Unvergessene 40 Jahre
Kriegsschicksal eines Eifeldorfes
Wallenborn - 1933 bis 1945
Matthias Thömmes, Philippsheim
Mit der Machtergreifung der Nazionalsozialisten in Deutschland war zunächst ein wirtschaftlicher und sozialer Aufschwung verbunden. Auch die Zahl der Arbeitslosen in Wallenborn wurde rückläufig, soziale Unterstützung verbesserte die Lage vor allem der kinderreichen Familien. Westwall- und Autobahnbau brachten der Eifel viele Arbeitsplätze. Mit der Aufrüstung aller Wehrmachtsteile (Luftwaffe -Marine - Heer) und den Einmärschen in Österreich (1938) und in die Tschechoslowakei (1939) zeichnete sich aber auch das kommende Unheil ab. Zwar wurden diese «Anschlüsse an das Deutsche Reich« zunächst noch bejubelt und gefeiert (die Kinder hatten schulfrei), doch kamen jetzt bereits Bedenken mit der bangen Frage: Wo soll das enden?
Der 26. 8. 1939 brachte die Antwort. Zwar wurde der für diesen Tag vorgesehene Angriff auf Polen verschoben, doch die ersten Einberufungen verbreiteten gedrückte Stimmung in den Eifeldörfern. In Wallenborn wurden an diesem Tag, einem diesigen, wolkenverhangenen Samstag, 39 Männer eingezogen, viele davon verheiratet und Väter von mehreren Kindern. Das Wort «Mobilmachung« hing wie ein Schreckgespenst über dem Ort.
Am 1. September 1939 war es soweit. Hitler hatte in den frühen Morgenstunden Polen überfallen und damit den II. Weltkrieg heraufbeschworen. Bereits am 5. September trafen die ersten Einquartierungen in Wallenborn ein. Fast jedem Haus wurden Soldaten zugewiesen, und in den beiden Schulsälen war ein Abteilungsstab von 120 Mann untergebracht. Die Schuljugend freute sich, es fiel nicht nur der Unterricht aus, es gab auch allerhand zu bestaunen. Vor allem die Jungen fanden die moderne Ausrüstung der deutschen Wehrmacht mit ihren Militärfahrzeugen, Panzern und Kanonen interessant, und das Essen aus der Feldküche schmeckte bedeutend besser als das zu Hause.
Doch die ersten Vorboten für kommende tragische Ereignisse meldeten sich. Eines nachts fielen in der Nähe von Wallenborn Bomben, wahrscheinlich von einem einzeln fliegenden, feindlichen Flugzeug abgeworfen. Sie schlugen unweit der heutigen B 257 ein, die damals eine der Haupt-Aufmarschstraßen für den Westfeldzug war. Vermutlich hatten unvollständig abgedunkelte Scheinwerfer der nach Westen rollenden Wehrmachtsfahrzeuge diesen Bombenwurf ausgelöst. Für die Dorfjugend war das eine Sensation, neugierig kletterten sie anderntags im frisch aufgeworfenen Erdreich der Bombentrichter herum, um nach Splittern zu suchen.
Mit Beginn des Frankreichfeldzuges am 10. Mai 1940 wurde es dann ernst. Immer mehr Männer wurden eingezogen und war der Ort ständig mit Militär belegt. Die ersten Gefallenenmeldungen trafen ein. Zu den Totenämtern versammelten sich fast alle Einwohner des Dorfes und abends, nach Einbruch der Dunkelheit, pilgerte man zum Heiligenhäuschen und zum Bildstock der vierzehn Nothelfer. Von weitem schon hörte man das Gebet der Frauen und Mütter: »Hilf, Maria, es ist Zeit, hilf, Mutter der Barmherzigkeit!«
Mit dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann die Notzeit des deutschen Volkes, Sie machte auch vor unseren Eifelorten nicht halt. Immer mehr Väter und Söhne wurden zur Wehrmacht eingezogen, immer öfter trafen Gefallenen- und Vermißtenmeldungen auch in Wallenborn ein. Kriegsgefangene ersetzten die durch die ständigen Einberufungen fehlenden Arbeitskräfte. Trotzdem mußte so manche alleinstehende Bäuerin mit ihren Kindern den Hof ohne Hilfe bewirtschaften. Oft half man sich gegenseitig, so gut es ging. Lebensmittel und andere wichtige Rohstoffe waren längst mit Karten rationiert, und die wenigen Schulstunden wurden oft geopfert, um Altmaterial und Heilkräuter zu sammeln.
