Dörfliche Impressionen 1988

Oberbettingen

Von Prof. Matthias Weber, Köln

 

Oberbettingen hat in den letzten Jahren wiederholt von sich reden gemacht; durch Dorfverschönerung, Dorferneuerung und andere Einzel- und Gemeinschaftsleistungen. Das wollten wir uns einmal näher ansehen. Doch fehlte immer wieder die Zeit dazu. Dann kam ein Pfingstmontag wie lange nicht mehr. Die strahlende Frühlingssonne lockte uns ins Freie, zum Stubenhocken gabs ja noch Tage genug. Nach dem besonders milden Winter 1987/88, wenn auch zuletzt - nach »Mattheis« - noch reichlich Schnee fiel, war die Eifellandschaft bereits gegen dreiviertel Mai ergrünt und erblüht wie längst nicht alle Jahre. Wir brachen kurzerhand auf und wanderten gemächlich von Nieder-nach Oberbettingen. Die Dörfer liegen nur zwei Kilometer auseinander. Sie haben außer ihrem Namen viel miteinander gemeinsam, vielleicht aber noch mehr Verschiedenes. Das mindert keineswegs ihren jeweiligen besonderen Reiz.

Alte Straße und Bahnhof

Unser Weg führte über jene alte Straße, die viele Generationen von »Bettingern« zuvor als einzige Verbindung benutzt haben, benutzen mußten, weil es keine andere gab. Auch Post und Hebamme und dergleichen lebenswichtige Dienste, im Sommer wie im Winter. Anfang der 60er Jahre trat sie gleichsam in den Ruhestand. Die schnurgerade durchgezogene Kreisstraße längs der Bahnlinie neben der Kyll machte sie für den normalen Verkehr entbehrlich. Immer noch schlängelt sie sich in erfreulich rüstigem Zustand am Kammerwald etwas unterhalb seines Ostsaums entlang. Terrassenförmig ansteigend bedeckt der Wald die Ausläufer des Vulkans Roßbüsch mit Fichten, Buchen und Eichen.

Schräg gegenüber dem alten Pestkreuz am Waldrand - es zeigt stolz die Jahreszahl 1666und steht trotz manch »erlittenen« Stoßes noch schier unverwüstlich da - knickt die Straße rechts ab zur Kyll, was früher so viel bedeutete wie zum Bahnhof. Die alte Straße und der Oberbettinger Bahnhof könnten viel erzählen. Seinen imposanten Buntsandsteinfassaden aus der Wilhelminischen Zeit haben die Stürme der Zeit sichtlich zugesetzt. Erzählen könnten sie zum Beispiel von der mühseligen früheren Sonntagspflicht für die Oberbettinger Schulkinder, am selben Tag mehrmals bergab und bergauf nach Niederbettingen pünktlich in die Pfarrkirche zu eilen. Das Schwänzen der »Christenlehre« am frühen Sonntagnachmittag wäre kaum denkbar und nahezu eine Todsünde gewesen. Oder vom Jubel am Bahnhof, den die Pfarrkinder aus allen fünf Dörfern der Pfarrei ihrem mutigen Kulturkampfpastor Peter Maringer bereiteten, samt den Böllerschüssen, die sie dabei krachen ließen. Oder von dem legendären Pastor von Steffeln, der hier unerschrokken die ihn neckenden preußischen Gendarmen »um die Leffeln« geschlagen und in die Kyll geschmissen hat. Das alles ist lange her, längst Vergangenheit und vergessen. »Moderneres« bewegt heute die Gemüter von jung und alt. Wer wollte es ihnen verdenken? Das Rad der Zeit steht nicht still und mit ihm ändern sich Lebens- und Denkgewohnheiten. Ob allerdings immer zum Besseren? Wo die alte Oberbettinger Straße nach rechts abbiegt, reißt dennoch der Verbindungsweg nach Oberbettingen über die Höhe nicht ab. Zu Fuß oder per Fahrrad, das wieder in Mode ist, wenn auch mit früher unbekannter Gangschaltung, kommt man hier immer noch gut weiter. Ein Schotterweg führt leicht bergan, an einem schmalen Wiesentälchen vorbei, durch das sich ein Bächlein einen Weg zur Kyll gegraben hat. Vor einigen Jahren haben wir hier auf den Wiesen noch körbchenweise Champignons gesammelt. Ob das dieses Jahr wieder der Fall sein wird, wer weiß?

