Eifeler Auswanderung nach Österreich-Ungarn 1685

Erich Mertes, Kolverath

 

Die Armut unserer Vorfahren fand auch nach Beendigung des 30jährigen Krieges kein Ende. Vor allem französische Truppen unter König Ludwig XIV. (1643 - 1715) kamen über Jahrzehnte immer wieder und forderten Quartier und Verpflegung. Es begann mit dem ersten Rheinbund 1658. Dem folgte der Eroberungskrieg gegen die Spanischen Niederlande, auch Devolutionskrieg genannt (Devolution = Heimfall) 1667-68; dann der Holländische Krieg 1672-78, die Reunionen (= Wiedervereinigungen) 1679-81, der Pfälzische Erbfolgekrieg 1688-97 und schließlich der Spanische Erbfolgekrieg 1701-1714. Die Eitel kam nicht zur Ruhe. Große Teile gehörten zum Royaume francais, zum französischen Königreich. Frankreich annektierte Sponheim mit Traben-Trarbach, Winningen, die Abtei Prüm, Teile von Manderscheid und Aremberg. Mont Royal, die französische Feste Königsberg bei Traben-Trarbach, wurde 1687 erbaut.

Wenn auch die ständigen Durchzüge der Franzosen mit der ausdrücklichen Erlaubnis der Kurfürsten von Trier und Köln erfolgten, so waren doch die Bauern Leidtragende der andauernden Einquartierungen. "Sie sind von der Nürburg nach hier gekommen und wollen für 1.500 Pferde Rationen", schreibt der Virneburger Amtmann einmal an seinen Grafen. "Worauf (ich) geantwortet, daß bei den Untertanen kein Gehorsam (mehr) wäre und alle (sich) in Hecken und Büschen verkrochen, wie (es) auch wahr (ist). Die Reiterei müsse selbst die nötige Fourage suchen und herbeiholen. Worauf dann durch die Reiterei die ganze Baar und Hirten neben Nachtsheim, Herresbach und (Ober-) Elz fouragiert ..." (= Futter und Verpflegung aufgetrieben).

An anderer Stelle klagt der Amtmann: Die Leute in den Dörfern der hiesigen Täler haben dem Haus nicht trauen wollen, sondem alle ihre Mobilia (= bewegliche Sachen), nachdem des Königs Leutnant von Mont Royal (= Königsberg) hier gewesen, nach und nach ausgetragen in Büsche und Hecken, auch gar in die Erde versteckt. Sie haben aber alles verloren, und es ist alles gefunden worden. Und viele haben ein mehreres nicht behalten als was sie auf dem Leib gehabt.

In Kolverath gibt es heute noch die Flurbezeichnung "Flühkaul" aus dieser Zeit. Die Armut trieb die Ärmsten der Armen in die Flucht; sie wanderten nach Österreich aus. Nach dem Sieg über die Türken vor Wien 1683 glaubte man wohl, "in der Nähe des Kaisers" sicherer zu sein vor französischen oder anderen welschen Truppen, deren Einquartierungen und Kontributionen.

Der Amtmann Marx Hitzler schreibt am 9. März 1685 nach Wertheim, daß an die 50 oder mehr Untertanen (in dieser Bedeutung Haushaltungen) auswandern wollen. Die gräfliche Behörde in Wertheim wollte einen Verlust so vieler Steuerzahler nicht hinnehmen. Sie wies darum den Amtmann in Virneburg an, er solle bei Strafe keinen abziehen lassen. Der Amtmann ließ daher durch die Heimbürger bekanntmachen, wer ohne seine Erlaubnis auswandere, dem solle alles beschlagnahmt werden. Er verbot den Untertanen, einem Auswanderer Geld oder sonstwie Handreichung zu geben.

Doch was nützten diese Verbote. Die Leute liefen bei Nacht und Nebel einfach davon und nahmen mit, was sie tragen konnten. Sie hatten eh nicht viel.

"Durchgegangen sind", schreibt der Amtmann , "Nikolaus Peltzer von Lind und eine Witfrau von Mannebach, sowie zwei Untertanen von Ditscheid, ferner zwei von Retterath, nämlich Momper Peter und Heinrich der Welsch, mit allem was sie an Habe besaßen oder mitnehmen konnten.Ich muß gleichsam stündlich in Gefahr stehen", schreibt er weiter, "daß bei nächtlicher Weile zu 10 und 20 Haushaltungen gleich jenen heimlich davongehen. Mehr als 30 Untertanen in der Grafschaft haben nichtmal mehr ein eigenes Schaf und keinen Fuß eigenes Land. Selbst wenn sie bleiben, werden sie sich nicht mehr ernähren können, denn wie bekannt, müssen sie sich von Land und Vieh ernähren. Bei weiterem Aufenthalt sind sie Euern Gnaden zu nichts mehr nütze als die Nachbarn und das ganze Land mit Rauben und Stehlen zu schädigen, wie dies bereits geschehen ist. Es wäre daher besser, sie abziehen zu lassen, sonst ziehen sie heimlich bei Nacht weg oder laufen davon, weil sie die allzu große Überlast der Einquartierungen unmöglich tragen können" (Brief vom 9. März 1685).

Wenige Wochen später kommt frühmorgens eilig der Bott vom Kirchspiel Retterath angelaufen und überbringt dem Amtmann in Virneburg einen Brief des Kirchspiels Vogt Johann Philipp Werhahn von Retterath: "Ich möchte nicht versäumen zu berichten, daß Diederichs Nikolaus Eidam (Schwiegersohn) Johannes von Mannebach, sowie Michael Furth, Andreas Hermas von Kolverath (Colverrod), Johann Peters von Dürrenbach (Dürmich) und Michael Karst von Oberelz heute vor Tagesanbruch sich auf die "Wiener Reise" begeben haben. In Eile, Retterath, den 16. April 1685: Jo. Philipp Werhahn". Vier Jahre später, 1689, werden die meisten Burgen und festen Plätze in der Eifel von den Truppen Ludwig XIV. zerstört, so Ahrweiler, Mayen, Cochem, Daun und die Nürburg, nicht jedoch die Virneburg, wie aus den Akten dieser Grafschaft hervorgeht. Andere Angaben bedürfen der Korrektur.

Für Unterlagen zu diesem Artikel möchte ich mich bei dem Heimatforscher Nikolaus Hermann in Mannebach bedanken.

Anmerkung: Ich hätte gerne zu diesem Thema noch eine zeitgenössische Abbildung gebracht. Aber die Ärmsten der Armen hat niemand abgebildet. Wir können uns dieses Elend heute nur noch in Gedanken vorstellen.

Quelle: Staatsarchiv Wertheim, C57, J20-24.