Beeinträchtigung des Brauchtums
Beispiel: »Klappern« an den Kartagen
Theo Pauly, Gerolstein
Auch für die Machthaber des Dritten Reiches war Religion »Opium für das Volk«. Dementsprechend wurde in der Zeit von 1933 bis 1945 amtlicherseits agiert. Die Eifler, erzkonservativ und streng katholisch, focht das nicht an; für sie war das maßgebend, was sie gelernt und worin sie erzogen waren. Und das hieß: Was der Pastor sagt, ist wichtig und richtig, was die Parteibonzen wollen, ist nachrangig. So lebte man, auch in der Struth, wie eh und je katholische Tradition.
An manchen Dingen jedoch kam man nicht vorbei, und mußte der Zeitströmung Tribut zollen. So durfte beispielsweise der Geistliche die Schule nicht mehr betreten und das Kruzifix mußte aus dem Schulsaal entfernt werden. Ich wurde im Jahre 1937 eingeschult. Den Pastor bekam ich in der Schule nie zu sehen, aber das Kruzifix hing an seinem angestammten Platz im Schulsaal, bis die alte Schule in den fünfziger Jahren abgerissen wurde. Heute kann man erahnen, welchen Mut unser alter Lehrer, den wir Kinder häufig als »Alten Knopp« titulierten, aufgebracht hat. In den anderen Schulen der Struth hatten die Kollegen unseres »Knopp« die Kruzifixe abgenommen. Es ging damals die Parole, in diesen Schulen würden die Kinder sehr viel mehr lernen als in der Neichener Schule. Nachdem ich selbst als Lehrer tätig war, wurde mir erst bewußt, was für ein gediegenes und wertbeständiges Wissen mir unter der »Fuchtel« unseres damals schon recht betagten Lehrers zuteil geworden war. Man hatte ihm seinerzeit den Vorwurf gemacht, allzusehr auf der Linie der damaligen Machthaber zu schwimmen; wie sehr er aber seinem Glauben treu geblieben war, hat man erst später erkannt. So wurde nie ein Schüler gerügt, der zu spät zum Unterricht erschien, weil er in der Werktagsmesse »gedient« hatte; der Religionsunterricht, der sich zwar in der Hauptsache im Auswendiglernen von Bibeltexten erschöpfte, wurde nicht ein einziges Mal ausgelassen, Lehrer Poß spielte das Harmonium in der Kirche, wenn der Organist ausgefallen war. Jeder Unterricht begann, obwohl verboten, mit einem Gebet, erst dann erscholl der »Deutsche Gruß«. Ich erinnere mich lebhaft des Tages, an dem wir das Gebet gesprochen und anschließend unser »Heil Hitler« mit gestreckter Hand aufgesagt hatten, als sich unmittelbar danach die Klassentür öffnete und der Schulrat im Raum stand. Unser Lehrer erbleichte, er befürchtete wohl, der Schulrat habe unser Gebet gehört. Ob er es gehört hatte oder nicht, konnten wir Kinder nicht feststellen, jedenfalls verlor der Herr Schulrat kein Wort darüber. Er hielt uns eine Ansprache, lobte die Tüchtigkeit unseres Lehrers und verlieh ihm irgendeine Verdienstmedaille. Wir Kinder freuten uns von ganzem Herzen und fühlten uns selbst geehrt. Obwohl unser alter Lehrer mit dem Stock nicht zimperlich umging, hätten wir doch nichts über ihn kommen lassen. Wir haben ihm manchen Schabernack gespielt, aber wir haben ihn auch geliebt. Anläßlich eines Klassentreffens sprach ich an, daß wir von ihm recht viel Prügel bezogen, diese aber auch meistens verdient hatten und alle haben mir Beifall gezollt; es war niemand, der ihm je gezürnt hätte. Er lag zwar damals mit dem Pastor von Beinhausen in Fehde, aber die Motive seines Handelns und seiner Haltung waren sicher genau so integer wie die des Geistlichen.
