Die tanzenden Sterne

Eine Weihnachtsgeschichte

Margaretha Rosar, Leverkusen

 

Als ich noch ganz klein war, bedeutete Weihnachten für mich nicht so viel wie Nikolaus. Weihnachten war etwas dunkel und geheimnisvoll; aber den Nikolaus konnte ich anfassen, mit ihm sprechen, ihm die Hand geben. Mein Freund Rolf und ich wohnten am Kasselburger Weg in Gerolstein und wir konnten von unseren Mansardenfenstern aus über das ganze Tal blicken, bis zur Löwenburg und zur Kirche. "Sei schön brav, dann bringt dir der Nikolaus etwas, wenn du nicht brav bist, kommt der Hans Muff und steckt dich in einen Sack!" So hieß es vorher. Meistens lag schon Schnee in der Eifel, wenn es soweit war. Am Nikolausabend saß ich eingeklemmt zwischen Nachbarskindern und meinem Freund Rolf auf dem Sofa. Wir beide hatten besprochen, keine Angst zu zeigen. Dann klirrte und knurrte es draußen und mit dem Aufstampfen des Bischofsstabes betrat der Nikolaus die Wohnung. Hinter seinem Rücken war noch nichts zu sehen, bis unsere Sünden verlesen wurden. Da fegte der Hans Muff herein und schlug uns seine Rute um die Beine, die Ketten klirrten und wir heulten alle los. Bis der Heilige Mann mit seiner weißbehandschuhten Hand Einhalt gebot.

Der Spuk war ebensoschnell verschwunden. Das letzte, was wir vom Hans Muff sahen, war der Sack, aus dem ein paar Kinderbeine herausguckten. Das gab mir ewige Rätsel auf.

Bald waren die süßen Sachen aufgezehrt, die uns der Nikolaus gebracht hatte und es hieß schon wieder: "Sei schön brav, sonst bringt dir das Christkind nichts!" Meine heiße Milch sollte ich mit der Haut trinken, die sich darauf gebildet hatte - das sei das Beste daran. Aber ich nahm sie heimlich mit dem Finger heraus und schmierte sie unter den Rand. "Liebes Christkind, ich ekele mich vor der Haut." Einen Wunschzettel hatte ich geschrieben, Malstifte wünschte ich mir, viel weißes Papier; einen Schlitten. Den Zettel legte ich auf die Fensterbank und am anderen Morgen war er wirklich weg.

Der Heilige Abend kam und ich stand Mutter überall im Wege. Ausnahmsweise hatte ich auf meinen kleinen Bruder aufgepaßt, obwohl ich das nicht mochte. Er hinderte mich, mit meinem Freund Rolf zu spielen. Außerdem steckte er alles in den Mund. Rolf mußte auf seine kleine Schwester aufpassen, aber das Getue um sie war nicht so schlimm wie bei meinem Bruder.

Meine Mutter hatte keine Zeit, mir wichtige Fragen zu beantworten. Warum sind die Schwalben nicht mehr da, ist es ihnen zu kalt? Wo sind sie hin? Nach Süden? Alle Vögel sind aber nach Westen geflogen. Wie konnte der Habicht das weiße Huhn sehen, es lag doch Schnee? Kann das Christkind große Sachen tragen? Ich wünsche mir einen Schlitten.

Der Tag war mir endlos lange. Es muß dunkel werden, dann kam das Christkind. Endlich hatte es im Wohnzimmer geklingelt, die Tür öffnete sich, der Baum erstrahlte im Lichterglanz, Wunderkerzen sprühten auf das Krippchen, das ich zuletzt entdeckte.

Einen großen Kasten Malstifte hatte mir das Christkind gebracht und viel, viel Papier. Meinem Bruder ein Bärchen zum auf-ziehen, vor dem er sich fürchtete. Ein Schlitten war nicht dabei, der war wohl zuschwer. Von meinem Teller naschte ich zuerst die Nüsse, die schmeckten viel besser als die, die ich im Herbst selbst gesucht hatte; die waren grün, bitter und milchig. Ich wußte wohl, daß meine Eltern um Mitternacht in die Kirche gingen, durfte aber nicht mit.

Wann darf ich mit? "Ei, wenn dir das Wasser im Naschen nicht mehr friert!"

Ich wurde ins Bett geschickt, war aber viel zu aufgeregt, um schlafen zu können. Im Mansardenzimmer war es sehr kalt, trotz der Wärmflasche, die Mutter abends ins Bett legte. Das Fenster lag an der Südseite, da pfiff der Wind nicht so sehr. Eisblumen hatten sich gebildet und das heruntergelaufene Wasser war zu einer Stange gefroren, die ich löste, daran lutschte, die mir aber aus den Händen rutschte. Ich wikkelte mich in meine Steppdecke und hauchte ein Loch in die Eisblumen. Vor mir lag das Tal mit den Häusern, die am Hang emporkletterten, darüber die Kirche und ganz oben die Burg. Und dann sah ich es, mein Herz stockte. Wo der weiße Horizont der Hügel an den grauweißen Winterhimmel anstieß, der von flimmernden Sternen bedeckt war, sah ich Lichter herunterkommen. Es waren viele, von drei Seiten kamen sie ins Tal, tanzten auf und ab, verloschen, kamen funkelnder wieder. Das war das Christkind mit seinen Engeln, die die Sterne in die Kirche trugen! Ich paßte auf, bis der letzte Stern in der Kirche verschwunden war. Dann läuteten die Glokken, die Kirchenfenster wurden hell und die Orgel konnte ich hören und wie eine einzige Stimme Gesang.

Mir fielen die Augen zu, ich schlüpfte ins Bett und am nächsten Morgen war ich überzeugt, geträumt zu haben. Deshalb sagte ich Rolf nichts.

Im nächsten Jahr dachte ich zunächst nicht an meinen Traum. Endlich bekam ich den großen Schlitten und durfte auch mit zur Mette. Wir gingen über die Brücke, darunter der dunkle Fluß, ganz anders als im Sommer. Die vielen Treppen zur Kirche waren gefegt, wir kamen oben an - und ich stand vor den tanzenden Sternen, ganz sprachlos. Es waren die Bauern von den umliegenden Dörfern mit ihren Stall-Laternen. Die trugen sie zum Altar, dessen goldgeschnitztes Blattwerk unter grünen Tannen verschwand. Es wurde immer heller und eine glockenreine Stimme sang: "Gloria in excelsis Deo".

Viel später habe ich erst verstanden, daß alle Dinge im Leben eine Frage des Standpunktes sind. Die ganz geheimnisvollen Dinge um Weihnachten werden für mich ihren Zauber nicht verlieren, obwohl mir inzwischen "viele Lichter" aufgegangen sind.