Blick aufs Dorf von der Schulstraße

Wir eifellufthungrigen Montagswanderer - allerdings wars kein blauer Montag, sondern Feiertag - hatten schnell das rechts auf der Anhöhe stehende, vom Wind geneigte Wegekreuz mit dem Lorbeerkranz und der Jahreszahl 1756 auf seinem Querbalken passiert und auch den weitgehend wieder verfüllten alten Steinbruch zur Linken hinter uns gelassen. Auf der Höhe angelangt genossen wir für einige Minuten den freien Rundblick, zumal ins Kylltal mit seinem hier breiten »Oberbettinger Graben«, der den geologischen Zusammenhang von Hillesheimer und Prümer Kalkmulde mit Buntsandstein unterbricht. Nur wenige Kilometer südlich sieht man gut die Kasselburg und östlich den Marktort Hillesheim mit seinen baulichen Wahrzeichen: alte Stadtmauer und Pfarrkirche St. Martin.

Kreuze und Kirmesknochen

Bald erreichten wir am südlichen Ortsrand von Oberbettingen das neugotische Gedenkkreuz unter den drei Kastanien. Steinmetzmeister Theodor Müller hat es vor über 100 Jahren (1886) errichtet. Stand hier vorher ein Barockkreuz von 1613? Jedenfalls liegt ein Kreuzesschaft mit dieser Jahreszahl und eingemeißelter Barockverzierung - mit der Vorderseite nach unten - unter der vor Jahren hier gesetzten Bank. Es ist nach den Untersuchungen des Trierer Kreuzeforschers Georg Jakob Meyer das älteste Kreuz Oberbettingens und vermutlich auch das älteste erhaltene Werkstück eines Oberbettinger Steinmetzen.

Der Gerolsteiner Altar aus Oberbettingen stammt von 1662, ist also rund 50 Jahre jünger, das Oberbettinger Gemeindekreuz unter den drei Kiefern (Richtung Kalenborn) ist abermals 10 Jahre jünger, nämlich von 1672. Oberbettingen war ehemals, geologisch bedingt, an der oberen Kyll ein Schwerpunkt der Produktion von Sandsteinkreuzen. Die noch aus dieser Zeit erhaltenen Stücke sind also für diesen Ort historisch im doppelten Sinne wertvoll - bezeugen sie doch nicht nur den frommen Sinn ihrer Errichter, sondern auch die kunstgewerbliche Fertigkeit des Steingewerbes. Es liegt auf der Hand, mit solchem Pfund zu wuchern, statt es zu vergraben, sprich, es dringend zu restaurieren. Im Kastanienhain fiel unser Blick noch auf ein drittes Kreuz, aus schlichtem Holz gefügt mit schwarzer Aufschrift. Alles wirkte daran noch frisch.

