Fahrt in die Provence

Lotte Schabacker, Daun

 

Banken bieten mehr als Geld und Zinsen -sagen sie. In unserem Fall taten sie es auch, bei der Studien-Busfahrt in die Provence im Mai 1988, zu der sie 42 Leute aus Daun und dem Kreisgebiet verlocken konnten.

Mir boten sie fürs erste die Chance, mich am Abfahrtstag kurz vor fünf Uhr morgens bei Dunkelheit und Kälte vor der VB in Daun einzufinden, wo der Bus mich schlucken sollte. Ich dachte: Das überlebst du nicht! Aber ich überlebte es doch, sehr gut sogar, und kam auch pünktlich um 19:45 Uhr in Arles an. Mitsamt meinen Reisegefährten natürlich, einer angenehm buntgemischten Gruppe von Jungen, Alten und denen dazwischen, die für eine Woche das gleiche Ziel hatten: Die Provence zu erleben.

Von vornherein will ich sagen: Es geht nichts über einen routinierten und freundlichen Busfahrer! (In diesem Fall waren es für die Hin- und Rückfahrt deren zwei). Es könnte alles mögliche verlorengehen - aber wenn DER uns gestohlen würde; eine echte Pleite.

Der Bus aus dem Hause »Enstaireisen Arzfeld« durfte sich als Luxusklasse bezeichnen und er war tagsüber für uns so etwas wie ein mobiles Zuhause. Er rollte uns zu allen gesteckten Zielen, wartete geduldig, bis auch der letzte Wanderer von seinem Streifzug zurückkam, kochte für uns Kaffee, hielt Getränke bereit, ja, sogar Bitburger Bier. Und abends brachte er uns immer wieder zum gepflegten Hotel am Rande von Arles zurück, wo liebenswürdige Betreuer uns mit einem ausgedehnten Menü ä la Provence erfreuten.

Die Provence - was ist das? Und weshalb zog es uns dorthin? Diese Provence ist eher ein Begriff als ein Land mit festen Grenzen. Moderne Historiker verstehen darunter im allgemeinen das Land, das sich zwischen der Rhone und den Alpen erstreckt und von der oberen Durance bis zum Mittelmeer. Aber das, was für den Besucher die Provence ausmacht, ist unabhängig von ihren Verwaltungsgrenzen. Es sind ihr Licht, ihr Klima, ihre Vegetation und der Charme einer vielfältigen Landschaft.

Um nur einiges zu nennen: Da gibt es ein Stück Mittelmeerstrand und das Flachland des breitausladenden Rhone-Deltas, Camarque genannt, mit den weißen Pferden, den schwarzen Stieren, den Flamingos und sonstigen seltenen Vogelarten. Zum Norden hin wechseln Ebenen mit Flußtälern und bizarren Karstgebirgen. Man kann die Quelle der Sorgue (Fontaine de Vaucluse) bestaunen, eine der stärksten Quellen der Welt mit einem »Quelltopf«, der aus noch unerforschten Tiefen eines Karstgebirges gespeist wird. Oder die erstaunliche, gelb-rote Ockerlandschaft um das Dorf Roussilon. Man kann auch auf den Mont Ventoux gelangen, Wohnsitz des keltischen Windgottes, mit 1909 m der höchste Berg der Provence, der in dieser üppigen Landschaft so absurd wirkt, weil sein oberer Teil völlig kahl ist. Der Mistral, dieser rüde Provence-Wind, läßt hier keinen Grashalm zu.

Und man sieht Ölbäume, Pinien, massenhaft Zypressen. Und die berühmten, duftenden Krauter der Provence. Und riesige Lavendelfelder. Und Steine. Sehr viele Steine! In allen Größen und überall, so daß hier ein Weg von zehn Minuten anstrengender sein kann als ein Stundenmarsch um Daun. Was die Provence nicht zuletzt zu einem so besonderen Fleckchen Erde macht, ist ihre Geschichte. Sie war das Einzugsgebiet der alten östlichen Kulturen. Da kamen die Phönizier, die Griechen, die Römer und eroberten von dort aus den Norden und Westen Europas. Den Römern scheint dieses Land besonders gut gefallen zu haben. Ihre genialen Baumeister bauten hier für die Ewigkeit Tempel, Amphitheater, Patrizier- und Landhäuser, ganze Siedlungen, den Aquädukt, der Wasser nach Nimes brachte, Denkmäler, Triumphbögen und vieles mehr. »Wer sich gründlich in der Provence umschaut, kann sich Rom sparen!« meinte einer aus unserer Gruppe. Er ist mit seiner Ansicht in guter Gesellschaft. Schon Plinius schrieb über dieses Land: »Mehr als eine Provinz - ein anderes Italien!«

Zeichnung von Paul Margraff, Gordes in der Provence.

