Aus Ruinen neu erstanden
40 Jahre Nikolauskirche Daun
Alois Mayer, Daun-Pützborn
Es war ein herrlicher Tag, jener Dienstag des 2. Januar 1945. Kalt war er wohl, wie es sich für einen Wintertag geziemt, und die Sonne, die am späten Vormittag vom blauen, wolkenlosen Himmel herabstrahlte, konnte den kleinen Ort Daun nicht erwärmen, tauchte ihn aber in sanftklares Licht und ließ nichts und niemanden erahnen, was sich wenige Augenblicke später ereignen sollte.
Dechant Thomas betrat die Dauner Pfarrkirche, die dem hl. Nikolaus geweiht ist. Doch er fand nicht wie sonst Sammlung und Ruhe. Lag es an dem leisen Summen, das so seltsam von ferne herandrang, dann stetig zunahm und zum bedrohlichen Donnern anwuchs? Wie berichtete er selber: »Ich ging in dem Räume hin und her. Feierlich und unaussprechlich schwer war mir zumute. In dem linken Seitenschiff arbeitete die Putzfrau, im Eingang stand der greise Küster. Plötzlich wandte ich mich zum Ausgang. Da sah ich, wie sich über dem Wehrbüsch eine Anzahl Bomber aus dem Großverbande lösten und eindeutig auf die Linie Kirche - Bahnhof ausrichteten. Schon zischte ein heller Rauchpfeil gegen die Kirche. Bis ins Mark erschüttert, rief ich dem Küster zu: Zum Pfarrhauskeller. Im nächsten Augenblick fallen Bomben. Wir liefen. Später schämte ich mich, daß ich die seelenruhig putzende Frau vergessen hatte. Beben, Bersten, Schrecken!
Die Pfarrkirche St. Nikolaus vor der Zerstörung.
Ich kam aus dem Keller und schaute durch kahle Tür- und Fensteröffnungen in eine rauchige Leere und dann in zerfetzte Baumkronen, die bisher von der Kirche verdeckt waren. Dann kam die Einsicht. Ein ungeheurer Schutthaufen wurde sichtbar. Es erloschen alle Lichter....Ein Wunder bewahrte die Putzfrau vor dem Erstickungstode. Ein tiefer Krater mitten im Trümmerberg - und tief unten frei das Antlitz des Weibleins, dessen Vertrauen nicht enttäuscht wurde. Aber das übrige, nichts als Schutt und Bruch!«
In Schutt und Bruch versank an jenem klaren Wintersonnentag eine Perle Eifeler Kirchenkunst. Die tausendjährige Dauner Pfarrkirche, jene sehenswerte dreischiffige romanische Basilika, getroffen von amerikanischen Bomben, stand nicht mehr. Bis auf den Glockenturm und die Krypta waren wertvollste Kunstschätze, unersetzbare Bilder, Figuren, Deckengemälde, Grafengräber, Wappen, Gestühl und Glasfenster wenigen Zentnern todbringendem Metall zum Opfer gefallen.
Auch das Pfarrhaus war stark beschädigt, ein Bewohnen nicht möglich. Kaplan Pfeifer zog nach Boverath und betreute jenen Ort und Rengen. Dechant Thomas nahm zwischenzeitlich Bleibe im Dauner Krankenhaus, wo auch zuerst Gottesdienst für die Pfarrkinder gehalten wurde. Ende April, - das Dach des Pfarrhauses und der Pfarrscheune waren gerade repariert, -begannen auch die Aufräumungsarbeiten am stark zerstörten Hotel Hommes. In ihm hatte man den Speisesaal mit der Terrasse als »Notkirche« vorgesehen, die nach einer stillen und nachdenklichen Einweihungsfeier am 24. 6. 1945 bezogen werden konnte.
Nun mußten die riesigen Schuttmassen der zerstörten Kirche beseitigt werden. Obwohl die meisten Pfarrkinder genügend mit ihrem zerstörten Eigentum zu tun hatten, beteiligten sich alle an den Aufräumungsarbeiten ihrer Pfarrkirche. Dennoch dauerte es über ein Jahr, bis am23. 7. die Ausschachtungsarbeiten für die neue Krypta begonnen werden konnten. Die ersten Monate standen für den Wiederaufbau nur sechs Arbeiter zur Verfügung. Straßenweise eingeteilt arbeiteten Dauner Männer abends von 19 - 21 Uhr und am 11. 8. 1946, am Namenstag des Dauner Stadtpatrons, des hl. Laurentius, fand nachmittags um 17 Uhr unter starker Anteilnahme der Pfarrbevölkerung und Vertretern deutscher und französischer Behörden die Grundsteinlegung statt.
Doch bereits wenige Wochen später, im September, trat eine mehrmonatige Unterbrechung der Bauarbeiten ein, da die französische Besatzung alle Arbeiter zum Aufbau des Dauner Kinos verpflichtete. Als deren Bedürfnis nach Kurzweil und Unterhaltung befriedigt war, konnte der Kirchenneubau unter der Bauleitung der Dauner Firma Deblon & Thielen endlich im April 1947 fortgesetzt werden.
