Deutsche Handwerksburschen

Geschichte eines Berufsstandes

Paul Krämer, Gerolstein

 

Im deutschen Sprachgebiet hat das Wort "Handwerksbursche" eine eigentümliche Wandlung erfahren. Der Volksmund verstand darunter den von Haus zu Haus ziehenden "Landstreicher", der in keinem geregelten Arbeitsverhältnis stand und sich auf der Durchreise seinen Lebensunterhalt erbettelte. Ursprünglich jedoch war der Begriff "Handwerksbursche" jene Erscheinung des wandernden Gesellen, der im Sommer die Landstraße beging, um einen neuen Meister zu finden. In diesem Wandel des Topos liegt auch zugleich ein Wechsel der sozialen Beziehungen.

Seit dem späten Mittelalter erfuhr die alte Zunftverfassung eine wesentliche Änderung. Die gewanderten und damit "erfahrenen" Gesellen lösten sich bald aus dem traditionellen Verbände der Zunft und schufen sich eine eigene, überregionale Organisation, nämlich die der Handwerkergesellen. Ihre Versammlungsorte waren die Kneipen der Städte. Hier fanden sich auch die kundigen "Zuschickgesellen", die für ihre ankommenden Wanderbrüder bei den Meistern um Arbeit vorsprachen; hier waren sie allesamt der Kontrolle der Stadtpolizei ledig. Bei den allzuhäufigen Saufgelagen in den Trinkstuben erregten sich die stürmischen Gemüter der jungen Burschen zu oft an sozialen Mißständen, die sie tätig zu ändern wünschten. Die Stadtobrigkeiten schritten rigoros ein, erließen Verordnungen über das Verhalten in den Kneipen und gegen das hemmungslose Geldausgeben, waren auch gegen die ständigen Auswüchse beim Ein-und Auszug der wandernden Burschen. Besonders störend wurde das Monopol der Arbeitsvermittlung in den Händen einer sozial unruhigen Schicht, nämlich die der Handwerksgesellen, gesehen.

Berechtigt waren in jenen Jahrhunderten durchaus die häufigen Klagen der Burschen, hatten sie doch ihre Prüfungen und Wanderjahre pflichtgemäß abgeleistet, aber selten eine spürbare Verbesserung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen erfahren. Viele alte Gesellen wurden nie selbständige Meister, weil die Zünfte sich häufig aus Gründen der Konjunktur abschlössen. Somit wurde ungewollt ein neuer sozialer Stand abhängiger älterer Lohnhandwerker geschaffen, denen der Schutz einer Zunft fehlte. Erbarmungslos den Zufälligkeiten des wirtschaftlichen Alltages ausgeliefert, kämpften diese ständig um Besserung ihrer sozialen Belange.

In den verschiedenen "Ordnungen und reformation guter polizey" der Jahre 1530, 1548, 1577 sowie auf dem "Jüngsten Reichsabschied" von 1654 erstrebte der Gesetzgeber ständig eine Besserung im handwerklichen Wirtschaftsbereich. Durch die jeweiligen außen- und innenpolitischen Wirren (Kriege, Reformation) gelang es den Landesherren nicht, für gute Ordnung immer und überall zu sorgen. Ein weiteres Übel hatte sich eingestellt. Seit 1600 wurde Deutschland zusehends aus dem internationalen Markt verdrängt. Zugleich vernichteten die vielen Kriege den Wohlstand des städtischen Bürgertums als den bedeutsamsten Kunden des Handwerkes. Die Abschließung der Zünfte für wenige Meister infolge der Wirtschaftskrisen schadete ihnen selbst, da die benachteiligten Gesellen die sozialen Umtriebe nur nährten, sogar gegen ihre eigenen Zünfte. Die wandernden Handwerksburschen wurden oft zur wahren Landplage. Vergeblich bemühten sich nach dem 30jährigen Kriege einige Reichsstädte wie Straßburg und Nördlingen um eine rechtliche Lösung der sozialen Fragen. Die Meinungen der Rechtsgelehrten jener Zeit wa-ren recht geteilt; einige verteidigten das altüberlieferte Zunftrecht, andere unterstützten aus Gründen der Humanität oder Religion die Belange der Gesellen. Diese Topoi kehren in den juristischen Gutachten immer wieder.

