Vor 40 Jahren

Beispiel Amt Lissendorf

Peter Scheulen, Jünkerath

 

Wer die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre nicht selbst erlebte, für den lesen sich Lageberichte der Ämter des Kreises Daun wie Nachrichten aus einer anderen Welt. Von chronisch schlechter Fettversorgung, fehlenden Agrargü-tern, unbezahlbaren Schuhpreisen und von »Frondearbeit« beim Wiederaufbau ist da die Rede. Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung waren keine Themen.

Am Beispiel des alten Amtes Lissendorf mit Sitz in Birgel, gelegen in der Nordostecke des Kreises, sollen einige Eindrücke aus der Zeit vor 40 Jahren wiedergegeben werden. Das Amt Lissendorf mit etwa 5 400 Einwohnern umfaßte die 1) Landgemeinden Auel, Basberg, Birgel, Esch, Feusdorf, Gönnersdorf, Jünkerath, Lissendorf, Mirbach, Oberbettingen und Wiesbaum.

Zunächst ein Blick auf die Schlaglichter des Jahres 1949. Am 1. April wurde die französische Zone der amerikanisch-britischen Bizone angegliedert und am 10. 4. die deutsche Selbstverwaltung bis auf wenige Bereiche wiederhergestellt. Am 8. Mai verabschiedete der parlamentarische Rat nach 8-monatiger Arbeit das Grundgesetz, das nach Zustimmung der Länderparlamente und der Westallierten am 23. Mai in der »provisiorischen Hauptstadt« Bonn feierlich verkündet wurde. Am 10. Mai ging nach fast 11 Monaten die Berlinblockade zu Ende. Als Schlußpunkt der politischen Neuordnung Westdeutschlands wurde am 14. August der erste deutsche Bundestag gewählt und am 15. September wählte das neue Parlament mit den Stimmen der CDU/CSU, FDP und DP (Deutsche Partei) Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der Konstituierung des westdeutschen Staates folgte am 7. Oktober die Gründung der DDR. Die damit besiegelte Zweiteilung Deutschlands vollzog sich vor dem Hintergrund der internationalen Ost-Westteilung. Wesentlich hierfür waren im Januar 1949 die Gründung des »Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe« durch die UDSSR und im April darauf die Gründung der NATO unter Federführung der USA.

