Zukunft für den ländlichen Raum
Auf dem Land leben
Landrat Karl-Adolf Orth, Daun
Noch vor zwanzig Jahren begegneten uns auf Schritt und Tritt in der Reklame und im täglichen Leben die Schlagworte: modern und neu. Man setze das Dorf und das Land mit altmodisch und die Stadt mit modern gleich. Die Jugend zog es fort vom Land, weil sie es besser haben wollte als ihre Väter und Mütter. Heute scheint es mir, als strebten wir zu neuen Ufern. Aus dem Slogan »Fort vom Land« kommt die heimliche Sehnsucht »Zurück aufs Land«. Gemeint ist weniger das einzelne Dorf als die ländliche Region wie unser Landkreis Daun. Da bedurfte es eigentlich nicht der Europäischen Kampagne für den ländlichen Raum, die seit ihrem offiziellen Auftakt in Protugal inzwischen europaweit die Hautthemen der heutigen Gesellschaft erkannt und erfaßt hat. Nämlich die Beziehungen zwischen Mensch und Milieu, zwischen Kultur und fortschrittlicher Entwicklung. Ich glaube, daß die Jahre 1987 und 1988 nicht besser für diese Intitiative, dem ländlichen Raum Zukunft zu geben, gewählt werden konnten.
Aus einer Landschaft, aus der die Menschen früher wegen der härteren Lebensbedingungen geflohen sind, wird eine Landschaft voller Initiative, besonders im kulturellen Bereich und bei der Dorferneuerung. Die Begriffe »ländlicher Raum« und »Landwirtschaft« bedeuteten früher ein und dasselbe, heute sind es zwei getrennte Bereiche und das ist richtig so. Das eine gehört zwar noch zum anderen, ihre Beziehungen sind aber nicht mehr statisch, sondern organisch. Das reine Bauerndorf gibt es auch bei uns kaum noch, mag man es bedauern oder begrüßen. Aber der ländliche Raum ist geblieben und wartet darauf, eigenständig geformt und gestaltet zu werden. Und wir sind auf dem richtigen Weg. Ein neuer Schwung kam durch unsere Strukturpolitik und der Erkenntnis, den Dörfern neues Leben zu verschaffen. Landwirtschaft, Handwerk und Fremdenverkehr haben so etwas wie Urbanismus auf dem Land begünstigt, der hat einer städtischen Lebensqualität manches voraus. Hörte man früher oft Lob über die gute Luft im Vulkaneifelkreis, so wurden auch immer Klagen über die fehlenden kulturellen Einrichtungen laut. Heute kann man sagen, daß die Bestrebungen unseres Landkreises mit denen der Bürgerinnen und Bürger übereinstimmen, Kultur und kulturelles Leben aufs Land zu bringen. Ein Motto der Europäischen Kampagne lautet »Auf dem Land leben«. Das wäre noch vor wenigen Jahren weitgehend mit Skepsis und Ablehnung bedacht worden. Kluge Leute haben gerechnet, daß mehr als die Hälfte der Bundesbürger heute im ländlichen Raum leben. Daß Sie auch weiter hier bleiben und arbeiten wollen, dazu hat die Forderung »Kultur aufs Land« entscheidend mitgewirkt. Wir haben im Landkreis Daun in den letzten Jahren vieles bisher Selbstverständliche als ländliche Kultur neu entdeckt und der Bevölkerung vorgestellt. Wir gingen manches Jahr achtlos an den Wegekreuzen vorbei, sahen die alten Takenplatten an den Häusern und sahen sie auch nicht. Museumsreif waren in der als geschichtslos angesehenen Eifel nur Bilder alter Meister und besichtigungswert die Dome und prächtigen Schlösser. Die vergessenen Schätze am Wegesrand harrten lange Zeit darauf, kulturgeschichtlich ernst genommen zu werden. Eine Fundgrube für den Freund bäuerlicher Kultur und alter Eifeler Bauart war viele Jahre (und ist es noch heute) der Wackenroder »Die Kunstdenkmäler des Kreises Daun« aus der Reihe »Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz«. Nach diesem Standardwerk sind in den letzten Jahren weitere Kreisbeschreibungen der Landschaft und Kultur entstanden, die von Bürgerinnen und Bürgern und den Freunden des Landkreises Daun mit Begeisterung aufgenommen wurden. Auch die Reihe der Heimatjahrbücher gehört dazu. Die alten Bauwerke, die Wohnkultur früherer Generationen, Kirchen und Kapellen, aber auch alte Gebrauchsgüter des täglichen Lebens und des Handwerks sind von hohem Wert und Wegzeichen für das Selbstverständnis unseres ländlich geprägten Kreises. Es gilt, diese Kostbarkeiten in Schutz und Obhut zu