Lesen ist so schön wie fliegen
Jugendbuchausstellung Willi Fährmann
Malte Blümke, Daun
Im Rahmen der Jugendbuchausstellung »Lesen ist so schön wie fliegen«, die von der Volksbank Daun, dem Geschwister-Scholl-Gymnasium, der Kreisverwaltung Daun und der Buchhandlung Werner mit Förderung des Kultusministeriums Rheinland-Pfalz im Mai 1988 durchgeführt wurde, hatten Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Gelegenheit, den langen Weg des Willi Fährmann, der seit mehr als dreißig Jahren durch die deutsche Literaturlandschaft führt, nachzuvollziehen. Die Statistik weist aus: Mehr als 30 Bücher mit über 70 weiteren Lizenzausgaben in anderen Ländern; ca. 20 Literaturpreise, darunter der renommierte Deutsche Jugendliteraturpreis; Auflagen von mehr als einer Million Büchern, mit denen man leicht die Strecke Hamburg -München pflastern, 3 Meter im Bücherregal füllen oder Gewichtheberrekorde aufstellen könnte. Man kann die Bücher Fährmanns aber auch lesen.
Wie kommt es, daß so viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene gerne diese Bücher lesen? Was ist überhaupt - lesen? Fährmann läßt es die Lillimaus in dem »überaus starken Willibald« erklären: »Lesen, das ist wie fliegen, fliegen aus unserer Küchentür hinaus hoch über die Bäume im Garten hin und weiter, immer weiter in fremde Länder und ferne Welten.« . . . .»Lesen, das ist wie segeln, segeln den Bach hinter dem Garten hinab und weiter, immer weiter durch reißende Ströme und endlose Meere.« . . . »Lesen, ja, das ist wie sehen mit anderen Augen.« Wir sehen, daß Fährmann den komplexen Sachverhalt des Lesens auf einfache Weise mit Hilfe einer anschaulichen Bildersprache erklärt.
Wenn wir uns für das Bild »Lesen ist so schön wie fliegen« als Leitmotiv für unsere Ausstellung entschieden hatten, so möchten wir damit ausdrücken, daß durch die Ausstellung Betrachter und Leser sich von seiner alltäglichen und historischen Realität in eine neue Welt erhebt. Er sieht durch die Bücher Willi Fährmanns die Welt von oben mit ganz anderen Augen, aus einer neuen Perspektive. Das, was für ihn bisher so groß und wichtig erschien, ist auf einmal klein und belanglos. Anderes bekommt neue Bedeutungen, da die Zusammenhänge aus der Vogelperspektive deutlich werden.
Diese Distanz, die hilft, Abstand von uns selbst zu finden und schließlich uns besser zu erkennen, zeigt sich auch in Fährmanns Gesamtwerk. Denn immer wieder haben wir es mit geschichtlichen und biblischen Themen zu tun. Stoffe und Personengestaltungen sind auch in Willi Fährmanns Biographie begründet. Und dies in dreifacher Weise: Fährmann, am 18. Dezember 1929 in Duisburg geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Arbeiter in einer Bierbrauerei. Der Sohn hatte es nicht leicht. Nach den Wirren des 2. Weltkrieges trat er eine Maurerlehre an und holte später in Abendschulen die Qualifikation zum Studium nach.
Daß sich Fährmann dann zum Studium an den Pädagogischen Hochschulen in Oberhausen und Münster entschloß und als Volksschullehrer in Duisburg, dann als Rektor und Schulrat in Xanten tätig war, zeigt das starke pädagogische Anliegen Fährmanns, das auch in der kirchlichen Jugendarbeit deutlich zum Tragen kommt. Und als drittes Moment ist die Großmutter zu nennen, die Fährmann mit ihren wunderbaren Geschichten auf den langen Weg der Literatur brachte. Alle drei Faktoren haben beigetragen, daß Fährmann einer der großen deutschen Erzähler wurde.
Willi Fährmann in seinem Haus in Xanten bei der Vorbereitung der Dauner Ausstellung
Im Laufe dieses langen Weges von über 30 Jahren deutscher Literatur erreicht Fährmann ein Gleichgewicht von thematischer Aussage und gestaltenden Mitteln. Er scheut sich nicht, brisante Themen wie Antisemitismus («Es geschah im Nachbarhaus«), Diktatur (»Der überaus starke Willibald«), Krieg und Vertreibung (die Bienmann-Romane) anzusprechen. Er verzichtet jedoch auf Schuldzuweisungen, zeichnet keine schwarz-weiß-Bilder. Patentrezepte werden nicht angeboten, aber Lösungswege aufgezeigt. Das Gute und Böse sind nicht in Stereotypen dargestellt, sondern liegen im Menschen selbst. Schauen wir uns dazu den »Langen Weg des Lukas B.« - einen der Höhepunkte in Fährmanns Werk an. Der Großvater Friedrich Bienmann wird als starke, verantwortungbewußte Persönlichkeit dargestellt. Gleichzeitig zeigt er sich autoritär, starrsinnig und hartherzig, indem er seinen Sohn Karl in die Verzweiflung treibt. Doch dabei bleibt es nicht. Friedrich Bienmann lernt aus seinen Fehlern und läßt den Enkel Lukas seinen Weg gehen, auch wenn der nicht den großväterlichen Vorstellungen entspricht.
