Nun iß mal schön vom Rand ab

Anna Belmonte

 

Kinder sind spontan, genußsüchtig, sie stürzen sich auf Neues, achten nie auf Gefahren und . , . verbrennen sich den Mund.

Ich weiß das aus Erfahrung. Grießbrei war mein Leibgericht, darüber heiße, braune Butter; Zucker und Zimt.

Nichts konnte köstlicher schmecken, lange danach rangierte Vanillepudding mit Himbeersoße.

Wenn Mutter Grießbrei kochte, das war ein Fest. Der Suppenteller, gefüllt bis an den Rand, Butter und Zimtzuckergemisch gaben eine verlockende Farbe - zum Anbeißen, ich fühlte mich wie im Märchen und griff zu.

Dann die erste Ernüchterung.

Das Zeug war heiß, man kam nicht heran, nicht hinein.

»Nun iß mal schön vom Rand ab.« Mutter meinte es gut.

Aber am Rand schwimmen Butter und Süßes, wer das aufißt, hat drinnen nichts mehr vom Fett, der Süße, dem Gewürz. »Du kriegst nachher noch mal Zucker drauf,« versprach Mutter. Das machte Mut.

Also aß ich »vom Rand ab« und alles war gut. Jetzt essen meine Enkel den süßen Brei und ich mühe mich, ihnen zu erklären, wie wichtig es ist, vom Rand ab zu essen. Schließlich hab ich's erfahren.

Auch später, als ich erwachsen war. Wie oft blieb mir der heiße Brei im Halse stecken, immer wieder nahm ich »aus der Mitte«, hab mir den Mund verbrannt, geprustet, mich verschluckt und beklagt. Immer wollte ich der Sache sofort auf den Grund gehen, alles ganz haben, den Kern ergründen. Es klappte nicht.

Heute weiß ich, daß Mutters Rat. . . nun iß mal schön vom Rand ab ... nicht nur für Grießbrei gilt. Sich »vom Rand« durcharbeiten, von der äußeren Hülle zum Kern, mit Mühe und Fleiß -das ist ein guter Weg. Da gibts Durststrecken, aber auch Phasen des Wohlgeschmacks und wer geläutert, erfahren den »Kern der Sache« erreicht, bringt die nötige Gelassenheit mit.

Heute danke ich meiner Mutter für den Rat. . . »nun iß mal schön vom Rand ab«.