Die von Moltkes am Gemündener Maar

Alois Mayer

 

Die militärische Persönlichkeit

Helmuth Karl Moltke wurde am 26. 10. 1800 in Parchim (Mecklenburg) geboren. So wie es seinerzeit adligen Junkerssöhnen gebührte, trat er als junger Bursche in militärische Dienste. Er bewarb sich zuerst beim dänischen Heer, wechselte aber bereits 1822 zur preußischen Armee über. Dort erkannte man rasch seine Fähigkeiten und militärischen Qualitäten. Freunde und Gönner beriefen ihn ein Jahr später zur allgemeinen Kriegsschule, die dem berühmten General Clausewitz unterstand. Ausgezeichnete Lehrer unterrichteten Moltke, unter anderem der Geograph Karl Ritter und der Physiker Erman. 1833 kam er in den Großen Generalstab. Seinen "Innendienst" in dieser Behörde unterbrach er in den kommenden Jahren häufiger durch verschiedene Auslandsaufenthalte (Türkei, Italien).

Moltke war ein kühler, sachlicher und folgerichtiger Denker. Er war ein fleißiger Soldat, aber kein "rücksichtsloser Karrierestreber". So verlor er nie die Achtung und Anerkennung seiner Mitarbeiter oder Untergebenen. Im Gegenteil; man brachte ihm allseits Respekt und Wohlwollen entgegen. Sein aufrichtiges Wesen, seine treue Haltung dem Staat gegenüber und sein offener Charakter trugen wesentlich dazu bei, daß ihm 1857 vom späteren deutschen Kaiser Wilhelm l. die Führung des preußischen Generalstabes übertragen wurde. Diesen veränderte Moltke in den kommenden Jahren grundlegend durch seine Arbeitsweise und persönliche Grundhaltung, sein Verständnis von Militär und Soldatentum, durch die Einstellung zum preußischen Staat und seine Auffassung von der regulierenden Kraft einer schlagkräftigen Armee. Aus der einstigen "verwaltungsmäßigen" Militärbehörde wurde nun die "strategische Führungsorganisation", die das gesamte Heer steuerte, die Kriegsführung plante und die Operationen leitete. Moltkes Ideen und Grundsätze bestimmten in den kommenden Jahrzehnten entscheidend militärpolitisches Geschehen und leben teilweise noch heute in demokratischen Führungsstilen der Bundeswehr weiter.

Im Krieg Preußen gegen Dänemark, (in dem sich der Dauner Carl Lambert Hölzer so tapfer bewährte, daß er dafür den Adelstitel erhielt), standen die preußischen Operationen erst zum Teil unter Moltkes Leitung. Durch den großen und schnellen Erfolgssieg dieses Krieges, der allein auf Moltkes Strategie zurückzuführen war, wurde ihm im Deutschen Krieg 1866 und im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die Kriegsführung als Leiter des Generalstabes in voller Verantwortung übertragen.

Die von Moltke geführten preußischen Truppen besiegten die Österreich-sächsische Armee am 3. 7. 1866 in der kriegsentscheidenden Schlacht bei Königgrätz. Einen äußerst blutigen Ausgang nahm dieser Kampf. Von 500.000 Soldaten starb fast ein Viertel. Der militärische Erfolg Preußens war dabei vor allem auf technische Dinge zurückzuführen. Einmal verfügte die preußische Armee seit 1860 über eine überlegene Waffe, das Zündnadelgewehr. Zum anderen nutzte sie die Entwicklung der Eisenbahn, die sich für den Nachschub der Truppen bestens einsetzen ließ. Darüber hinaus verfolgte General Helmuth von Moltke die offensive Strategie der "Vernichtung durch Umfassung". Die gleiche Taktik wandte er 1870/71 an und errang so nach einem Monat harter Kämpfe einen Blitzsieg, der zur entscheidenden Niederlage der französischen Armee bei Sedan an der Meuse führte.

Generalfeldmarschall Helmut Karl Moltke.

