St.-Matthias-Bruderschaft Stadtkyll/Dahlem
Geschichte und Auftrag
Ernst Hartel, Stadtkyll
Jedes Jahr in der ersten Maihälfte ziehen Pilgergruppen singend und betend durch Stadtkyll, Wallfahrer aus dem westlichen Teil Nordrhein-Westfalens, die auf dem Weg zum Apostelgrab des hl. Matthias in Trier sind.
Vorläufer der heutigen Wallfahrten waren die Pilgerfahrten ins Heilige Land, die um 800 n. Chr. von Karl dem Großen gesichert wurden. Daneben gab es aber schon im 2. Jahrhundert Wallfahrten zu den Grabstätten verschiedener Märtyrer. Im Mittelalter kamen die Pilgerfahrten zu den verschiedenen Orten der Marienverehrung hinzu. Das Lexikon gibt unter dem Stichwort «Wallfahrt« folgende Auskunft: »Wallfahrt ist der fromme Besuch eines heiligen Ortes. Sie stellt sinnbildlich den Weg des Menschen zum ewigen Ziel dar, das am Wallfahrtsort zeichenhaft vergegenwärtig ist. Mühe und Opfer der Wallfahrt sind ein Werk der Sühne und so die läuternde Vorbereitung auf die Gottesbegegnung am Wallfahrtsort.«
Im Jahre 1127 wurden im Benediktinerkloster St. Eucharius vor den Toren Triers die Gebeine des hl. Apostels Matthias wiederentdeckt. Diese Tatsache hatte sich schnell herumgesprochen und viele Gläubige, vom Niederrhein bis zum Oberrhein, ja bis nach Süddeutschland, pilgerten von nun an nach Trier, um am einzigen Grab eines Apostels nördlich der Alpen zu beten und diesen zu verehren.
Zur damaligen Zeit sahen es die Bruderschaften als Hauptaufgabe an, einmal im Jahr zum Apostelgrab zu pilgern, an den Gottesdiensten teilzunehmen, eine Wachskerze aufzustellen und Opfergaben darzubringen. Im Bruderschaftsbuch von St. Matthias (1150 - 1230) werden eine Vielzahl von Spendern und deren Beträge genannt, sie waren für heutige Verhältnisse sehr gering. So ist von 13 Pfennig, 4 Pfennig, 2 Pfennig jährlich die Rede. Auch über die Anzahl der Pilger erfahren wir etwas, es waren 4760 aus 144 Orten.
Im Jahre 1985 gab es 67 Bruderschaften mit etwa 12.800 Mitgliedern. Die Bruderschaften sind zusammengeschlossen in der Erzbruderschaft St. Matthias, deren Leiter der jeweilige Abt von St. Matthias ist.
Eine der vielen Tochterbruderschaften ist die Maithiasbruderschaft Stadtkyll/Dahlem, 1985 konnte sie auf ihr 350jähriges Bestehen zurückblicken. Der Zeitpunkt der ersten Wallfahrt wird mit dem Jahre 1635 angegeben. Es nahmen 45 Pilger teil. In den »Regesten zur Geschichte Stadtkylls« von A. Kettel ist das Gründungsjahr der Bruderschaft jedoch mit 1636 notiert. Die unterschiedliche Zeitangabe mag zunächst als Widerspruch angesehen werden. Es ist aber durchaus zu verstehen, daß man die erste Wallfahrt abwartete und dann die Bruderschaft gründete, um die Organisation der nächsten Wallfahrten zu übernehmen. Eine Hauptaufgabe der Bruderschaft besteht nämlich darin, die Wallfahrt zu planen und zu leiten. Das Gründungsjahr liegt mitten im Dreißigjährigen Krieg. Aus der Geschichte wissen wir, welch Not und Elend dieser Krieg über Land und Leute gebracht hat. So wurde im Jahre 1632 ein ganzes Regiment Soldaten in Stadtkyll zwangseinquartiert. Der Ort bestand damals aus 78 Häusern. Vor dem Abrücken steckten die Söldner den ganzen Ort in Brand, selbst die Kirche fiel in Schutt und Asche. Die Geschichte lehrt auch, daß in damaligen Zeiten eine grausame Seuche die Menschen heimsuchte, die Pest. Die Bürger gelobten, jedes Jahr zum Apostelgrab zu pilgern, damit sie in Zukunft von derartigen Schicksalsschlägen verschont würden. Die hiesige Bruderschaft ist aus der Not geboren.
