Moderne Kunst

Wie Kinder darüber dachten

August Meyer, Daun

 

Wer irgendetwas veröffentlicht, läuft Gefahr, in ein Wasser zu geraten, in dem nur schwimmen darf, was nicht aneckt. Für Kunst bedeutet das: Wenn man erkennen kann was dargestellt ist, ists Kunst. Modernes wird schnell abgetan. Da heißt es...das kann doch jedes Kind...oder was soll der Blödsinn, DER mag erst mal lernen! Wer so Kritisches sagt bedenkt oft nicht, daß die alten Meister- vielleicht der Lieblingsmaler -zu Lebzeiten genau so »verdonnert wurden. Vincent van Gogh konnte kaum ein Bild verkaufen. Heute ist er einer der beliebtesten Maler, seine Arbeiten gibts als Drucke, Kalenderblätter, Kunstpostkarten.... Weitaus unbefangener gehen Kinder mit Kunst um.

Im Jahre 1977 hing in meinem Klassenraum der Dauner Grundschule ein Bild von Joan Miro. Abgedruckt auf einem Kunstkalenderblatt zierte es neben anderen Bildern eine unserer Wände. Es trug den Titel »Peinture 1950«. Das heißt so viel wie Gemälde oder einfach Malerei oder Bild. Dieser Titel war aber nicht zu sehen. Eines Tages teilte ich Zettel aus und forderte die Kinder auf, dem Bild doch einen Namen zu geben. Wir besprachen das nicht näher, ich sagte nur, daß alle das Bild jetzt lange an der Wand gesehen hätten, fragte auch, ob es gefalle und daß ihm doch eigentlich ein Name zustände und den möchten sie erfinden - aber bitte jeder für sich. Die Kinder widmeten sich dieser Aufgabe mit Lust und Hingabe. Noch mehr überraschte mich das Ergebnis. Kaum ein Name erschien doppelt! Viele waren prächtige Wortungetüme, die meines Erachtens gut zum Bild paßten. Aber auch jeder einfache Titel verdient Beachtung und deshalb sollen sie alle wiedergegeben werden - ich hoffe zur Freude der Leser.

Da sind einmal Bezeichnungen, die man »AIlerweltsnamen« nennen könnte: Schlumpt, Plumfi, Meffi, Krempel, Hornochse, Trampeltier, Tingeltangel, Triptrap.

Verhältnismäßig wenig Kinder sahen in der erkennbaren Gestalt etwas Beängstigendes oder wurden an Gespenster oder Ungeheuer erinnert. Sie formulierten:

Ungeheuer mit Stacheln, Verwackeltes Ungeheuer, Bombenkatze, Siebenköpfiges Monstrum, Gespenster mit Eiern, Flegelstachelmondkalbgespenst.

Dagegen fanden viele Kinder menschliche Züge in dem Bild. Manches Kind mag sich hinein-projiziert haben, um geheime Träume darin erfüllt zu finden: Da hieß es:

Schulschwänzer, Sternradfahrer, Sonnenwa-genmännchen, Sternsonnenfahrradmars-mensch, Mondfänger, Mondfahrer und Rakete, Marsmensch, Regenschirmmann oder einfach: Max, Fridolin, Aloisel.

Einige Namen erinnern an Eßbares, vielleicht von Kindern erfunden, die schon auf das Pausenbrot warteten, also...

 Wandernder Kloß, stacheliger Kuchen auf vier Beinen, Negerkuß mit Stacheln, Auch du dikkes Ei!

Mit diesem herrlichen Ausruf kommen wir zur Eiergruppe. Sicher hat der große Fleck in der oberen Bildmitte die Wortbilder beeinflußt.

Abgelecktes Ei, ein Ei auf der Kuckucksuhr, Eiermaschine, Eierblaumaschine, Locheiermaschine, Eierdrucklochmaschine, Lochkocheier-maschine, Sterneispinnrad, Eiergesichtwaschmaschine, Eiersternradstelzenigelvierbeiner...

Es ist sicher nicht verwunderlich, daß Kinder in dem Bild einen Bezug zu Tieren herstellen. Sehr häufig wurde ein Igel erkannt und benannt, wie schon das letzte Beispiel zeigte...

Mondigel, Seeigel, Igel, Langbein, Stelzengehendes Igelkind, Eulensonnenigel, Igelkäfergrashüpfer, Gefängnisgitterigel, Hexenige/ im Weltall.

Neben dem Igel stand die Eule:

Mondeule, Feuereule, Eule Langfuß, Eulenkäfer, Eulenstern, Eulensternstuhl, Sonneneulen-fisch, Sonneneulenfüße, Sonneneulenwaage. Andere Tiere tauchen in folgenden Namen auf: Ufokäfer, Sonnenkäfer, Mondsternkäfer, Feuerstachelkäfer, Unterstickvogel, Stachelvogel, Stachelhuhn, einfüßige Stachelschweine, Frosch auf Stelzen mit Mond, Unterirdische Tiere, Mondtierkind, Vierbeiniges Mondstacheltier, Mondkalbzähne.

Nichts Lebendes, aber Figuren oder Gegenstände erkannten andere Kinder in Miros Peintrue;

Jean Mim: Peinture 1950

Das farbige Bild ist nicht so hart dank eines bläulichgrünen Hintergrundes. Die dicken Striche sind schwarz, die dünnen braun, der große Fleck kräftig rot.

Chinesische Schnapsfiguren. Stachelwaage, Wachsfigur mit vier Beinen, Stelzfuß, Stachelfahrrad, vierbeiniger Hut, vierbeinige Laterne. Pflanzen wurden selten angesprochen. Häufiger erschienen die Gestirne:

Sonne mit Füßen, Sonne Mond und Sterne, Elektrische Mondmaschine, Sternnadelkissen, Sonnensternpalmengel, Sonnenstuhl, Sternenstrickball.

Damit ist die Aufzählung der Namen beendet. Ich hoffe, mit dieser Weitergabe von Produkten kindlicher Kreativität dem Leser des Heimatjahrbuchs einen Spaß bereitet zu haben. Die Namenerfinder sind heute so um 20 Jahre alt, Ob sie sich an ihre eigene Erfindung erinnern?