Bäuerlicher Jahresrhythmus

Peter Zilligen, Wittlich

 

Es war erlebnisreich, mit den Bauern durch's Jahr zu ziehen, ehe Technik die Geborgenheit aus Haus und Hof verdrängte. Mit dem Frühling kam Leben in die Dörfer. Behutsam schritt der Bauer über die Felder und prüfte, ob erste Feldarbeit getan, der Hafer gesät werden konnte. Oft überzog eine dünne Schneeschicht nochmal die Saat, die Körner konnten sich Zeit lassen, ihre Keime zu entwickeln. Vor beginnendem Wachstum wurden die Wiesen gesäubert, eine Handvoll Dünger gestreut. Maulwürfe mußten sich Beschimpfungen gefallen lassen, weil sie seit Herbst zu emsig waren, zu viel Erde bewegt hatten. Die im Winter gefüllten Mistgruben waren zu leeren. Welcher Eifeler erinnert sich nicht an den Geruch, wenn beim Beladen der Ackerwagen die schweren, blau schimmernden Dämpfe in die Höhe stiegen. Es war Schwerstarbeit für die Kühe an der Wagendeichsel, die schwere Fracht aufs Feld zu schleppen. Hin und wieder machte der Fuhrmann mit einem Peitschenknall auf die Fuhre aufmerksam, mahnte das Gespann, voran zu schreiten. Auf dem Feld wurde der Mist mit dem Karst vom Wagen gezogen. Hier saßen dann die zahlreichen Dunghaufen und warteten auf die schwerste Arbeit, das Ausspreiten mit der Mistgabel. Blasen und Schwielen gabs an den Händen, aber was sollte auf dem Feld gedeihen, ohne den Dünger aus dem eigenen Stall. Um die Osterzeit legten wir die Setzkartoffeln in den frischen Boden. Die Wiesen wurden scheckig bunt, wenn das erste Vieh auf den Weiden graste.

Die Zeit zwischen Feldbestellung im Frühjahr und der Heuernte war noch geruhsam. Erst mußte die Natur all ihre Schönheit entwickeln, die Bauern auf gute Ernte hoffen lassen. Bei der Bittprozession durch's Feld galt zwischen den Gebeten auch ein Blick dem oft dürftigen Wachstum des Wintergetreides. Um diese Zeit sollte sich eine Krähe darin verstecken können, wenn es gut stand. Jedesmal, wenn der Brudermeister seinen Stab nach links oder rechts hob, schwoll das Gebet an, um dann ruhig wieder zu verebben. Wir Kinder fühlten uns behütet und geborgen unter der Vielzahl betender Männer und Frauen.

Im Marienmonat Mai erwachte schnell das Leben in der Natur. Wir suchten die ersten Blumen für das Maialtärchen zu Hause. Das Muttergottesbild sollte ständig geschmückt sein. Schlüsselblumen fanden wir zuerst, auf den trockenen Wiesen die kurzstieligen, der Blütenkelch klein, gelb mit roten Tupfen. Auf den nassen Wiesen an der Kyll die langstieligen, großblumig, fast weiß. Den Schlüsselblumen folgte schnell das Wiesenschaumkraut, die Sträuße hielten nicht lange, waren schnell verblüht. Dauerhafter waren die Margareten, auch die Veilchen. Maiglöckchen mußten ebenfalls dazu gehören. Sie im Wald zu suchen, gehörte zu den schönsten Frühlingserlebnissen. Wie ein Domgewölbe war der junge, grüne Laubwald, Vogelstimmen füllten ihn mit Musik.

