Man kann ein Buch kaufen,

aber nicht den Geist

Landrat Karl-Adolf Orth

 

»Gott schreibt gerade auf krummen Zeilen« ...

oder: »das Schlimmste trifft nicht immerzu«, so lautet der Untertitel eines Romans des großen französischen Schriftstellers Paul Claudel. Das Schlimmste ist nicht eingetroffen: Das Buch hat überlebt. Die Stimmen in den letzten Jahren, die das Ende des Buches prophezeiten, hatten Unrecht. Oft schien es zwar gute Gründe für das Sterben des Buches zu geben, Radio, Film und Fernsehen riefen die Pessimisten auf den Plan, die den Niedergang unserer Buchkultur herbeireden wollten.

Aber, Hand aufs Herz: Gehören auch wir zu den Bundesbürgern, die durchschnittlich zwei Stunden und zehn Minuten am Tag vor dem Fernsehersitzen, Kinder und Heranwachsende oft noch länger? Die Zeitung wird gelesen, wenn nicht nur überflogen, Zeitschriften kommen noch ins Haus, das Buch kommt sehr oft zu kurz.

Viele lassen sich vom Fernsehen die Zeit zur Muße stehlen. Man entfremdet sich vom Kulturgut des gedruckten Wortes. Und doch wird wieder mehr gelesen. Auch das Fernsehen kann die Tür zum Buch öffnen, Buchhandlungen und Büchereien bestätigen dieses. Eine Verfilmung des Romans »Der Name der Rose« zum Beispiel regte an, den Schriftsteller Umberto Eco zu entdecken und man würde Goethe, Schiller und Lessing entdecken, wenn für unsere Klassiker im Fernsehen mehr Platz wäre.

Wir Deutsche dürfen, wenn wir von Büchern reden, stolz sein auf unsere Dichter, nicht nur auf Goethe und Schiller, sondern auch auf Carl Zuckmayer, Elisabeth Langgässer, Stefan Andres, die aus unserem Land Rheinland-Pfalz stammen, und wir hatten eine Hildegard von Bingen und einen Nikolaus von Cues. Sie und all die anderen »Dichter und Denker« haben unser Denken mitgeformt, ob wir es wissen oder nicht. Der internationale Ruf unseres Landes beruht zu einem großen Teil auf dem Ansehen der Dichtung. Das wird vielfach unterschätzt. Unsere Klassiker und viele Werke der modernen Literatur wurden in fremde Sprachen, sogar ins Russische übersetzt und diese Literatur trägt wesentlich zum Bild von Deutschland in der Welt bei.

Wir begingen vor einigen Jahren das »Europäische Jahr der Musik«. Ich könnte mir vorstellen, daß auch einmal ein Europäisches Jahr der Literatur ausgerufen wird. Wir würden dann Dostojewski lesen, Kafka, Dante, Shakespeare, Bernanos, Cervantes oder Sigrid Undset, um nur einige zu nennen. Und wir spürten, daß ohne Bücher keine Kultur zu haben ist. Weil das so ist, wollen wir nicht verdrängen, daß in unserem Land auch einmal öffentlich Bücher verbrannt wurden, weil die Gedanken, die diese Bücher verbreiteten, ausgelöscht werden sollten. Die Namen der Literaten reichten von Werner Bergengruen über Brecht, von Hermann Hesse, Erich Kästner, Arthur Schnitzler bis zu Carl Zuckmayer, um nur einige der Dichter ganz unterschiedlicher Auffassungen und politischer Ansichten zu nennen. Sie alle paßten nicht unter die neue Norm vom Jahr 1933. Am 10. Mai 1933 wurden allein in Berlin bei Marschmusik, bei Fackeln und Fahnen 20 000 Bücher verbrannt. Heinrich Heine, der auch zu den Verdammten gehörte, hatte einmal gesagt: »Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende den Menschen.«

Vielleicht war die Auslöschung von Literatur auch ganz allgemein gegen das geschriebene Wort gerichtet. Vielleicht hatten zu wenige Menschen ein persönliches, positives Verhältnis zur Literatur, das als Gegengewicht hätte wirken können. Ich habe in meiner Jugendzeit Glück gehabt, bin durch gute Deutschlehrer auf das Buch hingewiesen worden. Ich lese auch heute noch gern und bedauere, daß mir die Zeit fehlt, noch mehr zu lesen. Ich meine, ohne Lesen und ohne das Nachdenken dessen, was andere gedacht und aufgeschrieben haben, ist der Kulturauftrag für unsere Zeit nicht zu erfüllen.

