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Betrachtungen zum Integrationsprozeß

Drs. Peter Burggraaff, Kelberg-Zermüllen

 

Dieser Aufsatz entstand aufgrund eines Gespräches bei der Überreichung des Dauner Jahrbuchs 1989, es regte an, über meine Integrationserfahrungen in der Eifel zu berichten.

Als ich 1975 die Eifel erstmals besuchte, war es bereits Herbst. Die Natur hatte ihr vielfarbiges Kleid fast abgelegt und bereitete sich auf den Winter vor. Trotzdem besaß die Landschaft mit ihren Bergen und Tälern, Wäldern, Äckern, Wiesen und Dörfern eine bezaubernde, urige Schönheit. Wenn man aus den flachen Niederlanden kommt - mein Heimatort war nicht weit vom Meer entfernt - ist dies besonders eindrucksvoll. Bei der ersten Begegnung mit dem Kelberger Land wußte ich noch nicht, daß dies Jahre später meine neue Heimat werden sollte. Es gefiel mir so gut, daß ich mich entschied öfter diese Gegend zwischen Mosel und Ahr zu besuchen. Beim zweiten Besuch im November 1976 lernte ich meine Frau kennen. So wurde aus einem niederländischen Feriengast ein niederländischer Eifelbewohner.

Die Auseinandersetzung mit der neuen Heimat ist meiner Meinung nach überaus wichtig, weil man durch Lesen und Gespräche die Geschichte, aber auch das Funktionieren der hiesigen Gemeinschaften kennen und verstehen lernt. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß es im Vergleich zur alten Heimat doch Unterschiede gibt. Sie bezogen sich in meinem Falle nicht so sehr auf die Sprache, die ich bereits in der Schule gelernt hatte, sondern auf eine andere Mentalität, Lebensweise, auf Gewohnheiten und Gebräuche. Es gibt auch Unterschiede im Funktionieren der Behörden. Um sich richtig ins gesellschaftliche Leben zu integrieren, benötigt man viele Jahre.

Die Unterschiede zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik sind im Grunde nicht sehr groß. Beide Staaten gehören dem westeuropäischen Kulturkreis an, haben in etwa das gleiche Wohlstandsniveau und die sozialen Leistungen. Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen sind sehr gut; die Folgen des Zweiten Weltkrieges aus niederländischer Sicht von der älteren Generation zwar noch nicht ganz überwunden, aber der Staatsbesuch des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor einigen Jahren hatte auch in dieser Hinsicht eine positive Auswirkung. Die Bundesrepublik ist für die Niederlande der wichtigste Handelspartner. Viele niederländische Touristen besuchen das östliche Nachbarland, besonders Eifel und Moseltal sind für die Niederländer sehr beliebte Urlaubsgebiete und eignen sich auch ausgezeichnet für Kurz- und Wochenendurlaube.

Trotz der weitgehenden Übereinstimmungen hatte ich in der ersten Zeit meine Schwierigkeiten, mich einzugewöhnen. Die Dauer der Integration ist sehr unterschiedlich und hängt in erster Linie von den Personen selbst ab.

Faktoren, die sie beeinflussen, sind die Unterschiede zwischen dem Herkunfts und Einwanderungsland, die Sprache, Konfession, Kultur, Mentalitätsunterschiede, Zahl der Personen (Einzelpersonen, Familien oder Gruppen), Beweggründe und Ursachen der Auswanderung, Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung und schließlich die politischen Bedingungen (so das Funktionieren der Behörden, die Gesetzgebung und spezifisch das Ausländerrecht).

Über meine Integration im Kelberger Land ist zu sagen, daß ich von der Verwandtschaft, dem Freundes- und Bekanntenkreis meiner Frau sofort akzeptiert wurde, daß ich mich hier ziemlich schnell zu Hause fühlte und das Kelberger Land als meine Heimat betrachtete. Durch diese Gegebenheit wurde das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft erleichtert.

Große Sprachschwierigkeiten hatte ich nur mit dem Eifeler Dialekt, das vielerorts noch als Umgangssprache gesprochen wird, in dem viele Worte für mich sehr unverständlich waren und manchmal auch zu Mißverständnissen führten. Dieses Phänomen des ausgeprägten Gebrauches zweier Sprachen nebeneinander, einer Schrift-und Amtssprache, einer Umgangssprache, war für mich neu, weil in meinem Heimatort kaum noch Dialekt gesprochen wurde. Als die Leute begannen, mit mir "platt" zu reden, habe ich dies als Zeichen der Akzeptanz empfunden. Mittlerweile kann ich Dialekt gut verstehen, allerdings wage ich nicht, es zu sprechen, um nicht allgemeine Heiterkeit zu erregen.