Für seine großen Erfolge erhielt er 1870 den Adelstitel "Graf" und 1871 die Ernennung zum Generalfeldmarschall. Moltke betrachtete sich selbst aus christlicher Grundhaltung nur als "Werkzeug in eines Höheren Hand". Lehnte er auch persönlich den Krieg ab, so sah er ihn dennoch als sittlich gerechtfertigte Notwendigkeit an. Er betonte die Eigengesetzlichkeit des Krieges, dem sich während dessen Dauer alles unterzuordnen habe. Dadurch kam es zu größeren Konflikten zwischen Moltke und Kanzler Bismarck, für den Krieg zwar ein Mittel, aber eben das letzte Mittel war, politische Ziele zu erreichen.

Mit 88 Jahren ging Graf Helmuth Moltke in Pension. Er zog sich nach Berlin zurück, wo er am 24. 4. 1891 starb.

Der Eifelbesuch

Major von Moltke wurde als 46jähriger zum Generalstab des achten Armeekorps nachKoblenz versetzt. Dort gefiel es ihm bald so gut, daß er, der schon viel von der Welt gesehen hatte, in schwärmerischen Briefen an seine Lieben die Landschaft und Menschen des Rheingaus beschrieb. Im Sommer und Herbst 1847 unternahm Moltke zusammen mit anderen Offizieren und Generälen mehrere Studienreisen in die Eifel. Neben vielfältigen Zeichnungen und Skizzen trug er zahlreiche Messungen in Listen ein. Man kann mit Recht vermuten, daß diese dem Bau von Wehr- und Verteidigungsanlagen dienten, daß bei diesen Exkursionen strategische Erkenntnisse gesammelt wurden, die zur Abwehr eines feindlichen Angriffes, aber auch der Vorbereitung eines Präventivkrieges gegen Frankreich nützlich schienen.

So weilte er Juli 1847 zu einem kurzen Besuch in Trier, dem im Oktober des gleichen Jahres ein weiterer Besuch folgte. Über diese Eifelreise schrieb von Moltke, der auch der "große Schweiger" genannt wurde, nach seiner Rückkehr nach Koblenz an seine Frau, Marie von Burt, die während des Herbstes 1847 in ihrer dänischen Heimat weilte, folgenden hübschen Brief: (Die Anmerkungen in Klammern sind meinerseits zur Verdeutlichung eingefügt worden):

"Koblenz, den 28. Oktober 1847. Mein kleines Weibchen. Schon haben die Glocken unserer lieben Frau die zehnte Stunde geläutet, aber ein paar Worte muß ich doch noch schreiben. Da sitze ich wieder hinter meinem hübschen Arbeitstisch auf dem prächtig bequemen Stuhl von Papa im Eckzimmer. Die Gardinen sind herunter und es sieht aus wie ein Zelt. Alle Fensterritzen sind mit Papier verklebt, die Balkontür mit Stroh und Tischplatten kunstreich versetzt, der Blumentisch davor gerückt. Es ist aufs schönste gebohnert, auch der kleine cachedesordre Tisch ( = kleiner Schreibsekretär) im Fenster ganz nach meinem Wunsche angefertigt. So ist es dann äußerst heimlich und snug ( = engl. = behaglich), und ich habe eben die Aktenstücke beiseite geschoben und sehe mich um, ob kein kleines Weibchen kommt, um mich bei der Arbeit zu stören. Ich habe daher volle Ruhe und muß Dir nun vor Allem melden, daß ich gestern hiereingetroffen bin und Alles in guter Ordnung vorgefunden habe.

Ich war am 24. von Trier abgefahren, ließ die Pferde nach einer starken Tour auf der Höhe und ging noch eineinhalb Meilen (etwa 2,5 km) nach Kyllburg im tiefen Tal der Kyll hinab. Nichtsdestoweniger machte ich im schönen Abendschimmer noch einen Spaziergang und stand plötzlich vor einem prächtigen alten Gebäude, halb Burg, halb Schloß ( = Schloß Malberg) mit hochgemauerter Terrasse. Ich träumte lebhaft, daß es mein sei, und daß ich Dich eben herführte, um zu erfahren, ob es Dir wohl gefiele. Unglücklicherweise begegnete ich im Burghof dem Eigentümer, der mich sehr artig herumführte, aber die Illusion gänzlich störte...