Nach den Plänen des Dombaumeisters Dr. Weyres, Bad Godesberg, und seines Assistenten Minn sollte der Neubau das äußere Bild der zerstörten romanischen Basilika wieder erhalten. Allerdings wurde der Kirchturm um drei Meter und die Turmhaube um 1,5 m vergrößert, der Längsbau erhielt eine Verlängerung um zehn Meter auf jetzt 39 Meter. Außerdem wurden gegenüber dem zerstörten Bau die Säulen des Mittelschiffes dicht an die Außenmauern gerückt, so daß die Seitenschiffe nur als schmale Durchgänge bestehen blieben. Eine besonders auffallende Veränderung erfuhr die neue Pfarrkirche durch die völlige Neugestaltung des Chores. Dieser ist um eine Vierfaches vergrößert und weist nun einen Radius von sechs Metern auf. Seine Dachspitze überragt den First des Mittelschiffes um einen halben Meter, während früher keine Markierung im Kirchendach vorhanden war. Der alte gotische Stil des Chores wurde nicht beibehalten, sondern eine Vereinheitlichung im romanischen Stil vorgenommen. An Stelle der drei gotischen Fenster und des spitzbogigen Kreuzgewölbes traten vier schmale, hohe romanische Fenster und ein wuchtiges, paralleles Rundgewölbe. Unter diesem neuen Chor wurde eine zweite Krypta angelegt, während die alte frühgotische Krypta vollständig rekonstruiert und vom Kircheninnenraum zugänglich gemacht wurde. Beide Krypten vermitteln heute einen intimen, vertrauenerweckenden Eindruck, in denen sich gut Gottesdienst in Kleingruppen feiern läßt.
Grundsteinlegung des Neubaues am 11. 8. 1946
Für uns heute kaum mehr nachvollziehbar waren neben schwerem, körperlichem Einsatz fast ohne Maschinen, neben harten Arbeitsbedingungen, einer nicht befriedigenden Ernährungslage, schlechter Währung vor allem Organisation und Improvisation gefordert. Viele Baumaterialien waren damals in der französischen Besatzungszone nicht aufzutreiben, so daß eine große Menge dringend benötigten Materials auf abenteuerlichsten Wegen und unter Gefahr harter Bestrafung aus der englischen in die französische Zone »geschmuggelt« oder sonstwie beschafft werden mußte. So besorgte z. B. die Autofirma Nikolaus Stark, Daun, auf den verschlungensten Pfaden von Hunsrück, Lahn und Taunus die Lieferungen des gesamten Holzbedarfes für den Dachstuhl, den benötigten Zement und Kalk. Dafür trat die Kirchengemeinde im Tausch ihr das jetzige Grundstück ab. Der Wert wurde in »Kornwährung« berechnet, da die Reichsmark vor der Währungsreform »faul«, nichts mehr wert war. Der zugrunde gelegte Roggenpreis betrug 1946 18.- RM pro 100 kg.
Als im Mai 1949 endlich das Richtfest gefeiert werden konnte, merkte man allen Beteiligten die Freude über das fast gelungene Werk an, das in nahezu 800 Tagen (mit winterlichen oder besatzungsmäßigen Unterbrechungen) entstand. Ein Großteil der Arbeiten wurden in freiwilliger Fron geleistet, über 1000 cbm Schutt und Erdmassen fortgeräumt, mehr als 800 cbm Bruchsteinmauerwerk hergestellt und 300 Festmeter Bauholz verarbeitet.
