Hausschlachtung im Krieg

Wie der Ortsbauernführer überlistet wurde

Peter Jakobs, Simmern

 

September 1939, der zweite Weltkrieg bricht aus. Die Machthaber des Dritten Reiches hatten an alles gedacht. Auf dem Lebensmittelsektor war rechtzeitig Vorsorge getroffen, wir alle wunderten uns, daß gleich nach Beginn des Krieges die vorbereiteten Lebensmittelkarten ausgegeben wurden. Für zehn Jahre blieben diese Papiere für alle Bevölkerungsschichten wichtiger als Bargeld.

Neben Lebensmitteln wurden auch andere Bedarfsgüter bewirtschaftet; Textilien, Lederwaren, Hausbrand. Ein rigoroses Erfassungssystem bei den Erzeugern und drakonische Strafen bei Verstoß gegen Ablieferungs- und Verteilungsbestimmungen machten eine Versorgung mit den lebensnotwendigsten Gütern bis in die letzten Kriegstage möglich.

Sehr ärgerlich reagierte die Bevölkerung jeweils auf Kürzungen der Rationen. Doch Krisen konnten immer wieder überwunden werden, nicht zuletzt durch Ausbeutung der besetzten Gebiete. Die Anwohner der im Kriege überaus starkbefahrenen Reichsbahnstrecke Trier -Köln waren Zeuge dafür, daß täglich lange Transportzüge mit Schlachtvieh aus Frankreich Richtung Köln fuhren. Argwöhnisch achteten die Menschen darauf, daß die Rationierungsbestimmungen eingehalten wurden, die gesteuerte Presse, in unserem Falle das Trierer Nationalblatt, berichtete immer wieder von Urteilen gegen Schwarzschlächter oder Lebensmittelschieber. In der Bevölkerung löste jedes als zu milde empfundene Urteil mißtrauische Äußerungen aus.

Die Tagesrationen für den Normalverbraucher

Angaben in mm

1939

1940

1941

1942

1943

1944

1945

Fleisch und Fisch

163

137

131

111

105

96

96

Butter

23

25

27

25

24

25

21

Fett

43

29

24

20

16

16

15

Kartoffeln

486

458

543

577

697

595

573

Die Erfassung der Lebensmittel auch bei den kleinsten landwirtschaftlichen Betrieben war in dieser Zeit lückenlos und perfekt. Wehe demjenigen, der seinen Verpflichtungen nicht nachkam. So mußte meine Mutter, die zur Versorgung des sechsköpfigen Haushaltes eine Kuh hielt, die Milch täglich an die Molkerei Hillesheim abliefern. Streng war auch hier die Kontrolle. Um zu verhindern, daß wir selbst Butter herstellen konnten, wurden die »Innereien« von Milchzentrifuge und Butterfaß zwangsweise beim Ortsbauernführer hinterlegt und dort zusätzlich noch verplombt.

Von der Möglichkeit der Hausschlachtung zur Versorgung des eigenen Haushaltes mit Fleisch und Wurst wurde weitgehend Gebrauch gemacht. Natürlich mußte der Haushalt, der die Schlachtung vornahm, die Anrechnung auf die zustehenden Rationen hinnehmen; für eine gewisse Zeit wurden die Fleischkarten entzogen. Unzufriedenheit und Kritik löste bei den meisten Selbstversorgern, die Hausschlachtungen durchführten, »Anordnungen und Ausführbestimmungen zur Regelung der Selbstversorgerrationen« aus. Da ging es zunächst um die Anrechenbarkeit durch Einzelverwiegung oder Pauschalanrechnung. Zunächst war die Einzelverwiegung die Ausnahmeregelung und wurde dort vorgenommen, wo die Zugrundelegung des Anrechnungsgewichtes eine nicht zumutbare Härte bedeutete. Als »unmöglich« bezeichneten viele Ortsbauernführer und Bürgermeister die Pauschalanrechnung, nicht zuletzt wegen einer vermeintlichen Ungerechtigkeit. Nach vielem Hin und Herging man schließlich zum Verfahren der Verwiegung des Schlachttieres über. Aufgabe des Ortsbauernführer war es, das Verwiegen persönlich vorzunehmen und dies dem Ernährungsamt zu melden.

Nun war auch bei uns wieder eine Schlachtung fällig. Mit viel Mühe hatte meine Mutter in Niederbettingen ein Schwein gemästet. Beim Ernährungsamt wurde der Schlachtschein geholt, der Fleischbeschauer benachrichtigt und der Termin mit dem Hausschlächter Rauch aus Walsdorf vereinbart. Auch der amtliche »Verwieger« in Person des Ortsbauernführers war zum vereinbarten Zeitpunkt zur Stelle. Ganz ohne Probleme sollte man sich den Wiegevorgang nun wieder nicht vorstellen, denn das Tier mußte auf die Waage. Da gab es im Dorf einen Betrieb, dort konnte man sich die Verwiegekiste ausleihen. Eine Dezimalwaage mußte ebenfalls herbei und die notwendigen Gewichtssteine. Letztere wurden in mehreren Haushalten ausgeliehen. Nachdem sich das Schwein - unheilahnend - vergeblich gewehrt hatte, die Kiste zu besteigen, waltete der Ortsbauernführer seines Amtes und nahm die »amtliche Verwiegung« vor. Dabei verwendete er ein Großteil der bereitstehenden Gewichtssteine. Nach dem amtlichen Akt stellte er diese Gewichtssteine beiseite in dem Vorhaben, sie bald zur Ermittlung des Gewichtes zu addieren. Vorher half er dem Metzger bei der weiteren Vorbereitung der Schlachtung, um sich anschließend an die Hauptaufgabe zu erinnern. Ordnungsliebend, wie meine Mutter nun mal war, hatte sie in der Zwischenzeit einigen Besitzern ihre Gewichte bereits zurückgebracht. Immer wieder rechnete die Amtsperson nach, sprach vor sich hin »das kann doch wohl nicht stimmen« und »das Schwein war doch schwerer wie so«. Meine Mutter hatte die Situation sofort erkannt, schwieg aber, da es ihr klar wurde, daß sie nur profitieren könne.

Auch der Metzger hatte bei all seiner Arbeit den Vorgang mitbekommen und erklärte überzeugend, dann sei »das Tier wohl nicht schwerer gewesen«. So meldete der Ortsbauernführer das reduzierte Gewicht an das Ernährungsamt Hillesheim, ihm blieb nichts anderes übrig.

Nach dem Krieg haben wir mit dem ehemaligen Ortsbauernführer offen über dieses Ereignis gesprochen und ihm den Ablauf in allen Einzelheiten geschildert, danach noch oft über die »Überlistung« geschmunzelt und gelacht.