Im Rahmenprogramm zur Jugendbuchausstellung begeisterte Willi Fährmann mehr als 1 000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Eltern, Pädagogen und Erzieher ermunterte Fährmann in seinem Vortrag bei der katholischen Erwachsenenbildung, wieder Geschichten zu erzählen und aus Büchern vorzulesen: »Das Lesen vermittelt eine unverzichtbare Grunderfahrung; Geschichten sind schön. Die hörende Begegnung des Kindes mit dem Text kann eine Textrezeption von hoher Qualität sein.«
Daß Fährmann diesen Anspruch auch selbst einlösen kann, bewies er bei Autorenlesungen, im Thomas-Morus-Kindergarten Daun und der Dauner Grundschule, wo er seine Bilder- und Kinderbücher sehr lebendig vorstellte. Sein erzählerisches Naturtalent zeigte Fährmann auch vor mehr als 200 Schülern aller Altersstufen in der Aula der Hauptschule Daun. In freier Rede erzählte er von seinem Beruf als Schriftsteller, seinen Themen, wie Bücher entstehen und wie die Leser darauf reagieren. Fährmanns These, daß die Literatur eine Schwester der Musen sei, konnte durch die anschließende Theateraufführung »Juli« der Kurfürst-Balduin-Hauptschule Kaisersesch eindrucksvoll bestätigt werden. Die Hauptschüler aus Kaisersesch hatten Fährmanns Geschichte von dem Jungen Juli, der vergeblich seine Kaninchen verschenkt, um ein Mädchen zu gewinnen, gekonnt in Szene gesetzt.
Zum Abschluß des weit gefächerten Rahmenprogramms las Fährmann im Leseclub »Bücherwurm« aus dem Buch »Es geschah im Nachbarhaus«.
Er erzählt da die Geschichte einer jüdischen Familie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einer Kleinstadt am Niederrhein fälschlich des Mordes an einem Kind beschuldigt wird. Fährmann gelang es, den Schülern zu vermitteln, wie Vorurteile entstehen können und welche Auswirkungen sie haben. Zur Recht wurde die Lesung Willi Fährmanns im Leseclub »Bücherwurm« am Geschwister-Scholl-Gymnasiums als eine »Sternstunde« bezeichnet. Bei allen Lesungen, Vorträgen und Werkstattgesprächen in Daun spürten die Teilnehmer Fährmanns eigene Begeisterung für das Lesen - und: Beigeisterung steckt an!
Willi Fährmann
Der überaus starke Willibald
Titelblatt vom Buch »Der überaus starke Willibald»
Die große Resonanz der Jugendbuchausstellung in Daun, die immerhin 3 000 bis 4 000 Besucher erreichte, lag auch in den ausgezeichneten Illustrationen der Fährmann-Bücher, von denen 60 im Original ausgestellt wurden, begründet. Die meisten Bilder stammten vom Trierer Illustrator Herbert Holzing, von dem Otfried Preußler sagt: »Herbert Holzing gehört zu den Menschen, die es sich im Leben nicht leicht machen, auch als Künstler nicht.
Deshalb nimmt er die Dinge nicht einfach hin, wie sie sind: Er versucht, ihnen auf den Grund zu kommen, sie ihrem Wesen nach zu erfassen und innerlich zu begreifen, bevor er darangeht, das so Begriffene in Zeichen und Bildern wieder aus sich hervorzubringen.«
Die besondere Technik Holzings wurde deutlich in der Bilderbuchwerkstatt des St. Nikolaus-Kindergartens in Daun. Die Themen werden zunächst in Sepia-Tönen flächig angelegt. Durch Aussparen und Herausschaben mit dem Messer sind Strukturen und Ornamente sichtbar.
Durch verschiedene Schichten farbiger Folien erzielt Holzing dann eine starke Leuchtkraft, die in den Büchern nur teilweise reproduziert werden kann.
Die über 200 Exponate und das Rahmenprogramm zur Ausstellung sorgten dafür, daß sie zu einer Modellausstellung wurde. Gedankt sei dafür den Verlagen Thienemann, Arena und Echter, den Mitveranstaltern, dem Friedrich-Bödecker-Kreis und dem Kultusministerium. Mit der Ausstellung »Lesen ist so schön wie fliegen« hat sich Willi Fährmann im wahrsten Sinne des Wortes als ein sicherer »Fährmann« zu neuen Ufern des Lesens erwiesen!
Sie haben alle Details der Ausstellung in der Kreisstadt mit Fährmann durchgesprochen; Ursula Daub und Doris Rücker von der Kreisverwaltung.