Blick über die Kreisgrenze

Von Hinterhausen nach Jerusalem

Der Eifelbauer Karl Weier und seine 10jährige Pilgerreise ins Heilige Land

Theo Pauly, Gerolstein

 

Hätte ich seinerzeit bei meinem Aufenthalt in Jerusalem von ihm und seiner zehnjährigen Pilgerreise im Heiligen Land gewußt, ich hätte keine Mühe gescheut, seine Grabstätte, falls es sie noch geben sollte, aufzusuchen und am Grab jenes frommen und aufrechten Eiflers in Gebet und Gedenken zu verharren. Er war ein starker Charakter, wie es sie zu allen Zeiten in der Eifel gab, der Bauer Karl Weier, am 21. Juli 1855 in Hinterhausen geboren, und 80ährig in Jerusalem verstorben. Die Rhein-Zeitung widmet ihm in der Ausgabe Nr. 49 1949 einen ganzseitigen Artikel, ihm und seiner Reise nach Jerusalem.

Dem Verfasser des Artikels, der mit K. K. zeichnet, hat Wesen und Lebenseinstellung des Hinterhauseners offensichtlich imponiert; in liebevoller und anerkennender Weise berichtet er von ihm: »Weil er anders war wie die anderen, belächelten sie ihn als Sonderling. Er ließ sie gewähren, kümmerte sich nicht um ihre Witzeleien und ging seinen Weg«. Er erzählt über den zweimaligen Traum des 14jährigen Jungen von einer Pilgerreise nach Jerusalem, von seinem intensiven Bibel-Studium, seinem Bildungsdrang und wie er »wegen seiner großen Frömmigkeit, die aus dem Rahmen fiel, oft im Dorf verulkt« wurde, von seinem mustergültigen Familienleben, daß er in »vorbildlicher Weise das Christengebot der Nächstenliebe« verwirklichte: »Kein Armer, der anklopfte, ging ungespeist aus seinem Hause, und mochten ihrer auch zehn an einem Tage kommen«.

Wie er irdisches Leben und tiefe Religiosität als Einheit empfand, geht aus der folgenden Passage des Zeitungsartikels hervor: »Ende 1924 erkrankte Weiers Frau. Als Weier am letzten Samstagabend des Jahres sah, daß es mit ihr zu Ende ging, nahm er sie auf die Arme, trug sie durch Haus und Stallungen, damit sie sich von allem verabschieden könne. Dann saß er die ganze Nacht allein an ihrem Sterbebett, ohne, wie das üblich ist, die Nachbarn zum Beten zu rufen. Ihn schreckte der Tod ebensowenig, wie die Frau, die sich auf ihr letztes Stündchen gut vorbereitet hatte. Gegen Morgen verschied die Frau. Weier deckte die Leiche zu, schloß das Haus ab und ging nach Gerolstein in die Frühmesse«. Für ihn war alles, was ihn traf, gottgegeben und er fügte sich ohne Murren.

Karl Weier, Hinterhausen,

Foto: Gerhard Schüßler, Gerolstein

Die Ehe war kinderlos geblieben. Damit seinem Haus, das 1778 von einem Johann Schüßler erbaut worden war, der Name »Schüßler« erhalten bleibe, vermachte er dieses mit einigen Morgen Land einem Großneffen aus Birresborn, den er zwar nur dreimal in seinem Leben gesehen hatte, der aber den Namen »Schüßler« trug, dem Vater des Herrn Gerhard Schüßler, der die Unterlagen für diesen Bericht zur Verfügung stellte. Nun war er frei, „um seinen Jugendtraum zu verwirklichen und nach dem Heiligen Land zu pilgern. Am 22. März 1925 machte sich der 70jährige Karl Weier, der in seinem Leben kaum über den Marktflecken Gerolstein hinausgekommen ist, auf die Reise in das ferne, Heilige Land. Von den Benediktinern in St. Matthias ließ er sich beraten. Dann verabschiedete er sich von Freunden und Bekannten, segnete sein Haus, sagte auch seinen Feldern »Adjüß« und fuhr.