nehmen. Wir haben in Gerolstein ein Kreisheimatmuseum, die Villa Sarabodis (röm. germ. Museum) und neuerdings das naturkundliche Museum; in Daun ein städtisches Museum. Wir werden im Alten Landratsamt ein Kulturhaus einrichten, das die Abteilung »Bäuerliches Umfeld« und »Maler der Eitel« beherbergen soll. Heimische Kräfte in Neroth wollen die alte Handwerkskunst der Drahtwarenherstellung in einem kleinen Museum der Nachwelt erhalten. All das zeigt, wie sehr sich unsere Heimat gewandelt hat, die liebenswerte und schwer zu enträtselnde Vulkanlandschaft aber blieb. Bei unseren Künstlern können wir dies gut ablesen und zu ihnen zählt wohl auch Sebastian Münster, dessen Todestag sich zum 500sten Mal jährte. Seine »Cosmographia« ist in diesem Jubiläumsjahr in aller Munde und warum? Er vermittelt in seinem Werk jene Freude, die eine Wanderung durch Geschichte und Landschaft weckt. Als ich zum ersten Mal die Eifelkarte Sebastian Münsters sah, staunte ich. So sehr ist man gewohnt, den Norden oben und den Süden unten zu sehen. Bei ihm ist es umgekehrt und der Westen liegt rechts und der Osten links. Schon deshalb reizt es, zu hören, was der große Mann uns über die Kultur der Eitel zu sagen hat. Er bezeichnet die Eitel als trefflich rauhes Land. Gerolstein wird mit Italien verglichen, weil hier Melonen, Gurken und krauser Rettich wachsen. Er erwähnt die Eisenbergwerke, wo Formen und Eisenöfen gegossen werden und die vielen Burgen des alten Adels. »Von dort kamen einst, wie aus dem Trojanischen Pferd, Ritter hervor, die daheim in der Fremde wohl ausgebildet waren.« Zum 500jährigen Jubiläum konnte der Mann auf dem Hundertmarkschein, wie er jetzt überall genannt wird, sich wundern über die »sinnreichen Köpfe in der Eifel«, die sich eingeübt haben in Tüchtigkeit und ihr Land zu dem machten, was es heute ist; liebenswert, interessant, ein Schmuckstück unter den deutschen Landen.
Und noch ein Jubiläum sollten wir erwähnen, 1888 wurde der Maler der Eifel Pitt Kreuzberg geboren. Ein eigenwilliger, manchmal auch unbequemer Künstler, den wir im Landkreis Daun 22 Jahre nach seinem Tode mit einer besonderen Gedächtnisausstellung ehrten.
Dort, wo Kultur und Kunst sich rühren, zeigt sich Leben, da wächst Hoffnung und Lebensfreude, da werden auch Kräfte wach, die für die Gestaltung unseres Raumes wichtig sind und die unsere Bevölkerung dringend braucht. Die Wertschätzung und das Ernstnehmen der Kultur und der Künstler der verschiedensten Zweige sind seit eh und je ein Beweis für die geistige Eigenständigkeit eines Landkreises. Ich möchte auch im weiteren Sinne das Handwerk dazuzählen.
Es ist für mich eines der schönsten Erlebnisse, daß das Dorf als Lebensgemeinschaft wieder gefragt ist und der Wunsch nach einer gesunden und intakten Umwelt läßt sich im Dorf und in einem Landkreis wie dem unseren am ehesten erfüllen. Hier kann man daheim sein, hier können Volkstum, Brauchtum, Dialekt und Lebensformen als Einheit immer noch erlebt werden.
Wir wollen aber nicht übersehen, daß Heimat mehr ist als kulturelles Erbe. Auch Wirtschaftskraft und sichere Arbeitsplätze in erreichbarer Nähe gehören dazu. Nur die ganzheitliche Betrachtung vermittelt Heimatgefühl und Bindung an daheim. Wie bei einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung kulturelle und ideelle Kräfte wachsen, ist dort, wo aktives kulturelles Leben herrscht, auch das Engagement vorhanden, konkrete kommunale Politik mit dem Ziel der Erhaltung und Gestaltung des ländlichen Raumes zu machen. Und das beobachten wir in den letzten Jahrzehnten in unserem Landkreis. Dieses Bild der Gegenwart ist noch nicht abgeschlossen. Es entwickelt sich weiter in die Zukunft, wenn auch vielleicht nicht mehr im Tempo der vergangenen Jahre.
Gefordert wird die Kraft der Phantasie, des Denkens und Handelns. Lebendige Ortsgemeinden, dazu zählen auch kleine Städte wie Daun, Gerolstein und Hillesheim, die aus einem ganzheitlichen Denken und Planen für die Zukunft gestaltet werden, können ihre Anziehungskraft auf die Jugend und alle Bürgerinnen und Bürger nicht verlieren.