Umweltschutz aus Sicht des Bürgers

Maria Michels, Kerpen

 

Zu diesem Text, der Rede einer Bürgerin anläßlich der Verleihung des Ökopreises, gehört ein Vorspann. Als Minister Dr. Beth im Frühjahr Kerpen besuchte, den Preis überreichte, kam als letzte Rednerin eine Frau zu Wort, der die nicht ganz leichte Aufgabe zufiel, nach vielen geschliffenen Vorträgen das zu sagen, was Umweltschutz, alles Mühen um den Preis und damit verbunden ein lebenswerter Ort aus der Sicht der Bürger so mit sich brachte. Hier also die Rede:

Seit fast 25 Jahren ist Kerpen Wahlheimat für meine Familie und mich.

Wir sind Zugezogene, wie die Leute hier sagen, die nach den ungeschriebenen Gesetzen eines Dorfes sich schrittweise hineinbewegen können oder von außen zuschauen, ganz nach Temperament. Ich habe die erste Möglichkeit gewählt und arbeite in der Dorfgemeinschaft mit.

Dabei habe ich eine sehr wichtige Erfahrung in Bezug auf meine eigene Lebensgeschichte gemacht. Besonders die Arbeit beim Dorfwettbewerb machte mir in einer Art Rückschau klar, warum mich dieser Ort so anzog.

Ich komme aus einem Dorf in der Nähe einer Stadt, das nach und nach von der Stadt geschluckt, oder besser gesagt, eingemeindet wurde. Das Dorf meiner Kindheit ist heute ein Stadtteil.

Was das bedeutet, möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen.

Früher hatte jedes Haus seinen kleinen Vorgarten, meist mit einer Bank und einer schattenspendenden Laube aus Knöterich. Das war natürlich nicht autofreundlich, die Straße mußte breiter werden. Heute sind die kleinen Vorgärten zubetoniert. Da, wo früher bunte Bauerngärten hinter Lattenzäunen wucherten, stehen jetzt dichtgedrängt die Autos.

Ein weiter Garten hinter einer hohen Sandsteinmauer - in meiner Fantasie Bühne für alle Geschichten und Märchen der Kindheit - mußte einem vierstöckigen Wohnhaus mit Parkplätzen weichen.

Der kleine, gemütliche Bauernhof von nebenan mit Hühnern, Pferden und Kühen, wo früher immer ein alter Onkel oder eine Tante trotz Arbeit Zeit hatte zum Gespräch, dieser kleine Hof ist zu einem Umschlagplatz für Großmarktprodukte geworden. Die ganze Familie ist pausenlos im Einsatz, immer über den zu geringen Preis und eine zu große ausländische Konkurrenz klagend.

Das kleine Geschäft unserer "Milch-Anna", in dem es alles gab, was eine vielköpfige Familie zum Leben brauchte, mußte schon sehr früh zwei großen, raumfressenden, anonymen Selbstbedienungsläden weichen.

Kröten und Frösche in feuchten Kelleraufgängen sind verschwunden, weil ihnen die wenigen, nicht zubetonierten Stellen mit glattrasierten Rasenflächen und exotischen Pflanzen keinen Schutz mehr bieten. Nur wenige Leute sprechen noch die Mundart des Dorfes.

Mein Dorf hat jedesmal, wenn ich zurückkomme, ein Stück mehr sein Gesicht und seine Sprache verloren. Damit verschwindet für mich auch immer mehr das Gefühl, dort zu Hause zu sein. Die Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes Dorf prägten auch mehr und mehr die Form des Zusammenlebens.

Kinder und alte Leute zwängen sich ängstlich zwischen Häusern und parkenden Autos hindurch, immer auf den nächsten motorisierten Angriff gefaßt.

Gespräche über den Gartenzaun sind nicht mehr möglich, jeder zieht sich in sein Eigentum zurück, wird zum Individualisten - oder besser gesagt zum Egoisten. - Jetzt sorgt nicht mehr jeder für sein Stück Straße, - nein, "die Stadt" hat das zu machen, ist schuld, wenn etwas nicht funktioniert; man fühlt sich nur noch für seine vier Wände verantwortlich. Eine anonyme Institution ist an die Stelle von Gemeinschaft getreten. Es fehlt das, was mich hier in Kerpen bei meiner Mitarbeit so beeindruckt hat, es fehlt das "Wir". "Wir haben den Preis gemacht", so der Ruf von allen Seiten auf der Straße nach der Bekanntgabe, alle hatten am lebens- und liebenswerten Wohnort mitgearbeitet. Ein Wohnort, in dem ich vieles wiedergefunden habe, was zum Dorf meiner Kindheit gehörte - hier kann ich mich zu Hause fühlen und wünsche mir auch für meine Kinder und Enkel, daß sie nach 50 Jahren ihr Dorf so wiederfinden, wie sie es aus ihrer Kindheit kennen. Denn darin sehe ich persönlich den Sinn dieses Ökopreises. Einmal als willkommene Gabe, als Geschenk und Anerkennung für etwas, das zwar jeder anders definiert -gefühlsmäßig aber gleich meint. Aber ich sehe den Preis auch und vor allem als Aufgabe, unseren Lebensraum Dorf mit seiner Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten und zu schützen. Vor vier Jahren haben wir in einer großartigen Gemeinschaftsleistung den 850sten Geburtstag des Ortes gefeiert. Wir haben miteinander zurückgeblickt auf die Anfänge unseres Dorfes, und diese gemeinsame Erfahrung war sehr fruchtbar für das Leben in der Gemeinde; die Menschen im Dorf sind sich nähergekommen.