Nachdem einige Schwierigkeiten unterwegs ihn nach Rom geführt hatten, wo er in den Genuß einer Audienz bei Papst Pius XI. gekommen war, trat er von dort aus endgültig die Schiffsreise nach Palästina an. „Er kannte weder Rast noch Ruhe, bis er alle Orte und Stellen, die in der Bibel erwähnt werden, gesehen hatte. »Wie oft werde ich«, so schreibt er nach Jahren einmal in einem Brief in die Heimat, »die Wege unseres Herrn schon gekreuzt haben, dann die Abrahams, Isaaks, Jakobs und seiner Söhne und der heiligen Propheten, wie sie das Volk lehrten. Nun ja, ich gehe hier herum und würde mich gern für Gott nützlich machen, aber ich kenne die Sprache nicht und bin wie ein unnützer Knecht«. Er faßte seine Pilgerreise nicht als Vergnügen auf, sondern als Dienst zu Ehren des Herrgotts. An ein arbeitsreiches Leben gewöhnt, verdrießt es ihn, daß er im Heiligen Land dem Herrn nicht noch besser dienen kann."

So hatte Karl Weier sein Leben vollkommen in den Dienst Gottes gestellt. Jetzt, da er zwar alt, aber frei von Familienpflichten war, drängte es ihn, sich ganz Gott hinzugeben. Und dann empfand er doch, daß dies Unterfangen nicht immer unbedingt leicht war. So heißt es im Zeitungsbericht von 1949 weiter: »Eine Zeit lang lebte Weier in einem Benediktinerkloster in Jerusalem als Laienbruder. Aber in die strenge Ordensregel konnte sich der alte Bauer doch manchmal nur schwer fügen. Golgatha hinauf betete er oft den Kreuzweg mit. Stillschweigend hatte man ihm erlaubt, auf dem Rückzug sein Pfeifchen zu rauchen. Als er jedoch einmal eine Schüssel zerbrochen hatte und sich dafür selbst eine Strafe auferlegen sollte, machte ihm der Eifeler Dickschädel so zu schaffen, daß er das Kloster verließ. Im gegenüberliegenden Kloster der Borromäerin-nen wurde er gern aufgenommen. Dort machte er sich nützlich mit eifriger Arbeit im Garten und in der Werkstatt«. Wie tröstlich zu erfahren, daß dieser doch so fromme und glaubenseifrige Alte im Grunde seiner Seele immer noch Mensch und Eifler geblieben war, dem die Tatsache, sich für eine kleine Unachtsamkeit selbst bestrafen zu müssen oder zu sollen, so zuwider war, daß er einen anderen Aufenthaltsort wählte.

Auch wenn sein Lebenswunsch in Erfüllung gegangen war und er seine letzten Lebensjahre in dem Land und an den Stätten verbringen durfte, an denen sein geliebter Herr und Meister Jesus Christus gelebt und gewirkt hatte, so war offenbar ein Teil seines Herzens doch in der angestammten Heimat zurückgeblieben. Er wäre wohl auch kein echter Sohn der Eifel, hätte er sich anders verhalten. In seinen Briefen gab der alte, nicht schreibgewohnte Eifelbauer, erstaunlich lebendige Schilderungen seiner Reisen. Er vergaß aber auch in der Ferne keinen Namenstag eines alten Bekannten daheim, schrieb zwar immer, daß seine Sehnsucht erfüllt sei und er kein Heimweh verspüre, aber man merkt es seinen Briefen doch an, daß er in Gedanken oft in seinem lieben, alten Hinterhausen weilte. So erzählt er in einem Brief acht Seiten lang begeistert über das Heilige Land. Dann steht da ohne Übergang: »Sind daheim noch alle gesund? Wie steht die Frucht? Wer lebt noch von den alten Leuten? Gab es dieses Jahr viele Heidelbeeren?«

Im Alter von 80 Jahren war nach kurzem Krankenlager im Jahre 1935 seine Pilgerreise zu Ende. Die Oberin des Klosters schrieb in einem Brief, in dem sie Karl Weiers Tod seinen Verwandten in Hinterhausen mitteilte: » Betend, singend und scherzend verbrachte er seine

letzten Stunden und starb mit einem Lied auf den Lippen. Karl Weier wird in unserem Kloster noch in hundert Jahren nicht vergessen sein.« Der Zeitungsbericht schließt mit dem Satz: »Als edler Mensch ist Karl Weier durchs Leben gegangen und ehrfurchtsvoll gedenkt man heute seiner in der Heimat.«

Dem ist nichts hinzuzufügen, allenfalls die Feststellung, daß wir Eitler stolz darauf sein dürfen, daß es solche Menschen in unserer Heimat gab und auch noch geben wird: Eifler!

(Die Unterlagen zu diesem Beitrag stammen von Herrn Gerhard Schüßler, Gerolstein)