Man wird wohl sagen dürfen, daß erst durch die Erfindung der Buchdruckerkunst die Demokratie möglich wurde. Freie Gedanken unterschiedlichster Meinungen konnten unter das Volk gebracht werden und halfen so mit beim Aufbau der Demokratie. Die Freiheit der Dichtung zu wahren ist aber keine leichte Aufgabe. Es ist sicher schwer, die Wirkung eines einzelnen Buches zu messen oder gar zu sagen, welches Buch die größten Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Dazu sind die Leser und ihre Interessen, ihre kirchlichen oder politischen Einstellungen zu verschieden, auch das Alter und der Beruf spielen eine Rolle. Wenn nun aber ein Zusammenhang besteht zwischen Gesellschaft, Demokratie und Buch, dann müssen wir zur Stärkung der Demokratie und unseres bürgerschaftlichen Lebens uns dafür einsetzen, daß wir weiterhin ein breitgefächertes Angebot an Büchern erhalten. Und wir müssen in der Schule und in der Erwachsenenbildung alles tun, um die Fähigkeit und Neigung der Menschen zum Lesen zu stärken.

Nun scheint sich Erfreuliches anzubahnen. In den Schulen geht man zunächst noch zaghaft heran, wieder Gedichte zu lernen und Klassiker zu lesen. Die Allergie gegen das Auswendiglernen hat sicher ihren Höhepunkt überschritten. Um nicht mißverstanden zu werden; wir brauchen das Gleichgewicht zwischen der Fähigkeit zum stillen Lesen und auf der anderen Seite die Fähigkeit und das Bedürfnis zum Gespräch, zum Gedankenaustausch. Auch das ist in Deutschland gute Tradition, die erhalten werden sollte.

Ein Landkreis kann an dieser wichtigen Aufgabe des Erhalts und der Förderung der Buchkultur mitwirken. Wir haben im Kreis Daun über 40 Jahre lang hervorragende Aufbauarbeit geleistet. Nach dem Krieg gingen unsere Bürgerinnen - ja, auch die Frauen - und Bürger daran, Trümmer wegzuräumen, Häuser, Schulen und Straßen zu bauen. Was aber manchmal vergessen wird, es gab auch im Landkreis Daun eine Zeit, in der Bücher hektographiert, die Sonette von Rheinhold Schneider abgeschrieben und in Lesezirkeln besprochen wurden. Die Pfarrbüchereien leisteten wertvolle Arbeit all die Jahre hindurch und viele Ortsgemeinden schlössen sich - oft in Zusammenarbeit mit den Pfarreien - an. Heute haben wir 30 Pfarr- und Gemeindebüchereien, die mit ehrenamtlichen Kräften das Buchangebot aussuchen, Bücher ausleihen, Buchausstellungen durchführen und Erwachsene, Kinder und Jugendliche beraten. Ich darf an dieser Stelle diesen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meinen Dank aussprechen und sie bitten, auch in Zukunft diese wichtige Aufgabe wahrzunehmen.

Im Landkreis Daun fehlt aber eine größere Bücherei mit einem umfangreicheren, differenzierteren und ausgewogenem Buchbestand, die allen örtlichen Büchereien zur Verfügung steht. Wir bejahen das Subsidiaritätsprinzip und wollen durch diese Bibliothek, die von einer Fachkraft geleitet wird, auf Kreisebene die örtlichen, jetzt bestehenden Büchereien oder auch solche, die noch eingerichtet werden mögen, unterstützen und ihnen ihre Arbeit erleichtern. Die Belange der Büchereien in kirchlicher Trägerschaft bleiben gewahrt.

Ich habe die Hoffnung, daß sich unsere Industriegesellschaft zur Zeit in eine Kulturgesellschaft wandelt. Auch bei uns. Die neu zu errichtende Zentralbücherei soll kein Ersatz, sondern sinnvolle Ergänzung der bestehenden Einrichtungen werden. Wenn wir das Buch als Instrument des freien Wortes in der Demokratie ernst nehmen, dann liegt es an uns, dieses Kulturangebot anzunehmen. Der Landkreis wird die gesamte Kultur, die Musik, die bildende Kunst und den Denkmalschutz, Museen und Literatur weiter fördern, aber nicht reglementieren. Kultur selbst ist und bleibt Sache des Bürgers. Die beste staatliche und kirchliche Kulturförderung nutzt nichts, wenn der Bürger die Kulturgüter nicht annimmt. Wie heißt der bekannte Spruch . . . »Man kann eine Kirche kaufen, aber nicht den Glauben, man kann ein Buch kaufen, aber nicht den Geist.«