Am folgenden Morgen suchte ich die Pferde auf und fuhr nach Manderscheid, wo tief im Tal zwei prachtvolle Burgruinen auf hohen Klippen liegen. Sie gehörten einst der ausgestorbenen Dynastenfamilie gleichen Namens. Kürzlich sind sie verkauft an eine alte Frau für 36 Taler, welche etwas Kohl und Rüben im Burghof erntet. Ein tüchtiges Klettern führte mich von da auf den 1.600 Fu ß (= 519 m) hohen Mosenberg, welcher aus drei alten Kratern besteht. Einer ist durch ein Torfmoor angefüllt (= Hinkelsmaar; war bis 1840 noch mit Wasser gefüllt). Wieviel 1000 Jahre müssen verflossen sein sein, damit auf dem feurigen Schlund solche Wälder vermodern konnten. Aus einem Krater zieht ein Lavastrom hinab ins Tal (= 1,5 km langer Horngraben).

Abends (25. Oktober) fuhr ich nach Daun, wo ich ein gutes Nachtlager fand (im Gasthaus Johann Adam Hölzer, jetzt Hotel Hommes). Der folgende Tag war mein ganz ergebenster Geburtstags. Eine schöne Feier, nur schade, je öfter man dieses Fest feiert, desto weniger erfreulich ist es. Übrigens war ein schöner Sonnenschein, und ich spazierte wieder auf vulkanischem Boden zu den Kratern von Schal-kenmehren (= die drei Dauner Maare), drei naheliegenden kleinen runden Seen von ungeheuerer Tiefe. Der Spiegel des einen (= Schal-kenmehrener Maar) liegt wohl 200 Fuß (= 63 m) tiefer als der des ändern (= Weinfelder Maar), von welchem er nur durch einen schmalen Damm getrennt ist. Der stahlblaue, regungslose Wasserspiegel erinnert an Castel Gandolfo im Kleinen. Abends fuhr ich auf sehr schlechtem Wege nach Kelberg.

Gestern früh (27. 10.) fuhr ich von dort an einem schönen Wintertag fort. Alle Wasser waren gefroren, die Halme und Blätter weiß kandiert, aber die Sonne schien hell und schön. Ich machte siebeneinhalb Meilen (etwa 11,5 km), und die Pferde waren von der vorigen Bergpartie sehr müde, aber als sie bei Bassenheim den Berg heraufkamen, waren sie gar nicht zu halten. Im schärfsten Trab ging es bis Rübenach herunter, als ich plötzlich statt Koblenz einen großen See erblickte mit hohen bewaldeten Ufern. Es war der Nebel, der über dem Rhein lag, und den ganzen, oben so sonnigen Tag nicht gewichen war. Unten war es warm, aber feucht und dunkel...

Heute früh Meldungen, Vortrag, Mittag im Riesen - und einen Gang auf die Brücke. Der Nebel hatte sich eben geteilt und die Sonne schien prächtig, obwohl etwas frisch. Das stolze Ehrenbreitstein blickte goldrot durch den feinen, blauen Nebelhauch herab, und die fernen Berge bildeten violette Schattenrisse, die kein Detail erkennen lassen und so äußerst malerisch sind. Es ist doch sehr schön hier, ich verstehe mich ein bißchen darauf, die Gegend hält jeden Vergleich aus."

Als in den kommenden Jahren sich die Konflikte Preußen-Frankreich zuspitzen, unternahm General von Moltke vom 1. bis 13. Oktober 1859 eine Übungsreise in die Eifel. Unterkunft bezog er dabei in Trier, Welschbillig, Bitburg, Kyllburg, Prüm, Stadtkyll, Jünkerath und Blankenheim. Seine letzte bekannte Generalstabsreise in die Eifel unternahm er im Herbst 1861, wo er auch in Monschau, Gemünd, Blankenheim, Hillesheim, Gerolstein, Daun (wieder im Hotel Hommes) und endend in Lutzerath nächtigte.