Genauso wichtig ist es, jetzt gemeinsam einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Die vom letzten Orkan niedergewalzten Wälder um uns herum haben auch uns hier in Kerpen drastisch gezeigt, wie gefährdet unsere Umwelt ist.

Tiefe Betroffenheit war die Reaktion der Bürger am letzten Sonntag, als uns Herr Bürgel die Waldschäden zeigte.

In der Ursachendiskussion wird immer deutlicher, daß die Menschen erkennen: Ich bin Mit-verursacher an der Klimaveränderung und sich die Frage stellen: "Wie kann ich etwas daran ändern?" Denn so wie wir unseren Eltern die Fragen stellten: "Was hast du gegen Hitler getan? Welche Rolle hast du in jener Zeit gespielt?" - so werden unsere Kinder und Enkel in 20,30 oder 40 Jahren Fragen an uns stellen. Sicher wollen sie dann von uns wissen: Welche

Rolle hast du bei der Klimakatastrophe gespielt?

- Was hast du getan, um die Katastrophe zu vermeiden?

- Was hast du gegen das Waldsterben getan?

- Wie lange bist du mit deinem Auto ohne geregelten Katalysator gefahren?

- Gehörtest du zu den freien Bürgern, die für sich das Recht auf freie Fahrt propagierten?

- Wieviel Dreck hat der Schornstein deiner Heizungsanlage in die Luft geblasen?

- Gab es für Schornsteine keine Filteranlagen?

- Wie viele Quadratmeter Ozonloch gehen auf deine Rechnung?

- Ist es dir auch gelungen, jede Woche deine riesige Mülltonne mit Verpackungsmaterial bis zum Rand zu füllen?

- Hast du in deinem Garten auch Gift gespritzt?

- Wie viele ausgestorbene Pflanzen und Tiere gehen auf deine Rechnung?

- Warum ist das Trinkwasser so teuer? Wußtet ihr nicht, daß der bedenkenlose Pe-stizideinsatz in der Landwirtschaft und die Gülle aus der Massentierhaltung unser Grundwasser auf Jahrzehnte verseuchen würde? Ich hoffe, daß unsere Kinder uns im nächsten Jahrtausend nicht vorwerfen müssen: Ihr habt uns durch Maßlosigkeit, Gewinnsucht und Gedankenlosigkeit unsere Lebensgrundlage verdorben. Was habt ihr uns eigentlich vererbt?

Ihr hattet noch genug billige Energiestoffe und habt sie auf der Autobahn mit Tempo 200 vergeudet.

Hätten wir nur einen kleinen Teil davon!

Ihr habt das Trinkwasser vergiftet, wir müssen immense Kosten aufbringen, um es wieder genießbar zu machen. Ihr habt den Boden und die Nahrung mit Schadstoffen verseucht. Wir müssen die Kosten für die Sanierung tragen. Ihr hattet es noch gut. Ihr brauchtet in eurer Generation nur mit zwei Arbeitskräften für die Rente eines Rentners einzustehen. In unserer Generation muß jeder, der Arbeit hat, den Lebensunterhalt für zwei Rentner mitverdienen.

Zusätzlich habt ihr uns mehr als eine Billion Mark Staatsschulden auf den Rücken geladen. Sollen wir eure Schulden bezahlen oder sie etwa wie ihr an unsere Kinder weitergeben? Wie stellt ihr euch eigentlich euren Lebensabend vor? Glaubt ihr wirklich, daß wir euch die Rente zahlen können, die ihr erwartet?

Diese und viele andere Fragen wird die nächste Generation an uns stellen, wenn nicht jeder einzelne sich aufmacht, den ersten, ganz persönlichen kleinen Schritt zu tun, damit sich bis zum Jahre 2000 große Schritte in der ökologischen Umgestaltung auch in Wirtschaft und Politik vollziehen können.

Denn - ich zitiere Michael Odenwald in Natur 1/90 - "Längst haben Wissenschaftler alle Problemfelder der Erde analysiert und alternative Szenarien entwickelt. Sie haben errechnet, wieviel Treibhausgase die Atmosphäre noch verträgt und wieviel FCKW. Sie wissen, wie sich die Müllflut eindämmen ließe und wie ökologisch verträgliche Landwirtschaft aussähe. Nur: Aus ihren Entwürfen wird noch viel zu wenig Politik."

Den Mut zu dieser Politik wünschen wir Bürger uns alle von denen, die heute in der Verantwortung stehen, damit - ich zitiere Robert Jungk in Natur 1 /90 - "im besonderen Klima der Jahrtausendwende möglichst viele Menschen sich finden, deren Ideen und Experimente dazu beitragen können, unter dem Druck außerordentlicher Gefahren neue Hoffnungen zu wecken."

Foto: Bahnstrecke Daun-Schalkenmehren von H. Eisenhauer.

 

So mancher Abschied, den wir kaum beachtet,

den wir als unumgänglich gar betrachtet -

besessen und genarrt vom Fortschrittswahn;

der hat uns später bitter leid getan.

                                    Lotte Schabacker.

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