Totenwache -

Eine selbstverständliche Pflicht

Vom Eingebundensein in die dörfliche Gemeinschaft

Theo Pauly, Gerolstein

 

Tod ist eine traurige und endgültige Angelegenheit. Wenn jemand stirbt, hinterläßt er eine Lücke und trauernde Angehörige. Selbst wer keine Angehörigen mehr hat, macht durch seinen Tod die Umwelt zumindest betroffen. Auch der alte Mensch, der sein Leben erfüllt hat, versetzt die Umgebung in schwermütige Nachdenklichkeit, die nahen Verwandten in Trauer. Auch ein jüngerer Mensch, der soviel leidet, daß man um seinen Tod betet, hinterläßt Bedrückung und Trauer.

Wenn es möglich ist, versammeln sich die Angehörigen und Nachbarn am Sterbebett und beten um einen leichten Tod. Ist der eingetreten, versorgen die Nachbarinnen den Verstorbenen und bahren ihn auf. So jedenfalls geschah es in der Eifel seinerzeit landauf, landab. Heute sind wir viel moderner: Die Mehrzahl der Todkranken findet Aufnahme im Krankenhaus, hier erhalten sie die Sterbesakramente, werden nach ihrem Hinscheiden vom Bestattungsunternehmen eingesargt und in die Leichenhalle am heimatlichen Friedhof gebracht.

Zu den Zeiten, als die Bauern der Eifel noch nicht Mitglieder einer Krankenkasse waren, durften die Menschen zu Hause sterben, im Kreis derer, mit denen sie ihr Leben mit all seinen kleinen Freuden und großen Beschwernissen verbracht und oft durchlitten hatten. Sie waren noch im Tode eingebettet in den Schoß der Familie, der Nachbarschaft und der Dorfgemeinschaft. Stand das Sterben an und war der Pastor gerufen zur "Letzten Ölung", wurden die Kinder des Dorfes geschickt, die "Sieben Kreuze" zu beten. So wußte jeder im Ort, daß einer von ihnen sich anschickte, sein Dorf und die Menschen darin zu verlassen und Aufnahme zu finden in der Schar derer, die vor ihm diesen Weg gegangen waren. War nun der Leichnam auf seinem Sterbebett aufgebahrt, fand des Abends die Totenwache (Duudewoacht) im Sterbehause statt. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß jeder aus jedem Hause des Dorfes, der gehen konnte, an dieser Totenwache teilnahm. In den Dörfern, in denen eine Kapelle stand, fand die Totenwache meist darin statt. In meinem Geburtsort Beinhausen gab es keine Kapelle, keinen Bürgersaal oder dergleichen. Hier fand die Totenwache in dem Hause statt, in dem der Verstorbene auf seine Einsargung wartete.

Heute hat das Beerdigungsinstitut Särge jeder Art und für jeden Preis auf Lager. Das war damals nicht so. Hier wurde bei Bedarf der Sarg von Schreinerkolas liebe- und beziehungsvoll gezimmert. Das dauerte zwei bis drei Tage, dann erst verließ der Verstorbene sein Sterbelager und wurde behutsam in sein letztes Bett gebracht. Es war keine Routine, die dem Dahingegangenen die letzte Ruhestätte bereitete. Die Nachbarn hoben in Hilgerath das Grab aus, nicht ein seelenloser Spezialbagger, wie es heute häufig zu beobachten ist. Jede Schaufel voll Erde, die ausgehoben wurde, war begleitet von einem Gedenken an den Menschen, mit dem man zusammengelebt hatte. Die Gedanken glitten über auf eigene Angehörige, die schon hier ruhten oder auch bald auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhe finden würden, ja, man selbst würde diesen Weg gehen müssen. Der Tote war noch lange nicht tot!

Zur Totenwache fanden sich nicht nur die Leute aus dem Dorf ein, auch Verwandte aus weiter entfernten Orten kamen, und die "Stube", in der die Totenwache abgehalten wurde, war oft fast zu klein. Darum wurden alle Möbel ausgeräumt und Bohlen herbeigeschafft, die, über je zwei Stühle gelegt, Platz für die Totenwächter boten. Dann begann die Totenwache. Meist begann der Älteste, das Glaubensbekenntnis zu beten. Daran schlössen sich die drei Rosenkränze an, der schmerzhafte zuerst, dann der freudenreiche und zuletzt der glorreiche, ein Hinweis auf die Auferstehung. Den Abschluß bildete die Lauretanische Litanei. Am letzten Abend der Totenwache, am Abend vor der Beerdigung des

Toten, wurde ganz zum Schluß noch ein Vater-unser gebetet "für den, der als nächster von uns sterben wird". So war jedem noch einmal ins Bewußtsein gerufen, daß auch er dem Verstorbenen irgendwann folgen muß. In dieser Form wurde auch jedem transparent, daß er den Weg ins Jenseits zwar allein antreten muß, daß ihm aber seine Angehörigen und alle Mitbewohner des Dorfes mit Gebet und Gedenken beistehen. Auch im Tode war der Eitler noch eingebettet in die Gemeinschaft des Dorfes. Und alle, die Totenwache gehalten hatten, waren, wenn irgend möglich, Begleiter des Verstorbenen auf dem Weg zum Kirchhof und erwiesen ihm die letzte Ehre.

So wie das Dorf Anteil genommen hatte bei der Geburt, so nahm es auch Anteil beim Dahinscheiden. Im Dorf in der Hocheifel war niemand allein.