Wirtschaftliche Entwicklung

Wenn auch die großen politischen Ereignisse ihre Schatten warfen, so plagten den »kleinen Mann« ganz andere, sehr viel existentiellere Sorgen. 1949 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage mit dem Rückgang der in der französischen Zone relativ umfangreichen Ablieferungen und Demontagen. Vor allem schuf die Währungsreform vom Juni 1948 die Grundvoraussetzungen für einen wirtschaftlichen Neubeginn, doch lösten sich die Probleme nicht auf einmal. So lag im Kreis Daun die »Marktleistung« 1949 (Produktion 1948) an Brotgetreide bei nur 15 % des Jahres 1938, bei Hafer 4 %, Gerste 29 % und Milch 58 %." Die Kartoffelernte war 1948 infolge verspäteter Saatgutlieferung und erheblicher Wildschäden weitgehend ausgefallen und die Bauern im Kreis Daun mußten für 390 000 DM! Kartoffeln hinzukaufen, wovon über 140 000 DM auf Speisekartoffeln entfielen.2) Die französische Besatzungsmacht hatte sich bis Anfang 1948 alle Jagdrechte vorbehalten und der Schwarzwildbestand betrug 1949 1 640 Stück; eine stolze Zahl im Vergleich zu 100 vor dem Krieg und etwa 600 bei Kriegsende. Die Vermehrung des Wildbestandes überrascht umso mehr, als der Wald durch Krieg, Raubbau französischer Firmen und finanzschwacher Gemeinden nach 1945 schwer gelitten hatte. So hieß es im Lagebericht des Amtes Lissendorf für das erste Quartal 1949: »In der Zeit vor der Währungsreform sind überall große Kahlhiebe entstanden, die unbedingt aufgeforstet werden müßten, um wenigstens wieder in einigen Jahren Ertrag aus dem Wald zu haben. Aber nicht einmal die Mittel zur Aufforstung können aufgebracht werden.3) Überraschenderweise hatte die Währungsreform die als größte Sorge bezeichnete Finanznot zunächst verschlimmert: »Dadurch, daß sämtliche Rücklagen durch die Währungsreform verloren gegangen sind, muß wieder von vorne angefangen werden. Gemeindewege und Häuser bedürfen dringend der Instandsetzung, um noch größere Schäden zu vermeiden, die vorhandenen Mittel reichen bei weitem nicht aus, auch nur das Allernotwendigste instandzusetzen. Bei Wegebauarbeiten muß in größerem Umfange, als das bisher üblich war, auf die Fronde zurückgegriffen werden.« Fronde bedeutet nichts anderes als der aus dem Mittelalter bekannte Frondienst, doch kam dieser unentgeltlich geleistete Dienst nicht einem Grundherrn, sondern der Allgemeinheit zugute. Frondearbeiten waren, wie der Wegebau zeigt, nur da möglich, wo keine Handwerker benötigt wurden. Welche Schwierigkeiten bei der Finanzierung der übrigen Aufbauarbeiten erwuchsen, zeigt der Lagebericht für das dritte Quartal: »In früheren Jahren wurden Ausgaben dieser Art durch außerordentliche Holzeinschläge gedeckt. Diese Möglichkeit ist infolge der vielen Einschläge in den vergangenen Jahren genommen.« Mangel machte sich bei den Finanzhaushalten auch in anderer Weise bemerkbar: »Die Aufstellung der Pläne scheitert aber vorläufig an dem Nichtvorhandensein der erforderlichen Vordrucke.« Wegen allgemeinen Papiermangels benutzte man auch häufig das knappe Schreibpapier doppelseitig. Als es auf den Winter zuging, befürchtete man eine Zuspitzung der Lage wegen der Holzknappheit: »In absehbarer Zeit werden viele Gemeinden nicht mehr in der Lage sein, den Haushaltungen die alljährlichen Brennholzzuteilung zu gewähren. Die Beschaffung von anderweitigen Brennmaterialien ist ebenso schwierig.« Auch der Brennstoff für die auf ungeteerten Straßen fahrenden Autos war noch nicht gesichert, wie man zu den Autobuslinien berichtete: »Der vorhandene private Autopark genügt den gestellten Anforderungen, wenigstens dann, wenn Brennstoff genügend da ist.«

Der Krieg ist zu Ende und vieles zerstört, in Jünkerath wird eine Brücke über Bahn und Kyll gebaut...

War auch vieles noch im Argen, so verbesserte sich die Lage in der wichtigsten Frage, der Lebensmittelversorgung. Zwar verteilten die Ernährungsämter weiterhin für zahlreiche »bewirtschaftete« Güter Rationsmarken, doch war die Verbesserung nach dem Notwinter 1947/48 und den Ernteausfällen 1948 unübersehbar. So hieß es im »Politischen Lagebericht« für das erste Halbjahr 1949 zur Ernährungslage: »Die Ernährungslage hat sich wesentlich gebessert . . . Kartoffeln sind fast überall vorhanden ... Die Fettversorgung ist ebenfalls besser geworden, wenn auch noch nicht vollkommen ausreichend.« Zur landwirtschaftlichen Produktion berichtete man: »Die geforderte Brotgetreideablieferung ist nahezu hundertprozentig erfolgt. Ob der Anschluß an die neue Brotgetreideernte gesichert ist, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Die diesjährige Kartoffelernte verspricht, wenn keine außergewöhlichen Schäden auftreten, ebenfalls gut zu werden.« Nach der Ernte, im Bericht zur zweiten Jahreshälfte 1949, prophezeite man, schwer vorstellbar angesichts der durchlebten Hungerjahre, sogar heutige Landwirtschaftsprobleme, welche die Produktionsausdehnung langfristig heraufbeschwor: »Es wird vielmehr der Fall eintreten, daß die Landwirtschaft ihre Produkte nicht mehr los wird.«

Sorge bereiteten allerdings noch die hohen Preise für viele Gebrauchsgüter: »Es gibt fast kein Produkt, was nicht wieder zu kaufen wäre. Die Preise sind allerdings noch in fast allen Dingen zu hoch. Sie stehen in keinem Verhältnis zu Löhnen und Gehältern . . . von sogenannter Mangelware kann keine Rede mehr sein.« Bei der gewerblichen Wirtschaft war das Bild uneinheitlich. Während die Jünkerather Gewerkschaft nach Inbetriebnahme der Gießerei auf eine Beschäftigungszahl von 400 zuging, konnten sich Keramikindustrie und ein Betrieb für Faserbodenplatten dort nicht behaupten.