Die Tragödie begann für die Eifel im Jahre 1944, als am 6. Juni die Invasion der Alliierten in Frankreich anrollte. Waren bis dahin die in England stationierten 8. und 9. amerikanischen Bomberflotten noch über die Eifeldörfer weggezogen - nur selten verfolgt von einigen deutschen Messerschmitt- oder Focke-Wulf-Jägern - so änderte sich das wenige Wochen nach Invasionsbeginn. Die amerikanischen Bomberverbände konnten nun von Frankreich aus starten, was vor allem den Aktionsradius der Begleitjäger wesentlich erweiterte. Pausenlos griffen die als Jagdbomber (Jabos) ausgerüsteten Mustangs, Thunderbolts und doppelrümpfigen Lightnings nicht nur den Wehrmachtsnachschub auf Straßen, Brücken, Bahnhöfen und Eisenbahnstrecken im Tiefflug an, sie jagten auch harmlose Zivilpersonen. Oft mußten sie beim Heumachen oder bei der Kartoffelernte hinter Hecken oder in Ackerfurchen Deckung suchen, um vor den Bordwaffenangriffen der amerikanischen Jabos geschützt zu sein. Das war in der Nähe von Wallenborn besonders gefährlich, da die Straße von Daun nach Bitburg ständig von deutschen Wehrmachtsfahrzeugen befahren war, die ununterbrochen angegriffen und öfters in Brand geschossen wurden.
Dazu kam im Herbst 1944 eine weitere Gefahr, die der Bevölkerung Angst und Schrecken einjagte: die V-1. In den Monaten August und September 1944 waren die Abschußrampen der angeblichen »Wunderwaffe Adolf Hitlers« in die Nähe von Eckfeld verlegt worden und sollten von hier aus auf Südengland und London abgeschossen werden. Dabei überflogen sie mit donnerndem Getöse und loderndem Feuerschweif auch Wallenborn. Das Böse an diesen Flugkörpern war, daß viele von ihnen lange vor dem Ziel auf deutschen Boden fielen und dort explodierten. So gingen auch etliche dieser als »Eifelschreck« bei der Bevölkerung verschrieenen V-1-Körper in der Nähe von Wallenborn nieder und verursachten einen nicht geringen Sachschaden. Die psychologische Wirkung war schließlich so verheerend, daß wir mehr Angst vor der eigenen V-1 als vor den feindlichen Flugzeugen hatten und voller Entsetzen in den Keller flohen, sobald das typische Fluggeräusch zu hören war. Der damals in Wallenborn tätige Lehrer Alois Keidel schreibt darüber in der Schulchronik: »Anfang November 1944 stellte ich den Unterricht endgültig ein, da die über das Dach des Schulhauses hinweggehenden V-1-Geschosse dieses allzu sehr gefährden.«
Streiflicht aus den Kriegsjahren Dorfstraße in Wallenborn
Einquartierung in Wallenborn 1939
Verstärkte militärtische Aktionen erlebte Wallenborn dann vor und während der Ardennen-Offensive, die am 16. Dezember 1944 begann. Mehr denn je war der Ort von Einheiten der deutschen Wehrmacht, u. a. der Waffen-SS mit neuen Panzern vom Typ »Tiger« und »Panther« belagert. Damit begann auch für Wallenborn die Leidenszeit des Bombenkrieges. Nachdem Daun am 19. Juni 1944 von einem schweren Bombenangriff heimgesucht wurde, traf es Wallenborn erstmalig während der Weihnachtstage 1944. Für diese Zeit hatten die Metereologen ein Hochdruckgebiet vorausgesagt, das Kälte und Sonne bei klarem Wetter brachte. Es war also ideales Flugwetter, das die alliierten Luftstreitkräfte weidlich nutzten. Bereits am späten Heiligabend fielen die ersten Sprengbomben ins Ortszentrum und zerstörten mehrere Häuser neben der Kirche. Dabei wurden vier Personen getötet.
Am nächsten Morgen griffen dann vor dem Weihnachtshochamt amerikanische Jabos den Ort im Tiefflug mit Phosphor-Brandbomben an, setzten Wohnhaus und beide Scheunen des Anwesens Klassen in Brand. Die Maschinen flogen so tief, daß ihr Sog das Dach des Wohnhauses mit sich riß. Trotz angestrengter Löschversuche brannten alle Gebäude vollständig aus, und noch Wochen nach der Katastrophe war der beißende Geruch von verbranntem Heu und Phosphor im ganzen Ort unangenehm zu spüren. Entsetzt flüchtete nahezu die gesamte Bevölkerung aus dem Ort ins Freie, um hier Schutz vor weiteren Angriffen zu suchen. Erst nach Einbruch der Dunkelheit kehrte man in die Häuser zurück.