Genau so differenziert war die Praxis einzelner Länder. Um 1708 dürfen in Österreich die Grundherren weder eigene Zünfte errichten, noch Privilegien erteilen. Preußen erstrebte für seine weiten, zerstreuten Gebiete, und hier streng im Wirtschaftsdenken des Merkantilismus eine bevorzugte Förderung des Manufakturwesens. Durch diese Wirtschaftspolitik waren viele Handwerksgesellen hart betroffen. Ein Aufstand der Tuchmachergesellen zu Lissa/Polen vom Jahre 1723 weitete sich über ganz Mitteleuropa aus. Noch 1726 erhoben sich in Augsburg die Schuhknechte. Eiliges Handeln war dringendes Gebot der Stunde, zumal die Zünfte selbst unterschiedliche Meinungen vertraten; die brandenburgischen, sächsischen und polnischen Zünfte standen auf selten der Meister, die der südlicheren Gebiete von Schlesien bis zum Donauraum auf Seiten der Gesellen.

Die vielen juristischen Gutachten der einzelnen Territorien führten über die Vorlagen hinaus zu jenem Gesetz, das als Reichszunftordnung am 22. Juni 1731 in Kraft trat. Ein wichtiger Passus war die Liquidierung der Gerichtsbarkeit der Gesellenverbände. Weiterhin hatte die Zunft "nach gut ehrbarem Brauch" zu richten in Sachen des Handwerks und der Staat im privaten Bereich. Im Laufe der Jahrhunderte war zudem ein erweiterter Handwerkerkreis für zunftfähig erklärt worden. Seit 1548 galten auch die Leineweber, Barbiere, Schäfer, Müller, Zöllner sowie Pfeifer, Trompeter und Bader als Handwerker. Allgemein untersagte die Stadtobrigkeit den Gesellenverbänden das "Verwerfen und Unredlichmachen". Dies diente manchem harten Gesellen als ein Mittel, die Arbeit, das Produkt und damit den guten Ruf eines Meisters bewußt zu verleumden. Das nicht minder geübte "Verdrängen oder Aufmachen" diente dazu, jenen Lehrlingen und Gesellen, die ihre Meister unrechtmäßig verlassen hatten, keine neue Arbeitsstelle mehr zu vermitteln, sondern zur alten zurück zu zwingen. Noch bis Ende des Schwedenkrieges um 1650 konnten sich die Verbände der Gesellen gegen Sperrungen eines Zuzugs in bestimmte Städte erfolgreich wehren; 1673 erzwangen sie sich noch in die stolze Reichsstadt Nürnberg ihren Einlaß.

Das Ziel der Reichshandwerkergesetzgebung war ein Vielfaches. Neben der Belebung des durch viele Kriege verarmten Handwerks sollten zugleich die Bedürfnisse der regionalen Märkte gedeckt werden. Dem Zeitgeist einer absolutistischen Herrschaftsform entsprechend erstrebte der Gesetzgeber ein leistungsfähiges Handwerk. Dies sollte gewisse Spezialitäten beherrschen, um den gestiegenen Ansprüchen der adligen Hofhaltungen, der Versorgung der stehenden Heere und dem Exportbedarf dienen zu können. Jedoch waren die Schwierigkeiten ebenso mannigfach, fehlte es doch zunächst an den qualifizierten Handwerkern. Die Zünfte selbst fürchteten die Konkurrenz und wollten alles Fremdartige und Neue fernhalten.

Als ein Mittel dazu diente die Einschränkung der Ausbildungsstellen, die sogenannte Schließung der Zünfte und der strenge Auslegungsbegriff der Ehrlichkeit. Lange galten als unehrlich und damit für handwerksunfähig nicht nur die fahrenden Leute, Gaukler, Spielleute, Zahnreißer, Quacksalber, Landstreicher und Schäfer, sondern auch Scharfrichter, Abdecker, Bader, Stadtbüttel und Frohnboten, anfangs sicher auch die Müller. Ihren Nachkommen wurde das Erlernen und der Betrieb jedes zünftigen Handwerks nicht gestattet. Hessen hob erst nach 1820 diese einschränkenden Bestimmungen auf. Schlimmer war es mit dem Makel der unehelichen Geburt eines Bewerbers. Dadurch konnte mancher Willige kein Bürgerrecht einer Stadt erwerben, das Bedingung für die Ablegung der Meisterprüfung war. So fanden durchaus brauchbare Kräfte keinen Zugang zum Handwerk.