Aufzeichnungen über die Gründung im Jahre1635 sind nicht mehr vorhanden, Schriftdokumente späterer Jahre belegen jedoch, daß die Bruderschaft! schon lange bestand.
Eine Unterbrechung der Wallfahrten ist durch ein Originaldokument, das sich im Pfarrarchiv in Stadtkyll .befindet, belegt. Es ist der Erlaß des Erzbischofs und Kurfürsten zu Köln Maximilian Friderich, datiert vom 10. April 1765. Hierin heißt es es unter anderem: «...Wir haben nicht ohne höchsten Unwillen wahrgenommen, welcher gestalten die sonsten so heilig angefangene öffentliche Processionen, und Bittfahrten, wobey übernachtet wird, dermahlen durch die verderbten Sitten der Welt die Nächste Gelegenheit worden zu allerhand Ausschweif-fungen, schweren Aergernus, und Verführung...; Als seynd Wir hierdurch bewogen worden, erwehnte öffentliche Processionen, und Bittfahrten aus denen Kirspelen, und sonstige Kirchen, wobey man des Nachts von Haus bleiben muß, in unserem ganzen Erzstift abzustellen...« Dieses Verbot wurde einige Jahre später wieder aufgehoben.
Über die Aufgaben der Matthiasbruderschaft gibt ein Statut, heute würde man Satzung sagen, aus dem Jahre 1862 Auskunft. Über «Benennung und Zweck« heißt es:
»a) Organisationen der Wallfahrt der Orte Dahlem, Stadtkyll, Prüm und umliegende Orte in der 7 ten Woche nach Ostern;
b vom Überschuß der Einnahmen ein Kranken - und Verpflegungshaus zu errichten;
c Messen und Hochämter lesen zu lassen;
d auch andere Wallfahrten zu organisieren;« Bis auf den heutigen Tag verfolgt die Bruderschaft den gleichen Zweck. Von Überschuß aus den Einnahmen kann bei den geringen Mitgliedsbeiträgen jedoch keine Rede mehr sein.
Während heute die Wallfahrt in 2 Tagen abgewickelt wird, waren die Pilger früher eine ganze Woche unterwegs. Über die Wegstrecke erfahren wir Genaueres in der «Vereinbarung über den Zusammenschluß der Bruderschaft Stadtkyll mit der Bruderschaft aus Wetteldorf vom 23. 3. 1885. Hierin heißt es: »Beginn 6 ter Sonntag nach Ostern, Mittags um 1 Uhr von Stadtkyll nach Prüm; in Prüm Übernachtung; Montags früh um 6 Uhr Abgang von Prüm nach
Wetteldorf; Abgang der gemeinschaftlichen Prozession von Wetteldorf um 9 Uhr nach Balesfeld; in Balesfeld wird Mittag gemacht (1 Stunde Aufenthalt wenigstens); von dort bis Nattenheimerwald; hier eine halbe Stunde Aufenthalt; hier Abhaltung einer Kollekte für Prozessionskosten; dann bis Bitburg (Einzug in die Liebfrauenkirche); Übernachtung in Bitburg; Dienstags des Morgens um 5 Uhr Abgang nach Meilbrück; alldort eine viertel Stunde Aufenthalt; dann bis Helenenberg, wo eine halbe Stunde Aufenthalt ist; dann bis Neuhaus, wo Mittag gemacht (1 Stunde); Nach Abgang von dort wird eine Kollekte für die Opferkerzen abgehalten; in Pallien eine viertel Stunde Aufenthalt; danach bis St. Matthias-Kirche; hier Umgang durch die Kirche mit gleichzeitiger Opferung der Kerzen; Mittwochs Morgens um 7 Uhr ist Segenandacht für die Prozession, welchen alle Pilger womöglich teilnehmen sollen; die Rückreise beginnt um 10 Uhr; die Pilger, die in Trier übernachtet haben, sollen sich bis Pallien wieder angeschlossen haben; zu Neuhaus wieder Mittag; auf der Rückreise wieder dieselben Stationen wie auf der Hinreise;«
Der Zusammenschluß mit Wetteldorf war nicht von langer Dauer. Schon 1892 trennte man sich wieder, weil es während der Wallfahrt Unstimmigkeiten gegeben hatte. Sowohl Wegstrecke als auch Dauer der Wallfahrt wurden im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Die Prozessionsordnung aus dem Jahre 1960 belegt, daß die Strecke nach Trier und zurück in 4 Tagen bewältigt wurde. Zurück sind die Pilger gefahren. Die Wegstrecke hier in verkürzter Form:
Sonntag: Stadtkyll - Olzheim - Schönecken/Wetteldorf (Übernachtung);
Montag: Schönecken/Wetteldorf - Lasel - Seffern - Bickendorf - Rittersdorf (Übernachtung)
Dienstag: Rittersdorf - Meilbrück - Neuhaus -Trierer Berg - St. Matthias
Mittwoch: Rückreise mit motorisiertem Fahrzeug; in Stadtkyll feierlicher Abschluß mit »Te Deum« und sakramentalem Segen.