Erst beim Nähertreten klärte sich seine Bewandtnis auf. Die Aufschrift lautete: »1988 Oberbettinger Kirmesknauch« und erinnerte an den durch den örtlichen Brauchtumspflegeverein vergrabenen Kirmesknochen. Seit dem Frühjahr 1985 gibt es diesen sechsten Verein am Ort für die Junggesellen ab 16 Jahren. Der Kirmesbrauch wird besonders an der Oberen Kyll rührig gepflegt. Beim Heimatabend auf dem großen Dorffest 1987 fand der Verein für seine Brauchtumsvorführungen viel Beifall. Das Fest brachte auch einen erheblichen Fortschritt in der Ortsgeschichtserforschung. Eine respektable Festschrift erschien, in der seither wichtige Kapitel der Oberbettinger Geschichte nachlesbar sind. Maria Krämer, die im Herbst 1985 ihren Dorfroman »Eifelwind« herausbrachte, schrieb die Hauptkapitel. Die Zeittafel über die jüngste Entwicklung am Ort stellte Günter Schüller zusammen. Diese Festschrift dokumentiert auch erfreulichen Zusammenhalt unter den Vereinen, die hierin alle zu Wort kommen. Durch solchen Gemeinschaftsgeist entstand im Frühjahr 1978 auch die »Mühlsteinhütte«, in der die Oberbettinger Vereine alljährlich ihr Schutzhüttenfest feiern. 1980 brachte Oberbettingens gemeinschaftliches Handeln auch eine verdiente Anerkennung von außen, es wurde Kreissieger im Dorfwettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden«.

Neuer Brunnenplatz in Oberbettingen.

Brunnenplatz und Sprossenfenster

Am Eingang des Dorfes interessierten uns besonders das Neubauviertel und die Erschließungsarbeiten im Zuge der Marienstraße. Sie bilden gewissermaßen in den 80er Jahren das Gegenstück zu dem Anfang der 70er Jahre bebauten Südhang des Ruderbüschs, dessen Gestein bereits vor 2 000 Jahren als Reibesteine zur Getreideaufbereitung Verwendung fand, wie uns Archäologen mitgeteilt haben. An der Schulstraße besahen wir uns die Beleuchtungsanlage, mit der bereits seit 1980 - auf Kosten der Gemeinde - die 1956 unter Pfarrer Schneider errichtete Mariensäule abends angestrahlt wird. Aus dem 1904 erbauten Schulgebäude zog 1979 - als letzte Etappe der Schulreform - die Grundschule aus (nach Heillesheim). Seit 1981 dient ein Teil des Gebäudes als Feuerwehrgerätehaus, ein anderer Teil seit 1984 als Unterkunft für die Bettinger Pfarrbücherei. Unser nächstes Ziel war der geräumige, von begrünten Hängen eingesäumte und mit Naturstein gepflasterte Brunnenplatz an der Prümer Straße. Für seine Anlage mußten 1977 alte Wohn- und Wirtschaftsgebäude abgerissen werden. Der stattliche Springbrunnen mit drei Fontänen wurde im Juli 1983 fertig. Die ganze Gemeinde Oberbettingen ist heute mit Recht stolz auf diese ausgezeichnet gelungene Dorfverschönerung. Die zum Teil mit Landesmitteln durchgeführten Dorferneuerungsmaßnahmen haben offensichtlich auch etliche private Hauseigentümer animiert, ihre Häuser und Höfe - teilweise sehr schöne Winkelanlagen - fachgerecht ins rechte Bild zu setzen. Die geschmackvolle Farbwahl für Hauswände und Fensterlaibungen sowie die wieder zu Ehren gekommenen gemütlichen Sprossenfenster bilden eine echte Bereicherung im »Gesicht« dieses seine Wohnqualität steigernden Dorfes.

Altes Grabkreuz gegenüber dem Kircheneingang in Oberbettingen.

Der Tiefenbach in Oberbettingen

Kirchenerweiterung und Dorfanger.