Das Denkmal

Moltke wurde nach den glänzenden militärischen Erfolgen Preußens 1860 und 1870/71 zu einer der bedeutendsten Gestalten des damaligen Staates. Nach seinem Tode 1891 ließen es sich daher die Dauner nicht nehmen, diese Persönlichkeit zu ehren. Moltkes Eifelbesuch und die Tatsache, daß er eben seinen 47. Geburtstag am Rande des Gemündener Maares feierte, waren dem Dauner Eifel- und Verschönerungsverein sowie anderen Bürgern Anlaß genug, diesem zu gedenken und dem berühmten General ein Denkmal zu setzen.

Am Sonntag, dem 2. 9. 1894 war es dann soweit. Das neue Denkmal, zu Ehren von Moltkes, konnte feierlich enthüllt werden. Folgen wir nochmals diesem festlichen Akt, der damals Daun bewegte, und heute - in ähnlichem Falle - kaum einem mehr ein "müdes Lächeln" abgewinnen könnte.

"Punkt drei Uhr setzte sich der imposante Festzug vom Marktplatz in Daun aus in Marsch zum Gemündener Maar. Voran die Schuljugend unter Führung ihres Hauptlehrers Bekker, dann das Trompeterkorps der 9. Husaren aus Trier, der Dauner Kriegerverein 1876, der Männergesangverein 1850, der Eifel- und Verschönerungsverein und die Spitzen der Behörden, so bewegte sich die große Menge der Festteilnehmer unter der heiß strahlenden Septembersonne zum Festplätze.

Moltke-Denkmal am Gewundener Maar.

Nach einem Musikstück des Trompeterkorps und einem Lied des Männerchores brachte Landrat von Ehrenberg am Fuß des Denkmals das Kaiserhoch aus, an das sich die Nationalhymne schloß. Danach hielt Regierungsbaumeister Blankenagel von der Eisenbauabteilung Daun die Weiherede, in der er die Bedeutung unseres großen Generalfeldmarschalles Grafen von Moltke würdigte und an seinen hiesigen Geburtstagsbesuch erinnerte. An das Hoch auf das Deutsche Vaterland schloß sich das Deutschlandlied an, das an dem Hangedes Mäuse- und Harzberges kräftig widerhallte.

Das von Baumeister Blankenagel entworfene Denkmal besteht aus einem sechseckigen, aus behauenen Basaltsteinen vom Leyen bei Daun entnommen, errichteten massiven Unterbau, auf dem sich ein Aufbau von gleicher Grundform aus vulkanischer Lava erhebt. Dessen Nordseite enthält auf der von der Jünkerather Gewerkschaft gegossenen eisernen Tafel die Widmung: "Hier feierte Helmuth von Molt-ke seinen Geburtstag am 26. Oktober 1847". Der beschriebene Aufbau wird durch eine schwere gotische Gesimsplatte abgeschlossen. Diese trägt eine in ihrer natürlichen Form belassene sechseckige Basaltsäule von fast einem Meter Durchmesser. An der Daun zugekehrten Seite dieses interessanten Felsens, der wohl Jahrtausende am Dauner Burgberg gelegen haben mag, ist das wohlgelungene Reliefbild des Grafen Moltke in Medaillenform von Johann Cerigioli in Berlin angebracht.

Gegen 4 1/2 Uhr zog die Festversammlung unter lustigen Märschen zur Sedanfeier auf den Wehrbüsch. Hier legte Kreisschulinspektor Gürten die Bedeutung des glorreichen Tages dar, der darauf auch von den Schulkindern in Gesang und Dichtung gepriesen wurde. Auf dem Festplatze, der namentlich auch von zahlreich in Daun zur Kur weilenden Badegästen und den Bewohnern der Nachbardörfer besucht war, entwickelte sich bald ein frohes Volksfest.

Um 9 Uhr abends begann dann das Festbankett im großen Saale des Hotel Schramm. Musikvorträge, Trinksprüche und gemeinschaftliche Lieder wechselten hier in bunter Reihenfolge. Bürgermeister Hölzer brachte die Gesundheit des Kaises aus, Sanitätsrat Dr. Schramm das Wohl der Kaiserin. Festgrüße waren eingelaufen von Regierungspräsident von Heppe, Trier, und Geheimer Regierungsrat von Moltke, Berlin, einem Neffen des Gefeierten. Erst in vorgerückter Stunde endete das schöne Fest."

