies als Mangel empfunden. Lehrpläne schreiben in Schulen das Erlernen wieder vor.

Nie wuchsen in der deutschen Geschichte Nachkriegsgenerationen heran, die ihr Leben so frei, mit so viel Rechten nach demokratischen Grundsätzen gestalten durften, auch wenn Protestierende unseren Staat und dessen Symbole verhunzen und ablehnen. Dieses Recht gibt es aber nur in einer Demokratie, die für die sittlichen Forderungen nach »Einigkeit und Recht und Freiheit in gemeinsamen brüderlichen Streben« eintritt.

Doch ein demokratischer Staat braucht Bürger, die bei aller Kritik zu ihm stehen. Eintreten für die Demokratie der Bundesrepublik bedeutet dann ebenfalls, daß man mit dessen Symbolen schützend umgeht. Darum ist es mehr als gebotene Notwendigkeit, die Nationalhymne zu kennen und zu singen. Es ist mehr als sinnvoll, daß die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik ausdrücklich betonen, daß die dritte Strophe des »Liedes der Deutschen« Gegenstand des Unterrichts an Schulen sein und jeder Schüler in Rheinland-Pfalz am Ende der Grundschulzeit Text und Melodie erlernt haben soll.

Literatur:

Ekkehard Kühn, Das Lied der Deutschen Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben Das Parlament 27/17 vom 30. 4. 1977