»Das ist der Tag des Herrn«
Vom Verfall der Sonntagskultur
Franz-Josef Ferber, Daun
Es wird in unserem Land viel über Kultur geredet und geschrieben. Zahlreiche Träger - z. B. Musik- und Gesangvereine, Kirchenchöre, Laientheatergruppen - betreiben sie engagiert und in vielfältiger Form. Politiker haben in den letzten Jahren begonnen, der Kultur ihre Aufwartung zu machen, Verwaltungsfachleuten ist sie nicht gleichgültig. Sie ist auf einmal populär geworden, die Kultur. Das ist gut so und die eine Seite der Medaille. Und die andere: Es wird vielfach über zunehmenden Werteverfall in unserer Gesellschaft geklagt. Das gilt nicht zuletzt für die Sonntagskultur, sie ist durch mehrere Fakten bedroht. An dieser Stelle soll nur von einem Aspekt - der Sonntagsarbeit -die Rede sein.
Jahrelang habe ich mir vorzustellen versucht, wie wohl unsere Vorfahren auf bestimmte Entwicklungen reagierten, sollte ihnen vergönnt sein, noch einmal für einen einzigen Tag - ein Sonntag müßte es sein - zurückzukehren in ihr Dorf. Schließlich gab mir ein älterer Mann, mit dem ich mich vor Jahren zufällig über das Thema »Unsitte der Sonntagsarbeit« unterhielt, die Antwort: »Unsere Eltern und Großeltern würden sich die Haare raufen!«
Hatte er recht, dieser biedere Bauersmann? An Hand einiger Negativbeispiele möchte ich aufzeigen, warum unser älterer Mitbürger und, so hoffe ich, viele von uns sich um unsere alte Sonntagskultur sorgen.
Es war an einem sonnigen Maientag, am Fest Christi Himmelfahrt, ein Lastzug rollte an, vollbeladen mit Verbundpflastersteinen. Er schwenkte in eine Hofeinfahrt, kippte seine Last dort ab und verschwand. Gleich darauf, während des festlichen Hochamtes, machte sich der Hauseigentümer mit seinen männlichen Familienangehörigen daran, die Steine zu verlegen. Bis in die Nacht hinein wurde, im ganzen Dorf vernehmbar, mit Steinen hantiert und gehämmert.
Am hochheiligen Christi-Himmelsfahrtstag war es auch, als auf der Baustelle einer Dorfnebenstraße der Herr Ortsbürgermeister erschien, werktäglich gekleidet, eine Schubkarre vor sich herschiebend und sich an der Baustelle zu schaffen machte. Auf den freundlichen Hinweis seines Gemeinderatskollegen, es sei Feiertag, reagierte er ziemlich sauer.
Pfingsten vor einigen Jahren glaubte man plötzlich, seinen Ohren nicht mehr so recht trauen zu können. Mitten im Dorf erneuerte ein Hausbesitzer seinen morschen Gartenzaun. Den langen Tag über war er damit beschäftigt, Staketen anzubringen. Das Klopfen war im ganzen Ort zu hören.
Irgendwann fiel es einem fleißigen Grundstückseigentümer ein, im Dorf ein Wochenendhaus zu bauen. Nichts dagegen, hätte der Bauherr nicht Sonn- und Feiertage für seine Arbeit mitbenutzt. Er hatte keine Skrupel, herumzuhämmern und stundenlang die Betonmischmaschine laufen zu lassen.
Oder was soll man davon halten, wenn ein Jungbauer (so geschehen in einem Nachbardorf) am sonnigen Septembersonntag den lieben langen Tag seine Felder pflügt?
Erfundene Beispiele? Leider nicht. Sie sind erlebt in einem Dorf im Landkreis Daun und ließen sich beliebig fortsetzen. Der Name des Ortes ist unwichtig. In anderen Dörfern war Ähnliches zu beobachten. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es soll hier nichts dagegen gesagt sein, daß ausnahmsweise an Sonn- und Feiertagen »knechtliche Arbeiten« getan werden, wenns unbedingt sein muß. So hat kein verständiger Mensch etwas dagegen einzuwenden (und der Gesetzgeber erlaubt dies sogar ausdrücklich), wenn Landwirte an Sonntagen ihre Heu- oder Kornernte in ihre Scheunen einbringen, um sie vor den Unbilden der Witterung zu bewahren. Nein, es geht darum, zu beklagen, daß Werktagsarbeiten sonntags in aller Öffentlichkeit und ohne Grund verrichtet werden.