Da die Fliegertätigkeit der Amerikaner tagsüber weiter anhielt, suchten die Dorfbewohner nun Tag für Tag Zuflucht in selbstgebauten Bunkern außerhalb des Ortes. Wie berechtigt diese Maßnahme war, zeigte der 18. Februar 1945, ein Sonntag. Weil das Wetter an diesem Tage neblig war, rechnete niemand mit einem Angriff. So waren die meisten Wallenborner in ihren Häusern geblieben. Auch als nachmittags Fliegergeräusche zu hören waren, dachte niemand an Schlimmes. Um so größer war das Entsetzen, als plötzlich ein Rauschen und Pfeifen einsetzte, das sofort von schweren Detonationen abgelöst wurde. Voller Schrecken flüchteten die Menschen in den Keller, aber es war schon zu spät. Innerhalb weniger Minuten war in und um Wallenborn ein Bombenteppich niedergegangen, der mehrere Häuser am Ortsrand zerstört, fast alle Dächer abgedeckt und unzählige Fensterscheiben zertrümmert hatte. Überall hörte man Schreie und Rufe, Bombenkrater geahnten an mehreren Stellen, und die Luft war durchsetzt vom Pulvergeruch der detonierten Geschosse. Dieses Mal starben sechs Menschen.
Das Scheitern der Ardennen-Offensive führte zum raschen Vormarsch der alliierten Truppen an der gesamten Westfront. Am 29. Januar 1945 durchbrachen drei amerikanische Divisionen den Westwall zwischen Reuland und Schönberg. Vom 7. bis 11. Februar setzten die Amerikaner mit ihren Sherman-Panzern zwischen Wallendorf und Echternach über die Sauer. Die Reste der deutschen Wehrmacht mußten sich ins Innere der Eifel zurückziehen. Zwar sollten sie an der Kyll eine neue Hauptkampflinie errichten, doch nur an wenigen Stellen kam es zu ernsthaftem Widerstand. Fluchtartig setzten sich die deutschen Truppen vor den schnell heranrückenden Amerikanern ab, nachdem sie Brücken, Bunker und die Rohre ihrer Geschützbatterien gesprengt hatten. Da nützten auch die vorher noch hastig errichteten Panzersperren nichts. Sie wurden einfach umgangen.
Nachdem tagelang der Geschützdonner von der nahen Westfront zu hören war, zeichnete sich dann am 5. März 1945 das Ende ab. Bereits am frühen Nachmittag kreiste über Weidenbach ein amerikanischer Artillerie-Aufklärer, der die nahenden Amerikaner ankündigte. In den Vorabendstunden erschienen die Spitzen der 4. US-Panzerdivision General Pattons am westlichen Horizont von Wallenborn. Sie waren im Eilmarsch, über Badem der Strecke von Bitburg nach Daun folgend, in einem schmalen Keil vorgestoßen, um so schnell wie möglich den Rhein zu erreichen. Nun näherten sie sich, aus allen Rohren feuernd, dem Ort, wärend wir ängstlich in den Kellern saßen. Obwohl Wallenborn längst von deutschen Soldaten geräumt war, wurden die Außenwände der Häuser von dem ununterbrochenen Feuer der MGs und Schnellfeuerkanonen stark beschädigt. Eine Panzergranate setzte sogar die Scheune des Hauses Becker in der Nähe des Heiligenhäuschens in Brand. Trotz der einrückenden Amerikaner konnten beherzte Männer den Brand löschen.
So waren am Abend des 5. März 1945 die Orte Meisburg, Weidenbach, Salm und Wallenborn in amerikanischer Hand. In einem Funkspruch der 4. amerikanischen Panzerarmee vom Morgen des 6. März heißt es: »5.15 Uhr. Panzer haben Brücke in Oberstadtfeld unzerstört genommen und halten sie. Die Orte Salm und Wallenborn besetzt und gehalten.«
Literatur und Quellen:
J. Nosbüsch: Bis zum bitteren Ende, Trier 1978
P. Neu/H. Orth: Am Ende das Chaos, Monschau, 1982
Schulchronik von Wallenborn