Die politische Lage

Von besonderem Interesse für die französischen Kontrollbehörden waren die »Politischen Lageberichte«. Unter »Stellungnahme der Bevölkerung zu innen- und außenpolitischen Vorgängen« hieß es bezüglich der Gründung der Bundesrepublik: »Auf innenpolitischem Gebiet wird das Zustandekommen des westdeutschen Bundesstaates lebhaft begrüßt. Nach Abschluß der Bundestagswahlen und Bildung der Bundesregierung verspricht man sich eine wesentliche Klärung und Besserung der innenpolitischen Lage.« Recht früh jedoch machte sich dann erste Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik bemerkbar: »Die vielen Zeitungsnotizen und Rundfunkmitteilungen über die Wiedereinführung der deutschen Wehrhoheit haben bei der Bevölkerung erhebliche Mißstimmung ausgelöst. Das deutsche Volk will keinen Krieg, will aber auch keine Aufrüstung.« Die Ablehnung der bereits heraufziehenden Wiederbewaffnung stand in engem Zusammenhang mit dem erst vier Jahre zurückliegenden Weltkrieg und dem Nationalsozialismus, der traumatische Erinnerungen weckte. So hieß es unter »Aktive Bekämpfung des Nazismus und politische Bereinigung: »Eine aktive Bekämpfung des ehemaligen Nazismus ist in hiesiger Gegend kaum noch notwendig. Die vergangenen geschichtlichen Ereignisse haben wohl hier ganze Arbeit geschafft. Die Bevölkerung und ebenfalls die ehemaligen Mitglieder der NSDAP aus unserem ländlichen Bezirk sind froh, nichts mehr von diesen Dingen zu hören.« Gegenüber den politischen Parteien bestand aus dem gleichen Grund eine große Zurückhaltung, während der »Allgemeine Gewerkschaftsbund« (DGB) »allenthalben als gute Einrichtung anerkannt« war. Zu den Parteien, vor Ort, insbesondere CDU und SPD, war das »Zutrauen noch sehr gering. Die Auswirkungen des vergangenen Systems sind noch überall deutlich fühlbar. Damit ist nicht gesagt, daß die Bevölkerung nicht demokratisch denkt, vielmehr ist dies darauf zurückzuführen, daß eine gewisse Angst besteht, sich überhaupt politisch zu bekennen.« Die Aktivität der Parteien war noch sehr gering, was angesichts der existentiellen Sorgen durchaus verständlich erscheint. »Lediglich kurz vor den am 14. 8. stattgehabten Bundestagswahlen war auch eine starke Belebung in parteipolitischer Hinsicht zu bemerken.« Wesentlich besser war es um die kulturellen Aktivitäten bestellt.

Das war der alte, beschrankte Bahnübergang auf der Landstraße zwischen Jünkerath und Birgel.

Kulturelles Leben

Zu Jahresbeginn am 26. Januar 1949 führte die Landesbühne Koblenz in Jünkerath »Des Teufels General« auf, was starke Beachtung fand, jedoch wegen hoher Eintrittspreise nur mittelmäßig besucht war. Zu Ostern veranstaltete der Jünkerather Pfarrer Josef Strassfeld eine gut besuchte Ausstellung mit Werken heimischer Maler, deren Erlös der Instandsetzung der Kirche diente. Sehr unterschiedlich fiel das Urteil über die örtlichen Laienspielgruppen aus:

»Besonders aktiv sind im hiesigen Amtsbezirk die Laienspielgruppen der einzelnen Jugendvereine. Sehr oft werden hier ganz gute Leistungen gezeigt.« Im letzten Quartalsbericht hieß es etwas widersprüchlich zum Weihnachtsprogramm der Laienspielgruppen: »Man kann hier oft ganz gute Leistungen sehen. Es fehlte bisher nur an einer zentralen Beratungsstelle, weshalb viel Kitsch geboten wurde.« Besondere Beachtung fand das Kino in der noch fernsehlosen Zeit. Abgesehen von einem neueröffneten Dauner Wanderkino, das in ein- bis zweiwöchigen Abständen in Lissendorf gastierte, war man auf den Kinosaal der Gaststätte Michaelis in Jünkerath angewiesen, einem von vieren im ganzen Kreis. Beliebt waren alte deutsche und englische Filme, die mitunter 250 Besucher anlockten, nachdem der Besucherrückgang infolge der Währungsreform überwunden war. Besonderen Anklang fanden die Steward-Granger-Filme »Gefährliche Reise« und »Frau ohne Herz«. »Der französische Film »Das Lied der Bernadette« wurde von alt und jung der weitesten Umgebung besucht. Die übrigen französischen und deutschen Nachkriegsfilme sagten nicht besonders zu.« Schließlich finden sich unter Rubrik »Entwicklung der Kriminalität, Jugendmoral, Jugendschutz und Selbstmorde« Hinweise, bei denen wohl auch einige Sünden so mancher besorgter Eltern von heute angesprochen werden: »Die sich immer mehr häufenden Lustbarkeiten sind für unsere Jugend unbedingt verderblich. Es kommt immer häufiger vor, daß Jugendliche sich, um an Vergnügungen teilnehmen zu können, die notwendigen Geldmittel auf unehrliche Weise beschaffen. Die Einschränkung der Lustbarkeiten erscheint mir ein unbedingtes Erfordernis. Außerdem muß eine strengere Kontrolle von Tanzlustbarkeiten bezüglich der Jugendlichen durchgeführt werden.« Was es außer Tanzabenden an Lustbarkeiten gab, wird leider nicht gesagt. Der Rock'n'Roll ließ noch einige Jahre auf sich warten, aber Charleston war »in« und schließlich dürfte man die »moralische Gefährdung« der Jugend auch in allzu enthemmenden Swingstücken von Glenn Miller und Consorten gesehen haben. Ein Hinweis dafür findet sich unter Vorschlägen für »Beeinflussungsmaterial«: »Die Hörer des Rundfunks klagen darüber, daß man nur selten gute Musik hört. Die neuzeitige Musik (Jazzmusik) wird sehr getadelt.«

Es waren also wirklich andere Zeiten vor vierzig Jahren, wie die Auszüge aus den Amtsberichten zeigen. Gab es auch wieder genug zu essen und »Tanzlustbärkeiten« in ausreichender Zahl, so fehlte es noch an vielem. Die Not der Nachkriegsjahre ist eine Botschaft an uns, daß der heutige Wohlstand alles andere als selbstverständlich ist. Vielleicht fordert der Blick in das Jahr 1949 uns im Jahre 1989 dazu auf, nicht immer noch mehr haben zu wollen und dafür an die Menschen zu denken, die heute Not leiden. 1949 war vor allem auch ein Jahr politischer Weichenstellungen, die bis heute deutsche Wirklichkeit sind. Ein Rückblick auf die Zeit vor vierzig Jahren ist also nicht nur Geschichte, sondern lohnend für jeden, der unsere Zeit verstehen will.

Anmerkungen:

(sämtliche Lageberichte beziehen sich auf das Amt Birgel)

1) Krieg und Wiederaufbau im Eifelkreis Daun 1939 - 55, Daun, 1956, S. 23

2) s. Anm. 1

3) Lagebericht 1.1. - 31.3.49, S. 2; zu den dreimonatlichen Lageberichten kamen die halbjährlichen »Politischen Lageberichte"

4) Lagebericht 1.7. - 30.9.49, S. 2

5) Lagebericht 1.1. - 31.3.49, S. 3

6) Lagebericht 1.10. - 31.12.49, S. 1

7) Politischer Lagebericht 1.1. - 30.6.49, S. 6

8) Politischer Lagebericht 1.7. - 31.12.49, S. 3

8) Politischer Lagebericht 1.7. - 31.12.49, S. 3

9) Politischer Lagebericht 1.1. - 30.6.49. S. 4

10) siehe Anm. 7

11) Politische Lage, 1. Halbjahr 1949, S. 2

12) Politische Lage, 2. Halbjahr 1949, S. 2

13) siehe Anm. 11

14) siehe Anm. 11

15) siehe Anm. 12

16) Lagebericht 1.1. - 31.3.49, S. 5

17) siehe Anm. 16

18) Lagebericht 1.7. - 30.9.49, S. 4

19) Politischer Lagebericht 1.1. - 30.6.49, S. 5

20) Lagebericht 1.10. - 31.12.49, S. 3

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