Der Neffe

Moltkes Neffe, ebenfalls mit dem Namen Helmut und dem Titel "Graf", der mit einem Glückwunschtelegramm zu der Denkmalfeier seines Onkels beitrug, spielte wenige Jahre später im Ersten Weltkrieg eine unrühmliche Rolle. Er war, wie sein Onkel, Chef des Generalstabes von 1906 bis 1914. Während des Krieges hielt er sich zwar in etwa an "Umklammerungspläne" seines Onkels und an die von Schlieffen, schwächte aber zu stark den deutschen Flügel in Frankreich, indem er zu viele Soldaten abzog und sie in den Osten verlegte. Dadurch erhielten die französischen Truppen Übergewicht. Die Marneschlacht setzte 1914 ein. Neffe Moltke verlor total den Überblick und ließ die Schlacht abbrechen, was zu blutigsten Opfern bei den deutschen Truppen führte. Moltke wurde daraufhin als Chef des Generalstabes abgesetzt.

Der Erste Weltkrieg ging verloren. Amerikanische Besatzung lagerte als Siegesmacht in Daun. Sie ließ an "Souvenirs mitgehen", was nicht niet- und nagelfest war. Auch das wertvolle bronzene Reliefmedaillon mit der Abbildung von Moltkes am Gemündener Denkmal fand deren Gefallen. Sie brachen es aus und verschleppten es auf Nimmerwiedersehen.

Viele Jahre stand nun das steinerne Denkmal nackt und seines Bildes entblößt am Maaresrand. Schmerzvoll für viele Dauner und den Eifelverein. Alle waren der Meinung, daß dieses steinerne Monument wieder mit einem Bildnis verkünden sollte, zu wessen Ehren es errichtet wurde. So sammelte der Dauner Eifelverein Spenden und ließ durch die Jünkerather Gewerkschaft ein neues Moltke-Abbild gießen, das bis heute das Denkmal ziert.

Das Spiel des Lebens

Menschliche Lebenswege gleiten oft in seltsamen Bahnen; wie an unsichtbaren Fäden, die sich in der Hand eines Höchsten im Universum vereinen, hängen Schicksale, begegnen einander in der Kette der Generationen, kreuzen ihre Lebensbahnen und führen zu einem Ziel, das Lebenden selten einsichtig ist.

Das Moltke-Denkmal am Gemündener Maar sah nochmals einen Moltke-Nachfahren am Rande des Wassers stehen, ebenfalls begeistert von der herrlichen Maarlandschaft schwärmend, aber wohl innerlich von Gedanken und Gefühlen bewegt, die niemand erfuhr und niemand je erfahren wird.

Wie kam es zu jener Begegnung, die ich nur per Zufall erfuhr? Für manche mag sie belanglos und nebensächlich sein, für mich - hoffentlich auch für andere - ein spannender Einblick in eine bewundernswerte, feinsinnige menschliche Seele, wert der Nachwelt überliefert zu werden.

Der zweite Weltkrieg hatte begonnen. Seit sechs Wochen tobten Kämpfe im Osten. Blitzsiege gegen Schwache beherrschten die Schlagzeilen. Da wandte sich der Krieg gegen den Westen Europas. Riesige Soldatenmassen bewegten sich Richtung Belgien, Niederlande, Luxemburg und Frankreich. Einquartierungen von Soldaten in den Eifeldörfern waren nun Tagesordnung. So bezog auch von Anfang Oktober bis Anfang November 1939 eine Kompanie junger Soldaten in Brockscheid Quartier. Es war eine Radfahrschwadron. Befehligt wurde sie von Leutnant Helmut James von Moltke, 32 Jahre alt, der im Hause des Bürgermeisters Matthias Schneider wohnte und dort seine Schreibstube eingerichtet hatte.