Im Zuge des zeitbedingten Wirtschaftsgebarens gelang es der Obrigkeit, den Zuzug ausländischer Facharbeiter und übriger erfolgreicher Spezialisten zu aktivieren. Durch Vergebung sogenannter Frei- oder Gnadenmeisterstellen als Privilegien wurde den Inhabern bestätigt, beliebig viele Lehrlinge und Gesellen zu beschäftigen und eine Schonung bei der Besteuerung zu erfahren. Dies hatte besonders in der Tuch- und Lederproduktion zur Versorgung der Armee beachtliche Erfolge.

Das neue Zunftrecht von 1731 brachte eine wesentliche Neuerung. Zunächst unterstellte der Landesherr nunmehr die Zunft der obrigkeitlichen Polizeigewalt. Zunftordnungen und -Versammlungen wurden meldepflichtig und die Landeshoheit vergab allein Privilegien. Mit Ausnahme der doch geringfügigen Ordnungsstrafgewalt verlor damit das Handwerk ein sehr altes Recht seiner Selbstverwaltung, nämlich die eigene Gerichtsbarkeit. Auch wurden die üblichen Absprachen der Zünfte zur Erschwerung des Gesellenzuzugs und Ablegung von Meisterprüfungen nicht mehr gestattet. Weitere wichtige Kapitel des neuen Rechtes wandten sich entschieden gegen die eingerissenen Mißstände einzelner Handwerkszweige bei der Aufnahme und Lossprechung der Lehrlinge, gegen zu hohe Meistergebühren, gegen das Abschließen der Zünfte durch Bevorzugung eigener Meistersöhne.

Dringend gebot der Gesetzgeber dem "Schwänzen am blauen Montag", dem Schenkluxus und Degentragen der Gesellen Einhalt, desgleichen dem "Auftreiben" als einem unrechtmäßigen Verlassen der Arbeitsstelle bei Verleumdungen.

Wandergesellen erhielten nur beglaubigte Abschriften ihres Geburts- und Lehrbriefes; das Original blieb in der heimatlichen Zunftlade. Von den "erwanderten Zunftorten" erhielt der junge Bursche ein Attest seines "Wohlverhaltens". Jedem Meister war es bei 20 rhein. Talern untersagt, einen Gesellen ohne die erforderlichen Papiere einzustellen. Wollte sich ein Altgeselle an einem Ort selbständig machen, so erhielt er auf Grund einer amtlichen Anforderung die Originalzeugnisse aus der Heimat. Als bindende Norm stellte das neue Zunftrecht fest, daß zünftig ausgelernte Gesellen auch bei abweichendem Lehrbrauch der Territorien als solche anerkannt werden. Desgleichen soll ein fremder Dienst außerhalb des Handwerks dem Gesellen nicht das Recht zur Rückkehr in die Zunft nehmen. Weitere Bestimmungen, wie festgelegte Kündigungsfristen und Verbesserungen des Arbeitsklimas mit Kontrolle der Gesellenverbände schufen eine strenge Ordnung. Die endgültige Zulassung der Unehelichen und Legitimierten zum Handwerk stärkten den humanitären Gedanken.

Nicht minder wichtig wurden in dem neuen Zunftrecht die radikalen Verbote gegen den Luxus der Meisterstücke und der üblichen Zechgelage. Abgelehnt wurden auch die langen Wartejahre (Muthjahre), ehe ein tüchtiger fremder Geselle zur Meisterprüfung zugelassen wurde. Den Bestechungen durch Bevorzugung von Meistersöhnen oder ins Handwerk einheiratenden Gesellen trat das Gesetz scharf entgegen. All diese Artikel dienten zur Förderung des Gewerbes, besonders als alle Meisterprüfungen auch über den lokalen Bereich hinaus ihre Gültigkeit behielten. Dem wirtschaftlichen Handeln wurde ferner mit dem Verbot einer Preisabsprache der Zünfte insofern ein Auftrieb gegeben, als nunmehr der Verbraucher regulierend in das freie Spiel von Angebot und Nachfrage tätig eingreifen konnte.