Bis etwa 1939 bestand die Tradition des »Klapperns« an den Kartagen. Nach dem Krieg lebte diese Tradition wieder auf und hat sich bis heute erhalten. Ob das »Klappern« damals verboten wurde oder wegen des Krieges nicht mehr stattfand, weiß ich nicht so recht. Aber bis dahin fieberte ich diesen Tagen entgegen, auch wenn ich als Jüngster den Schluß der »Klapperjungen« bildete. Hier gab es eine echte Hackordnung. Wir zogen im Gänsemarsch klappernd durch das Dorf, vorneweg der Älteste, am Schluß der Jüngste und unterbrachen am Morgen das Klappern mit dem Ruf: »Et laut Bäätglock«, am Mittag »Et laut Möttdaach«, am Abend wieder »Et laut Bäätglock«! Der Lohn des Klapperns an den Kartagen war die Erlaubnis, an den Ostertagen auf »Eier-Singen« gehen zu dürfen. Der Ostersonntag eignete sich hierzu kaum, er war ausgefüllt mit Kirchgängen. Beim feierlichen Hochamt mußten alle Meßdiener zugegen sein, um die Choralmesse vorzusingen, ebenso Pflicht war die Teilnahme an der vom Kirchenchor feierlich gestalteten Vesper. Aber der Ostermontag erlaubte viel freie Zeit, Frühmesse und Hochamt waren recht schnell zu Ende, denn es wurde nicht gepredigt, zum anderen entfiel der Nachmittagsgottesdienst. So versammelten sich denn nach dem Mittagessen die Klapperjungen am Ortseingang und zogen, bewaffnet mit einem Einkaufskorb, singend von Haus zu Haus. Im Hof wurde Aufstellung genommen und im Hineingehen ins Haus erscholl der Sang:
Hier kommen wir gegangen,
Die Eier zu empfangen.
Feinerliebchen fein,
So singen uns die Vögelein.
Die gemäß der Hackordnung ältesten Klapperjungen hielten der Hausfrau den Einkaufskorb, »Eierkorb« genannt, entgegen und sie legte ein, zwei, manchmal auch für jeden Jungen ein gefärbtes Osterei hinein. Wir alle murmelten, sprachen oder riefen laut unser Dankeschön, je nachdem, wie groß die Eiergabe war, sangen im Abgehen unser Heischelied noch einmal und zogen weiter zum nächsten Haus. Schnell gaben die Korbhalter den Eierkorb an die Jüngsten weiter, denn für eine so niedere Arbeit, Korb und Eier zu schleppen, waren die Jüngsten gerade gut genug; Ordnung war schondamals das halbe Leben! Vor den letzten Häusern des Dorfes war der Eierkorb für die dünnen Ärmchen der Fünf-, Sechs- oder Siebenjährigen oft schon eine rechte Last, aber es ist nie ein Ei zu Bruch gegangen.
Nach getaner Arbeit zog man auf »Tunne Pasch«, hier wurden die Eier verteilt, auch da blieb die traditionelle Ordnung erhalten. Der Älteste erhielt das erste Ei und immer wieder eins, wenn jeder von uns übrigen eines bekam. So hatte der Älteste oft zwanzig und mehr »gesungene« Ostereier vor sich liegen, wenn der Jüngste gerade erst eines hatte. Nun begann das »Eierwerfen«, wohl ein Relikt jenes alten Brauchs, wobei man Ostereier über das Dach des Hauses warf, um so Unheil, Blitz und Ungemach vom Hause fernzuhalten. Jeder versuchte, ein Ei so hoch zu werfen, wie er konnte. Fiel es nun auf die Wiese und blieb heil, war es ein gutes Ei; es wurde zur Seite gelegt und ein neues ausprobiert. Die Eier, die zu Bruch gegangen waren, wurden an Ort und Stelle aufgegessen. Aus einem Hause kamen immer wieder Eier, die nicht hart genug gekocht waren. Das wußte man aus Erfahrung. Diese Eier bekam wohl nicht aus Zufall immer der von uns, der gerade am wenigsten gelitten war. Mit den Eiern konnte man beim Werfen keinen Staat machen. Die Eier, die heil blieben, wurden zum Eierverstecken gebraucht. Die beiden ältesten Jungen versteckten die Eier, die anderen durften auf Suche gehen. Jedes Ei, das man fand, durfte man behalten.
So kam dann doch jeder auf eine ausreichende Anzahl »gesungener« Ostereier. Mit nach Hause genommen wurde keines; nach der Eiersuche wurden sie alle an Ort und Stelle aufgegessen.
Das eine oder andere Osterei fand irgendjemand im Laufe des Sommer unter einer Rhabarberstaude oder im Gartenzaun, der aus Wacholdersträuchern gesteckt war. Ostereier hatte damals jeder Junge genug, denn neben den »gesungenen« gab es ja zu Hause auch noch welche und Pastor Labbe, der jeweils zur Osterzeit die »Beichteier« erhielt, verteilte diese, zu Ostereiern gefärbt, ausnahmslos gleichmäßig an seine Meßdiener.