Der Bienenpastor und sein Umgang mit der Staatsgewalt

Theo Pauly, Gerolstein

 

Es gibt sie auch in unseren Tagen noch, die Bienenväter, die Imker. Immer wieder liest man in der Tageszeitung von Einladungen zu Imkerversammlungen, -treffs und -Stammtischen, doch auf der Tagesordnung stehen zunehmend Problemkomplexe, die von Bienenseuchen und ihrer Bekämpfung geprägt sind, abgesehen von der seit Jahrzehnten beklagten Misere der Unkraut- und Insektenbekämpfung durch chemische Mittel. Die Imker haben es mittlerweile gar nicht leicht, und es ist erstaunlich, daß es noch etliche gibt. Doch wie es aussieht, werden auch sie bald aussterben, denn um den Nachwuchs scheint es schlecht bestellt; es sind fast nur noch Rentner und Pensionäre, die diesem schönen Hobby frönen.

In früherer Zeit gehörte fast zu jedem Bauernhaus in der Eifel auch ein eigener Bienenstand mit ein, zwei oder mehr Völkern. Ich habe noch Bienenstände gekannt, in denen ausschließlich Bienenkörbe, aus Stroh und Haselstreifen geflochtene Gebilde, standen, nicht wie heute moderene Bienenkästen und -beuten. Zur damaligen Zeit wurden die Bienenvölker »geschlachtet«, um an den Honig zu kommen, d. h. die Bienen wurden ausgeschwefelt und somit getötet, die Honigwaben dem Bienenkorb entnommen und ausgepreßt; so wurde damals der Honig gewonnen. Ein oder zwei Völker durften überwintern, damit sie im nächsten Frühjahr neue Schwärme bildeten, und so der Bienenstand wieder aufgefüllt werden konnte. Im Spätsommer ging das Spiel von neuem los. Es kam häufiger vor, daß die eingewinterten Völker in einem kalten und langen Winter eingingen. Dann erhielt der Bienenhalter einen Schwärm vom Nachbarn oder einem Verwandten, und so blieben die Häuser nie bienenlos. Eifrige Bienenväter waren immer wieder die Dorflehrer und Dorfpastöre, die ihr geringes Gehalt durch Honigverkäufe aufbesserten. Von ihnen gingen auch Neuerungen und Fortschritte in der Bienenhaltung aus, wovon die Bauern profitieren konnten, wenn sie wollten. Meist jedoch hielten sie an der Überlieferung fest, und nur da, wo Lehrer und Pastor junge, aufgeschlossene Bauernjungen zu begeistern wußten, wurde auch die Bienenhaltung und -betreuung modernisiert. Das war natürlich mit Unkosten verbunden und so taten sich etliche Bienenhalter zusammen und schafften eine Honigschleuder an. Die Bienenkästen und Wabenrähmchen wurden meist selbst angefertigt, nachdem man sich im Bienenhaus des Lehrers oder Pastors ein «Muster« geholt hatte.

Im Jahre 1924 erhielt die Pfarrei Beinhausen einen neuen Pastor. Es war die erste Pfarrstelle für Pastor Labbe, schon bald widmete er sich auch der Imkerei. Er veranstaltete zusammen mit Lehrer Reicherts aus Nerdlen Imkerversammlungen, in den Dörfern der Struth »Beieversammlung« genannt, in denen Interessenten regelmäßig über moderne Bienenhaltung informiert wurden. Ende der dreißiger Jahre ließ er in seinem Pfarrgarten ein großräumiges Bienenhaus erstellen, aus Holz und mit Stroh gedeckt. Ich erinnere mich noch gut, wie »Wolles Antunn« auf dem Bienenhaus herumkletterte und ein Strohdach herstellte. Pastor Labbe ließ das Bienenhaus in zartem Grün anstreichen, und über dem Streifen der für die Fluglöcher der Bienen offen geblieben war, prangten die verschiedenen Farben der Farbskala, so daß dies ein schönes, buntes Bild ergab. Dann hatte er dem Maler aufgetragen, in großen gelben Druckbuchstaben über die ganze Front des Bienenhauses hinweg den Namen »BEIENHAUS« zu pinseln. Der Maler hatte wohl nicht genügend Phantasie und erkannte nicht, daß dieser Name auf die Bienen (»Beien«) hinweisen und die Ähnlichkeit mit dem Ortsnamen Beinhausen dokumentieren sollte. Er wolte seine Sache aber besonders gut machen, und so brachte er den Namen Beinhausen in einer besonderen Schreibform an. Er pinselte »BEYNHAUSEN« hin. Den Ortsnamen so verschandelt auf dem täglichen Schulweg nach Neichen, der am Pfarrhaus vorbeiführte, lesen zu müssen, war stets ein wenig unangenehm, doch wurde die Aufschrift nie geändert. Dafür ließ Pastor Labbe sich etwas anderes einfallen. Schreinerkloas schnitzte in germanischen Runen über den Querpfosten des Eingangs zum Bienenhaus das Wort »IMMENHEIM« ein.