Am 21. August 1949 war es endlich soweit. Die neuerbaute Dauner Pfarrkirche St.-Nikolaus konnte eingeweiht werden. Noch bevor die aufgehende Sonne die dichten Nebel des Liesertales durchdrang, begann der Trierer Weihbischof Heinrich Metzroth mit den kirchlichen Feierlichkeiten. Vor dem geschlossenen Kirchenportale segnete er Salz und Wasser als Sinnbild natürlichen Lebens, umschritt dreimal das Gotteshaus, besprengte es mit Weihwasser, während der Dauner Kirchenchor voller Freuden sang: »Gegründet wird das Haus des Herrn auf dem Scheitel der Berge«. Dann trat der Bischof in das festlich geschmückte Kircheninnere, taufte den Altar, indem er ihn siebenmal umschritt und mit geweihtem Wasser besprengte. Danach erfolgte die Weihe des Altares durch die Reliquienübertragung. In feierlicher Prozession wurden diese in die Kirche hineingebracht, in den Altartisch eingelassen, mit Krisam und Katechumenöl, dem Sinnbild für die Gnadenfülle Christi, gesalbt und mit gesegnetem Kalk und Sand verschlossen. Anschließend segnete und salbte der Weihbischof zwölf Stellen in der Kirche; zwölf, die Zahl, die an die Apostel und deren Lehrauftrag erinnert. Nach Taufe und salbungsvoller Weihe der Kirche zelebrierte Weihbischof Metzroth das erste feierliche Pontifikalamt in dieser neuerrichteten Pfarrkirche. Ihm assistierten die Pastöre Schanz (Neunkirchen), Schäfer (Schalkenmehren), Kaspers (Gevenich) und Veauthier (Buchholz). Gesänge des Kirchenchores durchdrangen das weite Kirchengebäude und kündeten vom Stolz der Dauner auf ihren neuen, religiösen Mittelpunkt, der Platz für etwa 400 Gläubige bietet. Imponierend auch das Gabelkreuz über dem Hochaltar mit dem aus Trümmern geretteten Korpus des Gekreuzigten aus dem 17. Jhd. Dieses eigenwillige Kreuz, dessen Holz aus dem Hunert stammt und das von dem äußerst fleißigen und begabten westerwälder Alleskönner Helmut Maurer geformt wurde, symbolisiert einen Lebensbaum und erinnert den Betrachter an das Wort der hl. Schrift: »Von einem Baum kam der Tod, von einem Baum kam das Leben.« Nachmittags fand eine stolze und feierliche weltliche Feierstunde statt, bei der ganz Daun auf den Beinen war, um dieser Kundgebung auf dem festlich geschmückten Kirchenvorplatz beizuwohnen, die von Kirchenchor und Musikverein umrahmt wurde. In zahlreichen Glückwunschansprachen, Grußworten und Festreden wurden lobend die Opferbereitschaft, der Aufbauwillen und tatkräftige Einsatz der Dauner Bevölkerung erwähnt, aber auch dankbar all jener Pfarreien im ganzen Dekanat Daun, der Personen und Firmen gedacht, die unter ärmlichen und mehr als einfachen Arbeitsbedingungen mit viel Organisations- und Improvisationstalent zu diesem Gotteshaus beitrugen: Matthias Thielen und Alois Deblon (Maurer-, Verputzer und Zimmererarbeiten); Gebrüder Schneider (Dachdeckerarbeiten); Alfred Abele (Elektroinstallation); Karl Hilgers und Nikolaus Jager (Klempnerarbeiten); Willi Thomas und Peter Keller (Schlosserarbeiten); Wilhelm War-neke, Geschwister Zender, Johann Berlingen und Philipp Hermes (Schreinerarbeiten); Hubert Franzen (Malerarbeiten); Schütz (Uhrreparatur); Karl Jores, Bonn (Glaserarbeiten); Got-' thard Weier, Daun und Basaltlava AG, Mayen (Steinmetzarbeiteh); Hanns Scherl, Wittlich, (Bildhauerarbeiten).
Kirche im Wiederaufbau. Bald wird auch der Turm um drei Meter erhöht.
Noch im gleichen Jahr, am 11. 12. 1949, wenige Tage nach dem Festtage des Kirchenpatrons Nikolaus erklang anläßlich ihrer Weihezum ersten Male wieder eine neue Orgel. Wuchtig und stabil stand sie auf der Empore, die Kunde gibt vom Können Dauner Schreiner, die dazu bestes Eichenholz aus Wallenborner Wäldern verarbeiteten.
1950 war die Fertigstellung des Sakristeirohbaues, die Schallöcher des Kirchenturmes wurden mit Holzjalousien versehen und 10 neue Bänke angeschafft. Ein Jahr später konnte von der neuen Kanzel Gottes Wort verkündet werden, die von dem Wittlicher Bildhauer Hanns Scherl gefertigt wurde, der auch im gleichen Jahr den Taufstein wieder herstellte. Mittlerweile wurde die Kanzel wieder entfernt und deren hölzerne Relieftafeln über dem Eingang zur Krypta angebracht. Sie zeigen bildlich dargestellt die Frohe Botschaft Gottes: Die Botschaft des Alten Bundes sind die Zehn Gebote.- Die Botschaft des Neuen Bundes ist die Bergpredigt - Der hl. Geist gibt Kraft, die Botschaft zu begreifen und weiterzugeben.
Seit 1980 erfolgten mehrere Renovierungen (Trockenlegung der Krypta, neuer Außenanstrich, Dacherneuerung und Entwässerung) und nach 1984 eine komplette Umgestaltung des Kircheninnenraumes nach Grundsätzen des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Aufstellung einer neuen Altarinsel. Die Gesamtinvestitionen betrugen rund 500 000 DM.
Stadt Daun und Kirchengemeinde haben wieder ihre Nikolauskirche, ein Gotteshaus, einfach und schlicht, imponierend und modern, ansprechend und zum Gebete einladend. Sie wurde errichtet auf den Fundamenten ihrer durch menschlichen Haß und mörderischen Wahnwitz zerstörten Vorgängerin; diese stand 1000 Jahre. Möge aus den Mauern der jetzigen Kirche mehr als tausend Jahre nur Glück und Segen strömen und Gottes Wort vom verzeihenden Verständnis und völkerverbindender Nächstenliebe zur Tat werden lassen.