Kein Zweifel, bei zahlreichen Menschen unterscheiden sich Werktag und Sonntag kaum voneinander. Viele erfahren den Sonntag nicht mehr als einen besonderen Tag. Nun, welche Bedeutung jeder Einzelne dem Sonntag beizumessen gedenkt, das ist seine Angelegeheit, andere gehts nichts an. Aber das Schaffen draußen an Sonn- und Feiertagen ist keine Privatsache, geht auch den Mitmenschen an. Die »öffentliche Sonntagsarbeit« kann den Mitbürger in seinen Empfindungen sehr stören, durch sie wird ihm das Gefühl des Werktäglichen vermittelt, abgesehen von der Verletzung des religiösen Empfindens. Was haben wir alle einmal in der Schule gelernt? Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des ändern beginnt.
Schließlich gibt es auch eine Rechtsordnung, die den Schutz des Sonntags zum Inhalt hat. Das Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit, 1891 nicht zuletzt durch den Einsatz engagierter katholischer Reichstagsabgeordneter in Deutschland eingeführt, wurde damals als eine der großen sozialen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts gepriesen. Die Väter des Grundgesetztes für die Bundesrepublik Deutschland, der Verfassung unseres demokratischen Rechtsstaates, müssen die Sonntagsruhe als hochrangiges Rechtsgut angesehen haben, das es wert ist, als Verfassungsnorm festgeschrieben zu werden. Wie wäre es sonst zu erklären, daß sie in Artikel 140 dem Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung weiterhin Geltung verschafften, der besagt, daß der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt bleiben. Und die rheinland-pfälzische Landesverfassung bestimmt im Artikel 47 inhaltlich dasselbe.
Diese Verfassungsvorschriften wurden in Rheinland-Pfalz konkretisiert durch das Landesgesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz) vom 15. Juli 1970. Es verbietet an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen »alle öffentlich bemerkbaren Tätigkeiten, die die äußere Ruhe beeinträchtigen oder dem Wesen des Sonn- und Feiertages widersprechen«.
Im Laufe der letzten Jahre sind wegen der Rechtssätze, die den Schutz des Sonntags beinhalten, wiederholt Gerichte bemüht worden, in Bayern, Nordrhein-Westfalen und unserem Bundesland. Was Rheinland-Pfalz betrifft, so sei hier ein neueres Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 13. 1. 1988 erwähnt. Der Sonn- und Feiertagsschutz solle, so urteilte das Gericht, zu einer in der Öffentlichkeit auch spürbaren Unterbrechung der werktäglichen Arbeit und des Erwerbslebens, zu einer Atmosphäre der äußeren und inneren Ruhe, frei von Arbeit und Geschäftigkeit führen. Daher müßten alle Tätigkeiten unterbleiben, die üblicherweise an Werktagen stattfänden.
Bleibt zu fragen, ob die zuständigen staatlichen Organe ihrer Pflicht, das Beachten der staatlichen Ordnungsregeln auch in diesem Bereich zu überwachen, in gebotenem Maße genügten. Und die christlichen Kirchen? Nun, es muß gesagt werden, daß sie permanent vor einer weiteren Aushöhlung der Sonntagskultur warnen und stärkere Rückbesinnung auf den hohen Wert des Sonntags fordern. Beispielhaft sei hier das gemeinsame Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz genannt: »Den Sonntag brauchen Mensch und Gesellschaft, um zu erfahren, daß Produktion und Rentabilität nicht den Sinn des Lebens ausmachen«.
Ein Foto, im Dezember 1987 in einer deutschen Tageszeitung veröffentlicht, erregte meine besondere Aufmerksamkeit. Es zeigte eine riesige Menschenansammlung und war mit folgendem Text unterschrieben: »Tausende orthodoxer Juden haben zu Beginn der Woche in der israelischen Hauptstadt Jerusalem gegen die Entweihung des Sabbat demonstriert«.
Man darf gespannt sein, ob Christen auch einmal für die Heiligung ihres Sonntags auf die Straße gehen. Arbeit ist nicht gering zu achten, aber sie ist nicht alles. Ein nachdenklicher Satz. . .