Als die Ewigkeit für die Römer vorbei war, hielt hier das Christentum seinen Einzug. Eine große Zahl sehenswerter, romanischer Kirchen entstand, später natürlich auch Gotteshäuser in anderen Baustilen. Die mittelalterlichen Landesherren bauten ihre Burgen und Schlösser, die Mönche ihre Klöster und Abteien und das Volk bastelte weiter an seinen Siedlungen und Bergnestern. Im 14. Jahrhundert kam auch »Rom« vorübergehend wieder; in Avignon residierten neun Päpste. Ihr imposantes Domizil gleicht eher einer Festung.

So entstand dann jene einzigartige Kultur, die beide Welten enthält, die des Nordens und des Südens.

Und auch die Neuzeit kam, eben unsere Zeit. Wie das dann aussieht, ist ja bekannt. Da weiß man manchmal nicht so recht, ist das nun der Stadtrand von Nimes oder der von Bielefeld? Wer in etwa einer Woche das Bemerkenswerteste der Provence sehen will, muß sich beeilen - und einen gut informierten Reiseführer haben. Für uns war das Paul Margraff, Maler, Buchautor, bekannter Wünschelrutengänger und eben Kenner und Liebhaber der Provence. Sein heiteres Naturell trug viel dazu bei, jenes gute Klima herbeizuzaubern, das zu einer gelungenen Informationsfahrt gehört. Er vermittelte nicht nur trockenes Wissen, sondern auch Legenden, Sagen und die Worte der Dichter über dieses Land. Und er stimmte uns während der Fahrten durch passende Musik auf das ein, was uns erwartete. Auch bemühte er sich eine Abendstunde lang, uns Leben und Werk des Malers Vincent von Gogh, der hier einige Jahre lebte und arbeitete, näherzubringen. Sein Diavortrag war sehr informativ.

Die »Graue Eminenz« dieses Unternehmens, die im Hintergrund die Fäden in der Hand hielt, die organisierte, plante und das Ganze zusammenhielt, die auch umdachte, wenn es mal sein mußte, war Dieter Michels von der Volksbank Daun. Seine freundliche Hilfsbereitschaft, Geduld, wohltuende Gelassenheit und Fürsorge waren beispielhaft.

Netterweise hatte man sich auch einige Überraschungen für die Gruppe ausgedacht. So fanden wir uns etwa eines Abends zum Menü auf einem Dampfer wieder, der uns auf der Rhone spazierenfuhr, aufs Beste unterhalten von drei temperamentvoll musizierenden Zigeunern, wirklich echten. An einem anderen Abend tanzte eine Folkloregruppe aus Arles in unserem Hotel für uns und schließlich sogar mit uns. Ganz besonders beeindruckend fanden wir die ungewöhnlich graziöse Gelenkigkeit der zierlichen Füße dieser jungen Frauen und Kinder. Wir erfuhren viel über die Einzelheiten ihrer Tracht und die sehr komplizierten Frisuren.

Einen der Reise-Glanzpunkte möchte ich noch erwähnen: Am 24. Mai fuhren wir nach Les-Saintes-Maries-de-la-Mer. Der Legende nach sind hier die drei Marien — Maria Jakobaea (Schwester der Mutter Gottes), Maria Salome (Mutter der Apostel Jakobus und Johannes) und Maria Magdalena, die Büßerin — im Jahre 45 mit einem ruderlosen Boot gelandet. Ihre schwarze Dienerin Sara, deren Reliquien in der Krypta der festungsartigen Kirche des Ortes aufbewahrt werden, wird besonders von den Zigeunern verehrt. Sie kommen aus aller Welt, um jährlich an diesem Tag an der Prozession zum Andenken an ihre Heilige teilzunehmen. Es war der große Tag der Zigeuner und wir durften dabeisein.

Im ganzen: Wir hatten herrliches Wetter. Der Mistral fand nicht statt.

Uns wurde nichts gestohlen, auch am 24. Mai nicht. Wir konnten im Gegenteil eine Menge Wissen und Erleben mit nach Hause nehmen.

Eine rundum geglückte Reise!