"DeBaach"

Ein Bachlauf als Element bäuerlich-dörflichen Lebens

Theo Pauly, Gerolstein

 

Lieser entspringt offiziell unterhalb des Ortes Boxberg, und mittlerweile hat man auch ihre Quelle dort gefaßt. Eigentlich beginnt die Lieser jedoch erst am östlichen Ortseingang von Beinhausen, denn hier sind die insgesamt sieben Quellbäche zum ersten Mal vereint. Dies hat Dr. Peter Blum in seinem Büchlein "Schöne Welt des Wanderns", Volksblatt-Druckerei W. Kumpel, einleuchtend dargestellt. Daß der Bach, der an meinem Geburtsort entlang über Daun und Wittlich fließt und bei der Ortschaft, die ihren Namen trägt, in die Mosel mündet, "Lieser" heißt, ist mir eigentlich erst im Heimatkundeunterricht in der Schule bewußt geworden. Bis dahin war er für mich, wie auch heute noch für alle "Ströder", "de Baach". Dabei ist das "de" nicht etwa ein männlicher Artikel wie im Hochdeutschen "der Bach", sondern weiblich, so daß "de Baach" ins Hochdeutsche übersetzt "die Bach" heißen würde. "Ön der Baach" konnte man leckere Forellen mit der Hand fangen, und das war bei Gott kein Fischfrevel, denn die Lieser war zu meiner Kindheit in ihrem Oberlauf noch nicht verpachtet. Die Forellen suchten diesen Oberlauf zum Laichen auf, und diese Zeit war für uns Kinder "Hoch-Zeit" des "Frälle-Fänkens". Der Bachlauf war zu dieser Zeit noch so, wie ihn sich das Wasser gesucht hatte, er "mäanderte" lustig durch die Wiesen nach Daun zu, hatte eine Reihe von Tümpeln ausgewaschen, in denen man während des Sommers erlabende Bäder nehmen konnte, wo sich aber auch manch fette Forelle aufhielt. Wir Kinder kannten die fischreichen Stellen genau und dann lagen wir bäuchlings an den Rändern eines Tümpels und suchten, uns gegenseitig im Forellenfangen zu übertreffen. Eine ruhige Hand brauchte man dazu, denn hastige Bewegungen verscheuchten die flinken Schwimmer. Gern ließen die Forellen sich "kitzeln", und diese Tatsache ermöglichte es, wenn man einen Fang ertastet hatte, festzustellen, wo sich Kopf oder Schwanz des Fisches befanden. Nur hinter dem Kopf, an den Kiemen, war die Forelle so zu fassen, daß man sie aus dem Wasser holen konnte; geriet man beim "Fühlen" zu nahe an den Schwanz, entwischte die schon sicher geglaubte Beute. Gar manche Forelle haben wir nach Hause gebracht und in der Pfanne gebraten.