Als dann eines Tages die Gestapo beim Pastor erschien, um ihn über einige Passagen der Sonntagspredigt, die den braunen Herren wohl nicht gefallen hatte, zu vernehmen, trickste Pastor Labbe die Vertreter der Staatsmacht gekonnt aus. Wohl wissend, was ihn erwartete, machte er den beiden Gestapobeamten in deren Ohren wohlklingende Komplimente über die germanische Herrenrasse, der sie ja wohl angehörten, daß sie sich daher ja auch in germanischer Überlieferung, germanischem Schrifttum und natürlich germanischer Schrift bestens auskennen. So komplimentierte er sie in seinen Garten und vor das Bienenhaus. Hier forderte er sie auf, die Runen-Inschrift über der Eingangstür zu entziffern. Das vermochten die Herren nicht. Um sich nicht noch größere Blößen vor dem Schwarzrock geben zu müssen, verabschiedeten sich die allseits gefürchteten Büttel hastig und fuhren wieder nach Daun zurück, ohne mit einem Wort das angesprochen zu haben, weswegen sie in die Struth gekommen waren.

Während des Krieges, als alle jungen Männer der Struth als Soldaten im Felde standen und viele ihr Leben lassen mußten, betreute Pastor Labbe ausnahmslos alle verwaisten Bienenstände seiner Pfarrei. Oft durfte ich ihn bei seiner Tätigkeit begleiten und unterstützen. So habe ich damals viel über Bienenzucht gelernt, gar geholfen, Bienenköniginnen zu züchten, und selbst während meiner Jahre als Lehrer an der einklassigen Volksschule Bienen gehalten und erfolgreich Honig geerntet. Auch in meinem kleinen Bienenhäuschen hatte ich den Segensspruch angebracht, den Pastor Labbe im großen Bienenhaus aufgehängt hatte:

»Heiland, nimm in Hut die Bienen,

die mit Wachs dem Altar dienen,

die mit Honig uns ernähren,

die uns Fleiß und Ordnung lehren.

Gottes Segen sei mit ihnen!

Heiland, nimm in Hut die Bienen!

Eine kleine Episode sei noch angefügt: Einmal hatte Pastor Labbe bei einem seiner Bienenvölker festgestellt, daß es krank sei, konnte aber die Ursache nicht ergründen. So ließ er einen alten Bauern kommen, der als erfolgreicher Bienenzüchter bekannt war. Der Alte legte sein Ohr an den Bienenkasten und horchte aufmerksam. Schließlich richtete er sich auf, blinzelte dem Pastor zu und sagte: »Herr Pastor, der Führer ist verlaust!« Auch jeder Nichtimker weiß, daß ein Bienenvolk nur von einer Königin abhängig ist, nicht von einer männlichen Biene. Daß dieser alte Bauer die Bienenkönigin zu dieser Zeit als »verlausten Führer« titulierte, hat Pastor Labbe dermaßen imponiert, daß er den Mann auf einen Trunk einlud, und Augenzeugen berichteten, der Bauer habe nach längerer Zeit das Beinhausener Pfarrhaus schwankend verlassen.

Im übrigen hatte der Bauer mit seiner Diagnose recht, zumindest was die Krankheit des Bienenvolkes betraf.