Das bald folgende Fronleichnamsfest beschäftigte die Kinder und Jugendlichen sehr. Sie zogen mit Henkelkörben durch die Wiesen und pflückten Blumen für den Herrgottsweg. Unser Eifelgold, der Ginster war oft schon verblüht, aber die Wiesen schenkten Blumen in allen Farben und Formen. Die Jungen und Mädchen freuten sich auf die Tage, an denen sie zusammen das Tannengrün schnitten und Girlanden für die Straßenaltäre banden. Im ganzen Dorf war angenehm das emsige Hämmern beim Aufstellen der Maien am Prozessionsweg zu hören. Wie eine Parkallee präsentierten sich die sauber gefegten Dorfstraßen. Am Festtag, schon in aller Frühe, wurden Straßenaltäre geschmückt. Stunden brauchte es, christliche Symbole als Blumenteppiche in vielfältigen Farben zu legen. Rief das große Glockengeläute zu Hochamt und Prozession, wurden die letzten Blumen aufgestellt, die Hausaltäre nochmals begutachtet. Abwechselnd mit kräftigem Gebet und einem Kirchenlied, von Musikkapelle und Chor intoniert, begann die Prozession der festlich gekleideten Männer und Frauen. Die Eifeler brauchten den Segen Gottes in Haus und Hof. So ganz andächtig waren die Beter nicht immer, zuviel war zu sehen am Weg, Altäre und Altärchen zu bewundern und einzuschätzen. Die Frage nach dem schönsten Schmuck war zu beantworten. Auch manches neue Sommerkleid oder formschöne Hut der Damen verlangte nach Bewunderung. Unterwegs verringerte sich ein wenig die Zahl der Pilger, Frauen verschwanden hier und dort zwischen den Maien, es zog sie zum Kochtopf, den Männern stand noch der Frühschoppen zu.

Erster, bewegter Höhepunkt im Jahresablauf war die Heuernte. Wenn sich die Wiesen mit saftigem Gras gefüllt hatten, wenn Schönwetter einsetzte, war plötzlich hohe Erntezeit. Mit neuem Leben erfüllten sich Haus, Hof und Scheune. Der Ackerwagen wurde umgeschirrt, Heuleitern aufgesetzt, der Wiesbaum auf den Wagen geschoben, Heugabeln in Ordnung gebracht und an den Rechen fehlende Zähne ersetzt. Beim emsigen Drehen der Schleifsteine erhielten die Messer der Mähmaschine die notwendige Schärfe. Viele Bauern saßen auf einem leeren Kartoffelsack im Hof, den Dengelstock zwischen den Beinen und gaben mit wohlklingendem Hammerschlag der Sense scharfen Schnitt. Mit dem ersten Tageslicht holperten die Mähmaschinen über die Dorfstrasse, Männer mit geschulterter Sense machten sich auf den Weg. Am frühen Morgen, da lag noch der Tau auf den Wiesen, da rauschten die Sensen am Besten durch's Gras. Überall in der Flur war das metallisch ziehende Geräusch beim Schleifen der Sensen zu hören. Mit einem Plumps fiel der Wetzstein ins Schlotterfaß. Hier oder dort hoppelte ein Hase davon oder ein eiliger Frosch hüpfte schnell aus dem Sensenbereich. Mahde an Mahde reihte sich nebeneinander. Es war frisch morgens in den Fluren. Erst wenn sich im Osten die Sonne über den Wald schob, wenn erste Strahlen Mäher und Boden erwärmten, wurde es angenehm auf der Wiese. Um diese Zeit eilten Frauen oder Kinder mit dem Frühstück herbei. Die Kaffeepause hatten die Männer schon verdient. Während die Frauen und Kinder das Gras zum schnellen Trocknen auf der Wiese verteilten, ließen sich die Männer das Schinkenbrot gut schmecken. Es gab auch schon mal zwei Eier zum Frühstück. Der duftende, frische Grasgeruch war appetitanregend. Mit "Jott helf eosch" grüßten die Nachbarn von der Wiese nebenan. Schon nach wenigen Tagen bewegten sich überall in der Flur die Heuwagen. Alles, was einen Rechen bewegen konnte, mußte bei der Ernte dabei sein. Eines der Kinder hatte mit einem Blätterzweig dafür zu sorgen, daß die Kühe an der Wagendeichsel nicht mehr als notwendig von zahllosen Mücken geplagt wurden. Andere Kinder durften auf den Wagen, die ersten Heulagen festtrampeln, mehr Spiel als bewußte Arbeit. Danach hatte der Lader dafür zu sorgen, daß die Fuhre Form und Halt hatte. Wohl gut zwei Wochen dauerte die Ernte, hin und wieder von einem Gewitter unterbrochen. Den letzten Wagen zierte ein großer Strauß aus Laubreisig und zeigte an, daß die letzte Ladung auf dem Heimweg war. Nach der Heuernte, wenn die Wiesen geräumt waren, war schon ein Hauch von Herbst zu spüren. Der Wind bewegte das Getreide auf den Feldern wie Wellen des Meeres. Hin und her wogten die Halme wie Licht und Schatten. Sonnenstrahlen streiften zwischen den Wolken übers Land, setzten hier oder dort auch "Steiper". Blühender Klatschmohn und blaue Kornblumen schmückten die Flur. Am Feldrain stand auch die stolze, gelbleuchtende Königskerze. Nur die Disteln, die sich in den Ährenraum drängten, sahen wir nicht gern; sie waren lästige Quälgeister bei der späteren Ernte. Ein abwechslungsreiches Bild bot die Feldflur. Neben dem Roggen standen die Kartoffeln, neben dem Weizen die Rüben, dazwischen auch mal Buchweizen und Hafer. Genau so abwechslungsreich waren die Kontakte der Bauern, wenn sie der Feldarbeit nachgingen. Gegenseitige Hilfen waren selbstverständlich. Nach und nach senkten die Ähren den Kopf unter dem Gewicht der reifenden Körner, es ging in die Getreideernte. Die Sensen wurden wieder geschärft, ergänzt durch den Haferkorb. Das Schneiden des Getreides brauchte viel Zeit, die Stoppeln sollten kurz sein, das Stroh wurde gebraucht. Mit der Sichel nahmen die Frauen die Halme auf und banden sie zu Garben. Gern hörten wir den Ruf "Kasten aufstellen", damit endete die Tagesarbeit. Zehn Garben waren für einen Kasten notwendig. In die Mitte gehörte eine starke Garbe, fest auf den Boden aufgesetzt, acht standen rundherum, Ähre gegen Ähre. Die Zehnte, mehr nach dem Halmende gebunden, wurde als Hut aufgestülpt und schützte die übrigen Garben gegen Regen. Wir Kinder benutzten die Kasten oft als Versteck oder als Schutz gegen Regen, wenn wir nebenan auf der Wiese die Kühe hüteten. Getreide für erstes Backen und die Herbstsaat wurde zur Dreschmaschine gebracht, alles andere wartete auf den Dreschflegel. Der Flegel bestand meist aus einer starken Haselrute, der Knüppel aus einem gearbeiteten Buchenscheit. Eine Lederschlaufe verband den Knüppel mit der Rute. In der Scheunentenne den Dreschflegel zu schwingen war eine schwere Arbeit. Mehrere Drescher hatten genau den Takt einzuhalten. Es tat weh in den Fingern, wenn man den Takt verlor und ein Flegel auf den anderen traf. Wir Kinder mußten nicht helfen, schlugen aber gern einmal mit aufs Stroh.

