Nächste Woche geht die letzte Kuh aus dem Dorf ...

Theo Pauly, Gerolstein

Seit dem Niedergang der Eisenindustrie in der Eitel, als Köhler in den ausgedehnten Wäldern der Heimat für den notwendigen Nachschub an Holzkohle für die Eisenhütten sorgten, gab es bis nach dem zweiten Weltkrieg in der Eifel, zumindest in ihrem ärmsten Teil, der Struth, kaum Arbeiter im Sinne von Industriearbeitern. Es gab Bestrebungen, den Eifelbauern, die von den Erträgen ihrer kargen Böden nur notdürftig existieren konnten, wenigstens ein Zubrot zu verschaffen in Form von Heimindustrie. So entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Neichen eine Strickerei (Strumpfwirkerei), die aber zu Beginn des ersten Weltkriegs eingestellt wurde und zur Zeit der Rezession in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts vollständig einging. In den dreißiger Jahren war hier eine Filiale der »Heller-Kunst« aus Dreis untergebracht, und die jungen Leute der Struth konnten wieder ein paar Groschen hinzuverdienen. Heute ist die »Strickerei« umgebaut zu einem schönen Gemeindehaus. Seinerzeit verdienten sich Leute den Lebensunterhalt als Tagelöhner; viele Junge verdingten sich bei den Großbauern am Niederrhein oder in städtischen Haushalten im Köln-Düsseldorfer Raum. Wer in der Heimat blieb, betrieb den mühseligen Ackerbau, der zu wenig brachte zum Leben und zuviel zum Sterben. Einzelne Handwerker gab es auch in den Dörfern, Handwerker, die den Bauern zuarbeiten mußten, wollten diese ihre Häuser, ihre wenigen notwendigen Geräte und Kleidung in Ordnung halten. Auch Hufschmied, Wagner, Schuster, Schneider, Schreiner, Maurer konnten von ihrem Handwerk allein nicht leben und betrieben nebenher noch die Landwirtschaft. Einzelne Bauern verdienten sich etwas hinzu durch Hausschlachtungen, durch das Kastrie-

ren von Ferkeln und Kälbern und jedes Kind kannte den »Kallewaschneider« (Kälberschneider). Im Winter verdingten sich die Bauern gern als Waldarbeiter und schlugen gegen geringes Entgelt Holz im Gemeindewald, der die einzige Einnahmequelle für die Gemeinde darstellte.

Gern wurde auch die Gelegenheit wahrgenommen, »op Frühn se joahn«, Fronarbeiten für die Gemeinde zu leisten, die entgegen früherer Zeit, in denen sie unentgeltlich abgeleistet werden mußte, mit geringen Stundenlöhnen bedacht waren. Wie sehr es den Leuten an Bargeld mangelte, mag man daraus ersehen, daß die Einkäufe für den täglichen Bedarf fast ausschließlich mit Eiern und Butter beglichen und verrechnet wurden.

Nach dem zweiten Weltkrieg, bzw. nach der Währungsreform 1948, als sich in den fünfziger Jahren Deutschland kräftig erholte und das sogenannte »Wirtschaftswunder« seinen Anfang nahm, verdienten hieran auch die Eifelbauern. Man sah sich zunehmend in der Lage, Kunstdünger zu kaufen und Landmaschinen anzuschaffen. Daß dies möglich wurde, ist nicht zuletzt ein Verdienst der Raiffeisenkas-sen, die teilweise den Bauern das Vieh abkauften, ihnen Getreide und Kartoffeln zu den jeweiligen Tagespreisen abnahmen und vor allem auch Kredite gewährten zur Anschaffung notwendiger Geräte und Maschinen. Nun konnten den mageren Böden mit Kunstdünger und durch intensivere und bessere Bearbeitung höhere Erträge abgewonnen werden. Ein großzügiges Förderungsprogramm ermöglichte einzelnen Bauern, ihre Ländereien durch Zupachtung und Zukauf aufzustocken und zweckmäßige Aussiedlerhöfe anzulegen. Doch nicht jeder war dazu bereit und in der Lage.Man suchte sich einen Nebenerwerb, hierzu wurde in den sechziger Jahren Gelegenheit geboten durch die Ansiedlung von Industriebetrieben im Kreis Daun. Die Eifeler Bauernsöhne waren äußerst anstellig, arbeitsam und fleißig und vor allem verantwortungsbewußt. So wurden sie von den Unternehmen gern als Arbeiter eingestellt. Die wenigsten hatten einen Beruf erlernt, waren ungelernte Arbeiter, doch hat sich mancher in Kursen weitergebildet und schaffte den Aufstieg zum Facharbeiter. Jetzt kam regelmäßig bares Geld ins Haus, die Landwirtschaft wurde betrieben wie bisher und so kam es allmählich zu einem gewissen Wohlstand.