Der nur vier Jahre jüngere Josef Schneider (+ 1990) erinnert sich noch gut an den damaligen Quartiergast: "Er war ein dunkler, schlanker Bursche, ausgesprochen höflich und zuvorkommend, und bei den Dorfleuten, die ihn trafen, rasch beliebt. Auch seine Soldaten mochten ihn wegen seines ruhigen Umgangstones, aber auch, weil er sie während der Einquartierung in Brockscheid in Ruhe ließ. Bei den Appellen und abendlichen Befehlsausgaben sah man Helmut von Moltke bei seinen Soldaten. Ansonsten hielt er sich meist in seinem Zimmer auf, las viel, schrieb aber noch mehr. Eine Vielzahl von Briefen stapelte sich allabendlich auf seinem Schreibtisch."

Mehrere Male nahm Josef Schneider den Offizier Helmut Moltke mit zur Pirsch und zur Jagd in die Wälder am Abhang der Lieser. Wann immer Moltke konnte, durchstreifte er den Tann, wanderte bis zur Geisenburg und hin zur Lieser. Die Natur war Erholung für ihn. Sie ließ seine Gedanken und seine Gefühle etwas zur Ruhe kommen. Bei einem dieser Pirschgänge hatten Josef Schneider und Helmut von Moltke ein nettes Erlebnis. Josef schoß in der dunklen Dickung ein Wildschwein. Von Moltke gab der Bache anschließend mit seiner Pistoleden Fangschuß. Beide waren über diesen Abschu ß recht zufrieden und feierten ganz privat ein "Schüsseltreiben", bei dem es feuchtfröhlich zuging. Moltkes Sorge dabei war nur: Hoffentlich merken meine Soldaten beim gleich stattfindenden Appell nicht, daß ihr Chef sich einen genehmigt hat. Sie sollen auf gar keinen Fall, den Respekt vor mir verlieren! Die Soldaten merkten nichts. Moltke schickte dann eine Abordnung hinunter ins Liesertal, damit sie von dort die erlegte Wildsau bringen konnte. Dies taten die Soldaten auch. Aber wie sah die Beute einige Stunden später aus? Nicht mehr wiederzuerkennen war sie, denn die Soldaten hatten ihr alle Borsten ausgerissen, die sie in Briefen als "Souvenir an ein aufregendes Kriegserlebnis" an ihre Angehörigen zu Hause verschickten. Als die Sau wenig später nach Daun zum Metzger Baptist Jung geliefert wurde, meldete sich dieser ganz aufgeregt per Telefon: "Was ist bloß mit dieser Sau los? Ist sie krank? Die hat ja gar keine Borsten mehr!"

Der Urgroßneffe

Helmut James von Moltke wußte von dem Denkmal, das die Dauner seinem Urgroßonkel gesetzt hatten. So bat er gleich zu Beginn seines Brockscheid-Aufenthaltes Josef, ihm doch dieses Denkmal zu zeigen. Josef willigte ein. Er durfte sich in den Beiwagen des Motorrades setzen, während Moltke auf dem Sozius Platz nahm. Sie fuhren über Trittscheid, Weiersbach hoch zum Gemündener Maar. Moltke, der zum ersten Male ein Maar sah, war ganz hingerissen von der herben Schönheit des ruhigen Sees, von der Stille der Natur und der leuchtenden Farbenpracht der Bäume im Herbstschmuck. Lange stand er betrachtend und in sich versunken vor dem Denkmal seines Urgroßonkels. Welche Gedanken bewegten ihn? Welche Gefühle durchzogen ihn? Wer beschreibt seine seelischen Entscheidungen, seine politischen Erkenntnisse im gedanklichen Vergleich verschiedener Generationen und politischer Systeme? Nach geraumer Zeit ging er dann mit Josef und seinem Fahrer hin zum Ehrenmal der Kriegstoten und schritt dann den Weg hinab zum Maaresrand. Er kniete sich nieder, fühlte das sanfte Wasser, von dessen dunkler Tiefe und sauberen Klarheit er angetan war. Anschließend fuhren die drei nach Brockscheid zurück, versäumten aber nicht, unterwegs auch noch das Weinfelder und das Schalkenmehrener Maar zu besichtigen.