Nach der Getreideernte, wenn der Wind über die Stoppeln wehte, verlor sich schnell der Sommer, fast ohne Übergang war der Herbst da. Es war die Zeit, auf die sich die Hütejungen freuten. Die Eigentumsgrenzen auf den Weiden galten als aufgehoben. Kühe hüten wurde zur Freude, die Hütejungen rückten näher zusammen. Das den ganzen Tag nicht verlöschende Feuerchen auf der Weide war nicht nur zum Wärmen gut, es eignete sich auch zum Schmoren der Kartoffeln, die wir aus nahen Feldern holten. Im Herbst gab es keine Langeweile beim Kühehüten, auch die reichlich vorhandenen Haselnüsse wollten gepflückt sein.

Oft wars schon naß und kalt, wenn es an die letzte Feldarbeit, die Kartoffel- und Rübenernte ging. Die lebhafte Kaffeepause auf dem Feld entschädigte für mühsame Arbeit. Lange Rauchfahnen zogen übers Land, wenn das Kartoffelkraut verbrannt wurde. Den etwas beißenden Geruch spürte man überall in der Nase. Die Fluren wurden für die Saat des Wintergetreides vorbereitet. Mit gleichmäßigem Schritt und weit ausholendem Arm, laufend eine Handvoll Körner aussäend, ging der Bauer ruhig übers Feld. Es war die letzte Arbeit, bevor der Schnee alles zudeckte.