Bis vor wenigen Jahren begleitete eine Abordnung des Musikvereins den Pilgerzug. In 1971 wurde der Prozessionsablauf auf zwei Tageverkürzt, die Wegstrecke erneut geändert. Im ganzen sind 86 km zu gehen, am ersten Tag 50 km, am zweiten 36 und für nichtgeübte Wanderer bedarf es einer großen körperlichen Anstrengung, die Pilgerreise durchzustehen. So ist es nicht verwunderlich, daß Leute mit wundgelaufenen Füßen oder Gliederschmerzen im Begleitfahrzeug ans Ziel gebracht werden. Unwillkürlich fragt man sich, warum in der heutigen motorisierten Zeit Menschen freiwillig solche Anstrengungen auf sich nehmen. Die Teilnehmerzahl steigt von Jahr zu Jahr leicht an, immer mehr Jugendliche gehen mit.
Ich habe einige Pilger nach ihren Beweggründen gefragt, warum sie diese Wallfahrt machen. Viele hatten ein persönliches Anliegen, das sie zum Apostelgrab bringen wollten. Auch sportliche Herausforderung war ein Grund. Ein Jugendlicher nannte spontan die Stille, das besondere Naturerlebnis während der Pilgerreise; ein glaubhaftes Argument in unserer heutigen, lauten Welt. Aber auch das persönliche Kennenlernen während der Wallfahrt trägt mit dazu bei, daß diese Reise für jeden zu einem besonderen Erlebnis wird. Als Mitglied der Bruderschaft ist man zudem in die Gebetsgemeinschaft der Mönche aufgenommen. Ihr tägliches Meßopfer und Fürbittgebet schließt alle Pilger mit ein.
Zur Matthiasbruderschaft Stadtkyll/Dahlem gehören heute die Orte Stadtkyll, Dahlem, Kerschenbach, Auw (bei Prüm) und Rittersdorf. Sie zählt zur Zeit 235 Mitglieder, von denen ein Jahresbeitrag von 3 DM erhoben wird. In früheren Jahren konnten nur die Brudermeister Mitglied werden. Der Zusatz »Dahlem« wurde erst 1970 in die Namensbezeichnung aufgenommen, weil die Anzahl der Pilger aus Dahlem stetig stieg.
Zwei Wahrzeichen besitzt die Bruderschaft. Einmal die Bruderschaftsfahne, die zu jeder Wallfahrt mitgeführt wird. Sie wurde 1925 in Kevelaer angefertigt und 1985 erstmalig restauriert. Das zweite Wahrzeichen ist das Pilgerkreuz, das neben der Pfarrkirche Stadtkyll aufgestellt ist. Zur 300 Jahrfeier 1935 wurde es auf der Trierer Höhe errichtet, dort, wo man zum ersten Male vom Berg herab das Heiligtum des Apostels sieht. Im Zuge des Ausbaus der B 51 kam ein großer Parkplatz in unmittelbare Nähe des Steinkreuzes und der störte den Standort sehr. Man entschloß sich 1974 zum Abbau und holte das Pilgerkreuz nach Stadtkyll. Es hat folgende Inschrift:
»St. Matthias, bitte für uns!
Matthias - Bruderschaft Stadtkyll 1635 - 1935«
»Wanderer, der du hier vorübergehst,
stehe still auf deinen Bahnen!
Sammle, Freund, dich zum Gebet!
Oh, gedenke heiiger Pflicht,
und vergiß der Toten nicht!«