Solange der Altbauer noch lebte oder die eigene Frau bereit war, die Landwirtschaft weiter zu betreiben, war auch der Industriearbeiter noch willens, die Doppelbelastung zu ertragen, denn zu Spitzenzeiten landwirtschaftlicher Tätigkeiten, zur Saat- oder Erntezeit, hatte der Arbeiter schon ein großes Pensum geschafft, ehe er seine Arbeitsstelle aufsuchte. Nach Feierabend ging es in der eigenen Landwirtschaft noch viele Stunden weiter. Das war natürlich auf Dauer kein Zustand, und sobald der Altbauer nicht mehr da war, der auch im Alter noch manche Arbeit in Feld, Stall und Scheune tat, dem zuliebe man sein Vieh nicht abgeschafft hatte, wurden die Überlegungen akut, die Landwirtschaft ganz an den Nagel zu hängen. Sicherlich ist es niemanden leicht gefallen, diesen Schritt zu tun, brach man doch mit einer alten und langen Tradition. Diejenigen, die ihre Landwirtschaft als Haupterwerb weiterbetrieben, waren gern bereit, die Ländereien, die nun brach zu liegen drohten, vor allem die Wiesen, aufzupachten. Vielfach behielt man die Felder noch, um Getreide anzupflanzen, das, vom Mähdrescher geerntet, problemlos verkauft werden konnte, wie auch

das anfallende Stroh. Den Traktor, schon zu Zeiten des Nebenerwerbs angeschafft, behielt man für diese nicht so zeit- und arbeitsintensiven Landarbeiten. Aber es war kein Vieh mehr im Stall, das tägliche Anwesenheit befahl. Trotz Aufstockens und Zuerwerb blieb aber der Eifeler Bauer, selbst wenn er einen Aussiedlerhof betrieb, gemessen an den mittlerweile zu Großbetrieben herangewachsenen Bauernhöfen und -gutem in ertragreicheren Gegenden mit besseren Böden immer noch ein »kleiner« Bauer, der sich recht plagen mußte. Auch trotz Ausgleichszulagen und Unterstützung im Rahmen von EWG-Programmen konnte er kein reicher Mann werden, zumal er große Summen in landwirtschaftliche Maschinen investieren mußte, die meist nur saisonal für wenige Tage oder Wochen zum Einsatz kamen, die übrige Zeit als totes Kapital im Geräteschuppen standen. Dies führte in einigen Bereichen zur Bildung sogenannter »Maschinenringe«, in denen Maschinen und Geräte auf genossenschaftlicher Basis benutzt werden. Hinzu kam ein früher körperlicher Verschleiß, daß manchmal die Arbeit kaum noch zu bewältigen war. So suchte sich auch mancher der verbliebenen Bauern eine »Arbeit«, bei der seine physischen Kräfte nicht so sehr beansprucht wurden. Was blieb, war wieder eine Doppelbelastung, die häufig auch wieder zu Krankheit führte. So blieb hier kein anderer Ausweg, als sich von einer Erwerbsform zu trennen, und was lag näher, als die Arbeit aufzugeben, die am meisten körperlich streßte und am wenigsten einbrachte: die Landwirtschaft. Darum tat der mittlerweile auf Krücken angewiesene ehemalige Bauer aus Beinhausen voller Bedauern diesen Ausspruch: »Nähst Woch jeet de lätzt Koh us dem Dort!« Und so ist der kleinste Ort der Struth, Beinhausen, nunmehr ein Bauerndorf ohne Bauer, und ein ganzes Dorf hält den Atem an.