Das den zwei Patronen St. Brigida und St. Nikolaus geweihte Dorfkirchlein mit dem Chor von 1827 und dem Turm von 1937 wurde bereits 1960 erheblich verbreitert und dabei auch gleich an der Nordseite eine Sakristei und ein Pfarrheim angebaut. Recht eindrucksvoll wirken auf den Kirchenbesucher die dem Eingang gegenüber an der Wand aufgestellten barocken Grabkreuze von 1731, 1736 und 1738. Jedes für sich präsentiert eine eigene Gestalt und ist als Kleindenkmal Zeugnis ehemaligen Oberbettinger Gewerbefleißes. Unsere nächste Etappe war auch die Abschlußstation für den Dorfrundgang. Es ging leicht abwärts in das Tälchen des Tieferbachs. In den Jahren 1986/87 hat man hier mit viel Einfühlungsvermögen in die örtlichen Gegebenheiten eine ganz entzückende kleine Erholungsanlage geschaffen, den Oberbettinger Dorfanger. Gelesen hatten wir in einzelnen Mitteilungsblättern schon manches darüber, aber die Wirklichkeit übertraf all unsere Erwartungen. Unter geschickter Nutzung des natürlichen Wassergefälles wird hier das Wasser des Tieferbachs an einem günstigen Punkt im Westen der Anlage teilweise abgeleitet in ein höher gelegenes Becken, das von gewaltigen Bruchsteinblöcken eingefaßt ist. Weiter ostwärts reguliert ein kleiner Wasserfall den Wasserspiegel und bildet den Überlauf in den natürlichen Bach, der ungehindert weiter der Kyll zufließt. Eine kleine Holzbrücke und ansprechend gepflasterte Promenadenwege sowie die neugepflanzten Bäume und Teichgewächse vermitteln dem Besucher einen heiteren Eindruck.' Das landschaftsgestalterisch Meisterhafte scheint uns gerade darin zu liegen, das man der ganzen Anlage in wenigen Jahren kaum noch ansehen wird, das sie Menschenwerk ist, so urwüchsig und natürlich wirkt das Ganze. Auch der im Hintergrund plazierte Kinderspielplatz erscheint sehr phantasievoll ausgestattet und fügt sich in die Landschaft gut ein.

Hier sind den Oberbettingern beachtliche Volltreffer in ihrer neueren ortsgeschichtlichen Entwicklung gelungen, auf die nicht nur die derzeit 680 Einwohner stolz sein können, sondern alle Bewohner im Hillesheimer Land.

»Matthes« und »Erna«.

Am 2. und 3. Juli 1988 feierten die Oberbettinger Einweihung der Anlage. Regierungspräsident Schwetje kam eigens aus Trier, um die Festansprache zu halten. Dem um Oberbettingens Aufschwung in den letzten Jahrzehnten besonders verdienten Ortsbürgermeister brachten die örtlichen Vereine Dank und Anerkennung für das Geschaffene zum Ausdruck. Sie schenkten ihm für den Dorfanger ein Schwanenpärchen und tauften es auf die Vornamen des Bürgermeisterehepaares »Matthes« und »Erna«. Der Vorsitzende der bekannten Oberbettinger Volksspielgruppe, Werner Dünnwald, empfahl in seiner Laudatio Bürgermeister Matthias Meyer, der 1989 sein 25jähri-ges Amfsjubiläum feiern wird, ganz besonders in schweren Stunden sich voller Freude des Schwanenpärchens und des damit verbundenen Werkes zu erinnern.

Wo Anfang der 60er Jahre die Oberbettinger Bauern eine schlichte Wiese noch als Dreschplatz für das geerntete Getreide nutzten - oft standen hier bis zu 30 Wagen hintereinander -erfreut heute alle Einheimischen der nach der Idee von Landschaftsarchitekt Rohleder, Bad Homburg, gestaltete Dorfanger. An den Gesamtkosten von rund 280 000 DM beteiligten sich die Oberbettinger mit 40 % Eigenleistung. Der »Rest« stammt aus Dorferneuerungsmitteln der öffentlichen Hand. Auch gemeinschaftliche Freude kostet ihren Preis. Wer wollte aber bezweifeln, daß sich dieses »Kapital« gut verzinst? Das Eifeldorf Oberbettingen, immer noch selbständige Gemeinde, hat seinem inneren und äußeren Wandel sehr anziehende »Gesichtszüge« zu geben vermocht, eine Ermutigung für sich selbst, ein Beispiel für andere.

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