Diese neue Zunftordnung wird nicht voll verständlich, solange die Situation der Gesellen zur damaligen Zeit nicht klar ist. Sie waren durch die sozialen Umstände der Jahrhunderte zum Zusammenschluß in eigene Organisationen gedrängt worden. Aus ihren Verbänden heraus kämpften sie, im späten Mittelalter bald zu Lohnarbeiter degradiert, gegen eine abgeschlossene Gesellschaft der Meister. In der Neuzeit setzte der eigentliche Konflikt erst ein durch die große Spaltung von Kapital und Arbeitskraft, die an weiteren sozialen Mißständen reichlich Nahrung fand. Die Handwerksgesellen als der beweglichere Teil der Zünfte bildeten in den Verbänden über ganze Landschaften hinweg eine große Gefahr für die Obrigkeit.

Sie traten entschieden gegen ungünstige Verordnungen ein, entwichen dem strafenden Arm des Staates über die offenen Grenzen. Im wirtschaftlichen Bereich führten sie nach Laune den Ruin ganzer Landstriche herbei, indem sie die Zünfte des kritisierten Gebietes verrieten und ihm damit alle Arbeitskräfte entzogen. Was wollten die Zünfte ohne Lehrlinge und Gesellen? Dabei war ihr Zustand durchaus beklagenswert und es ist erstaunlich, wie spät sich die Obrigkeit um ihre Hoheitsrechte über die Zünfte bemühte, um alle Übel zu beseitigen.

Durch den Reichsschluß von 1731 sieht sich Preußen als erster Staat ermuntert, bestehende Zunftordnungen abzuändern. Die Gewerke werden gezwungen, den Zugang zur Meisterprüfung zu erleichtern und alle Monopole abzuschaffen. Der König erklärt alle gewährten Zunftbriefe für erloschen und vergibt allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus Privilegien. Die Gesellen sollten von besonderen Zunftobleuten kontrolliert werden. Sie antworteten mit dem Auszug aus allen preußischen Städten.

Praktisch war aber auch mit dem merkantilen Geist des Königs das Ende der Zunftherrlichkeit beschworen. Die vielen Privilegien und eine fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung mit dem Manufaktur- und Verlagswesen überschichtete das alte, traditionelle Handwerk. Die Zünfte alten Stils konnten sich nur noch in den kleinen und mittleren Städten und besonders dann, wenn sie für den Kunden direkt wirkten, die sogenannte Stör, erhalten.

Mit der Ausdehnung zur überregionalen Marktwirtschaft produzierte das Gewerbe für den Export. Es verdrängte die alten, kleinen Handwerkerbetriebe und zog die ärmeren Meister in das Verlagswesen hinein, wo sie als bezahlte Arbeitskräfte (Tagelöhner) weiter wirkten. Damit standen sie selbst auf der Stufe ihrer einstigen Gesellen; beide fanden aber wegen der differieren- den Lohnfragen und aus Gründen der Zunftlehre keine Einigung. Die wirtschaftliche Entwicklung schritt über sie hinweg. Sogar das flache Land zog das Großgewerbe mit in den gewerblichen Raum hinein. Hier war es besonders die Tuchindustrie, welche die Arbeitskraft ganzer Familien in den Prozeß einsetzte. Aber auch der verlagsabhängige Handwerker der Stadt erlag der Konkurrenz, weil die Preisschere zwischen Material- und Lohnkosten immer weiter wurde. Nur wenige, nicht priviligierte Meister konnten sich trotz bindender Zunftvorschriften zu kleinen Unternehmern entwickeln.

Bei allen reformeifrigen Gesetzen blieben im weiten Land die Klagen und die Unruhen der Gesellen. Im Jahre 1744 meutern die Schuhknechte (Gesellen) in Erlangen und die Tuchscherer in Breslau, 1790 die Rademacher zu Braunschweig und 1795 wiederum in Breslau die Tischler, um nur einige zu nennen. Damit stehen wir aber schon am Beginn einer neuen sozialen und geschichtlichen Epoche, die eine radikale Reform des Privatrechtes, der Freiheit der Berufswahl und der politischen Zustände zeitigte. Im Zuge der Entwicklung zum Industriezeitalter und der baldigen Gewerbefreiheit paßte sich das Zunftrecht dem Fortschritt an.

Quellen:

Hausherr, Hans: Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Köln 1954

Pirenne, Henri: Histoire du moyen age: La dvilisation au moyen age du X au XX milieu du XV siede, Paris 1930

Schanz, G.: Zur Geschichte der dt. Gesellenverbände im Mittelalter (Leipzig 1876)

Proesler, H: Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel der Reichsge setzgebung von 1530 bis 1806, Berlin 1954

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