"De Baach" eignete sich zu jeder Jahreszeit für kindliches Spiel und kindliche Tätigkeit; sie bot vielerlei Gelegenheit, Wassertiere und -pflanzen zu beobachten. "Bootsregatten" wurden veranstaltet, wobei die "Boote" beileibe keine Fahrzeuge waren, in denen ein Kind hätte sitzen können, nein, es handelte sich um Spielzeugboote, die wir selbst herstellten; natürlich die, wie man sie aus Papier faltet, aber auch welche, die aus Kiefernrinde geschnitzt oder aus kleinen Brettchen zusammengenagelt und -geleimt waren. Da gab es Boote, die einem Indianer-Kanu glichen, aber auch solche mit Aufbauten, den Abbildungen von Schlachtschiffen nachempfunden. Die aus Brettern zurechtgezimmerten Schiffe entpuppten sich jedoch häufig als U-Boote, mal lag der Schwerpunkt falsch, mal hielt das Dichtungsmaterial nicht, jedenfalls war jeder Schiffsbauer stolz, wenn sein Werk gelungen war und sich über Wasser hielt. Manchmal passierte so ein Eigenbau gar einen kleinen Wasserfall, ohne Schaden zu nehmen oder unterzutauchen. Das war natürlich "Spitze". Mit Stöcken und Stangen wurden Fahrzeuge, die sich am jenseitigen Ufer im Schilf festgefahren hatten, wieder flott gemacht; mit dem Stock versuchte man, "seinem" Schiff eine schnellere Fahrt zu geben, und nicht selten rutschte ein Kind ab und nahm ein unfreiwilliges Bad. Es machte jedenfalls immer viel Spaß. Im Winter war "de Baach" häufig völlig zugefroren, man konnte vorzüglich "Banneis schloan", das heißt mit den eisengenagelten Schuhen über das Eis schlittern. Wunderschöne phantastische Figuren und Formen hatte der Frost am Bachufer geschaffen, man wurde des Sehens und Staunens nicht satt. Im Frühling und Herbst kam es meist zu kleineren oder größeren Überschwemmungen. Dann diente die Waschbütt als Kahn, ein Besenstiel als Ruder oder Stake und es wurden Seeschlachten geschlagen. Ab und an verursachten wir auch selbst kleinere, lokale Überschwemmungen, indem der Bach gestaut wurde. Das war oft ein hartes Stück Arbeit, mußte doch mancher Holzstamm und dicke Stein herangeschleppt werden, um ein ordentliches Stauwehr errichten zu können. Der Bauer, dessen Stück Wiese nun unter Wasser stand, war mit unserem Tun selten einverstanden! Oft wurden auch Brückenschläge vorgenommen, doch meist war eine solche Brücke, die allenfalls einem Steg glich, nach einem starken Gewitter wieder verschwunden. Stauvorrichtungen mußten wir unter der strengen Aufsicht des betroffenen Bauern wieder selbst entfernen. Aber auch die Bauern stauten ab und zu den Bach, nämlich dann, wenn "de Rummele" oder "de Kollraawe" gewaschen werden sollten. Hierfür hatten sie meist richtige Schleusen angebracht; so konnte der Stau reguliert und nach getaner Arbeit problemlos wieder beseitigt werden. Zuleiter- und Ableitergräben durchzogen die Wiesen am Bach, um je nach Bedarf die Wiese zu be- oder entwässern. "Oan der Baach" hatte jede Hausfrau ihre "Bleiche", auf der die weiße Wäsche durch häufiges Begießen mit Bachwasser bleichte. "Ön der Baach" wurde das Weidevieh getränkt und im Winter das Tränkwasser fürs Vieh "uß der Baach" mit Eimern geschöpft und in den Stall getragen. Im Stall standen Bütten und Fässer, die während des Winters stets gefüllt waren, damit das "Saufwasser" fürs Vieh nicht zu kalt war. Nachdem ein solcher Behälter geleert war, wurde er umgehend wieder mit Wasser aus dem Bach aufgefüllt. So war "de Baach" ein Element, das in das Leben der Bauern und ihrer Kinder hineinwirkte, ohne "die" ich mir meine Kindheit gar nicht vorstellen kann. Im Kelberger Raum und in der Gegend nach Mayen hin nannte man die Struth gar insgesamt "de Baach"; ein Bewohner der Struth war demnach einer "von der Baach". Dafür nannten die "Ströder", oder die "von der Baach" die Gegend hinter Kelberg "et Ländche", und einer von dort war eben einer "uß em Ländche". Die "von der Baach" wurden stets als arme Leute angesehen. Wenn die Eitel noch vor knapp hundert Jahren als "das Sibirien Preußens" bezeichnet wurde, der Kreis Daun als der ärmste Teil der Eifel galt und hier wiederum die Struth als die ärmste Gegend des Kreises Daun, so mag man verstehen, daß dieses Odium der Struth und ihren Bewohnern noch bis in die jüngste Vergangenheit anhaftete. Nur: Wir "Ströder" haben uns selbst nie als arme Leute empfunden. Reich war keiner je in der Struth und ist es wohl auch heute noch nicht, aber fleißig waren sie, die "Ströder", und voller Gottvertrauen. Wenn nicht Mißernten zu verzeichnen waren, ist noch niemand in der Struth verhungert. Gebe Gott, daß es so bleibt!

Wo "de Baach", die Lieser, entspringt, wußten aber früher nicht einmal alle, die an ihren Ufern wohnten. So erzählte Pastor Labbe öfters folgende Anekdote: Als gebürtiger Wittlicher hatte er im Kolpinghaus zu Wittlich einen Vortrag gehalten. Nun wollten die Wittlicher natürlich gern wissen, wo er denn seine Pfarrstelle habe. Mit den Namen "Beinhausen" und "Hilgerath" wußten die aus dem Tal nichts anzufangen. Da erklärte er ihnen die Lage seines Pfarrortes folgendermaßen: "Wenn eich die Quääl vun da Liesa met da Hand zoohaalen, dann hoat dier en Wettlech kee Waase mieh!" Daraufhin hat sich wohl der ein oder andere Wittlicher einmal die Landkarte angeschaut.

Heute ist die Lieser ab ihrem Oberlauf reguliert. Das hat zur Folge, daß im Sommer lediglich noch ein kleines Rinnsal am Dorf entlang plätschert und gar nicht so selten ganz versiegt, das man, ohne die Schrittlänge zu verändern, bequem überschreiten kann. Allzu schnell fließt das Wasser in seinem teilweise gepflasterten, zumindest aber überall begradigten Bett ab; es kann sich kein Tümpel mehr bilden. Wären die Bauern heute noch darauf angewiesen, ihr Vieh "uß der Baach" zu tränken, müßten wohl manche Kuh und manches Kalb verdursten.