Die Integration wurde auch dadurch erleichtert, weil ich durch immer länger werdende Aufenthalte mich allmählich mit den Gepflogenheiten der neuen Heimat vertraut machen und mich immer intensiver am gesellschaftlichen Leben beteiligen konnte. In dieser Zeit habe ich sehr viele Menschen kennengelernt und gute Beziehungen aufgebaut.

Meine Entscheidung im Kelberger Land zu wohnen, hatte zwangsweise auch Folgen für die Kontakte zur alten, niederländischen Heimat, die immer lockerer wurden. Anfangs wollte ich das nicht wahr haben und versuchte, mich dagegen zu wehren.

Bei längerer Abwesenheit entfremdet man sich der alten Heimat und bei Besuchen erfährt man nur einen Bruchteil der Ereignisse und Veränderungen. Trotzdem bleibt eine gefühlsmäßige Verbundenheit zum alten Heimatort, weil sich dort ein wichtiger Teil des Lebens abgespielt hat. Wer als Ausländer in die Eifel kommt und hier dauerhaft leben möchte, muß sich

auch um die Mentalität der einheimischen Bevölkerung mühen. Gerade da sind die Unterschiede noch groß und dies gilt auch für die verschiedenen Regionen der Bundesrepublik Deutschland. Erfahrungen und Wahrnehmungen werden von Fremden anfangs noch nach vertrauten Werten und Normen eingestuft. Da kann es vorkommen, daß für die Eifel spezifische Verhaltensweisen und Bräuche auf den ersten Blick unverständlich erscheinen, denn hier lebt man noch traditionsbewußt.

Besonders im ländlichen Gebiet, in kleineren Orten steht man Fremden oder Ausländern noch zwiespältig gegenüber. Es gibt da eine reservierte Haltung, die aber nicht ablehnend sein muß; es ist als ein sich gegenseitiges Abtasten zu betrachten. Ich werde wohl immer im Ort der "Holländer" bleiben, meine Kinder hingegen gelten als Einheimische.

Bei der Integration in eine neue Heimat kommt es auch auf persönliche Einstellung an; man muß auf die Leute zugehen, immer wieder versuchen, Kontakte zu knüpfen und Vertrauen zu gewinnen.

Bemerkungen, daß zu Hause alles besser war, sind dabei fehl am Platz. Wer sich mit der Geschichte der Eifel beschäftigt, hat große Bewunderung für die Ausdauer der Bewohner, die mit schlechten Situationen über Jahrhunderte (miserable landwirtschaftliche Verhältnisse, kaum Industrie, schlechte Verkehrsverbindungen und schlechtes Klima) fertig geworden sind. Die Vereine haben bei meiner Integration eine sehr wichtige Rolle gespielt; ich ging in den DRK-Ortsverein Kelberg und den Schützenverein St. Hubertus in Zermüllen. So sind viele Freund- und Bekanntschaften entstanden, und meine Erfahrung ist in dieser Beziehung sehr positiv. Man fühlt sich akzeptiert, weil alle für die gleiche Sache arbeiten. Es ist sehr wichtig, daß sich Vereine den ausländischen Mitbürgern und Fremden öffnen!

Die Gründung des Ausländerbeirates im Landkreis Daun habe ich als sehr positiv befunden, weil man von politischer Seite das Integrationsproblem erkannt hat. Nun können Ausländer, Vertreter der caritativen Verbände und politischen Parteien sich gemeinschaftlich mit der Problematik beschäftigen. Es gibt nun eine Stelle, an die sich ausländische Mitbürger mit ihren Problemen wenden können. In der Gründungsversammlung wurde ich als einer der zwei westeuropäischen Vertreter nominiert. Die Arbeit im Ausländerbeirat ist noch Neuland, weil es bis vor kurzem in Rheinland-Pfalz keine derartige Institution gab. Ich werde meine Erfahrungen in die Arbeit des Ausländerbeirates einbringen und hoffe, damit ausländischen Mitbürgern helfen zu können.

Zum Schluß möchte ich bemerken, daß diese Ausführungen sehr persönlich sind. Ich habe versucht, die Eingliederung in meine neue Heimat anhand eigener Erfahrungen und Betrachtungen darzustellen.