Die menschliche Persönlichkeit

Moltke schloß rasch mit Josef Schneider Freundschaft, die so weit ging, daß der Graf dem Brockscheider das "Du" anbot. Auf einer der vielen Spaziergänge teilte Helmut eines Tages Josef Gedanken und Ideen mit, die dieser nicht verstand, die ihm aber nach Kriegsende blitzlichtartig wieder ins volle Bewußtsein drangen und seit dieser Zeit nie mehr aus seinem Erinnerungsvermögen schwinden können: Helmut berichtete, daß es zahlreiche Bürger und Offiziere in Deutschland gäbe, die mit Hitler und seiner Regierung, mit dessen totaler Machtergreifung und diktatorischem Vorgehen nicht einverstanden seien. Allerdings seien sich Hitlers Gegner nicht einig in der Planung und Durchführung ihrer gesteckten Ziele. Manche hätten sich als Ziel die Beseitigung Hitlers gesetzt. Er und seine Freunde seien aber aus ethischen und christlichen Gründen für einen unblutigen, mit demokratischen Mitteln erreichbaren Regierungswechsel.

Anfang November marschierte Graf Helmut James von Moltke mit seiner Radfahrerkompanie Richtung Frankreich weiter. Dort und auch im späteren Einsatz an der Ostfront bewährte sich der Graf, daß er das Ritterkreuz verliehen bekam. Dies teilte Helmuts Mutter - sie war zum zweiten Male verheiratet - der Familie Schneider auf einer schlichten Postkarte mit: "Weihnachten 1942. Einen kleinen Gruß zur Weihnachtszeit - Gerry von Düring - mein Sohn Moltke hat das Ritterkreuz bekommen und gedenkt oft seiner lieben Familie Schneider."

Mehrere Karten und Briefe Helmuts erreichten noch während des Krieges die Brockscheider Familie. Den traurigsten Brief von Mutter Moltke/Düring allerdings händigte der Postbote Februar 1945 den Schneiders aus. Darin teilte sie mit, daß ihr Sohn Helmut James Graf von Moltke am 23.1.1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden war.

Was bis dahin kein Brockscheider wissen konnte, war, daß jener schlanke, aufrichtige Offizier zu den führenden Köpfen des deutschen Widerstandes gehörte.

Helmut wurde am 11. 3. 1907 in Kreisau geboren. Er studierte Jura. Während der Zeit der Massenarbeitslosigkeit in der Weimarer Republikschuf er mit Angehörigen der Jugendbewegung vor 1933 die Löwenberger Arbeitslager, um so seinen Teil zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beizutragen. Ebenfalls teilte er große Teile seines ererbten Familienbesitzes auf, um kleinere Güter für verarmte Bauern zu schaffen. Als Anwalt für internationales Recht in Berlin half er politisch Verfolgten. Während des zweiten Weltkrieges konnte er als Offizier im Oberkommando der Wehrmacht dänische Juden' vor Verhaftung und Deportation warnen. Er verhinderte die Erschießung französischer Gefangener in Afrika und wandte sich gegen die Mißhandlung von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern. Seit 1940 begann er auf seinem Gut Kreisau geheime Tagungen zu organisieren. Dieser "Kreisauer Kreis" wurde zum Zentrum des bürgerlichen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Helmut James von Moltke wurde im Januar 1944 verhaftet und nach dem 20. Juli 1944 (= Attentat auf Hitler) zum Tode verurteilt, obwohl er selbst wegen religiös-sittlicher Bedenken Gegner eines Attentates war.

Auf den Tag genau lagen 92 Jahre zwischen den denkwürdigen Maarbesuchen derer von Moltke; dort jener "große Schweiger", der gefühlvolle und nüchterne Militärstratege, der Siege erstritt und Preußens Ruhm und kriegerisches Können vermehrte und hier sein Urgroßneffe, jener stille ernste Mann, der sein Leben für christliche Ideale und für seine Mitmenschen opferte. Seinem "schlachtenlenkenden" Urgroßonkel wurde am Gemündener Maar ein Denkmal gesetzt. Sollte seinem Verwandten, der so viel Positives für den Ruf und das Ansehen des deutschen Volkes leistete und dafür sein junges Leben an einem Fleischerhaken aushauchte, nicht auch eine Plakette neben der seines Urgroßonkels gewidmet werden?

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