Literatur als gemeinsames Erlebnis

Erfolgreiche Jugendbuchwoche "Aussiedler und wir"

Malte Blümke, Daun

 

Die Jugendbuchwoche "Aussiedler und wir" wurde im März 1990 durch die Kreisverwaltung Daun und den Friedrich-Bödecker-Kreis in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium und der Verbandsgemeinde Daun durchgeführt. An den rund 50 Veranstaltungen im Kreis Daun nahmen 3 000 Kinder, Jugendliche und Erwachseneteil. Schulen des Kreises, Bibliotheken und Büchereien, Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung boten vielfältige literarische Veranstaltungen an.

Das Ziel, durch Literatur Verständnis für Aussiedler zu wecken und den Aussiedlerkindern Hilfen bei der Eingliederung zu geben, konnte in großem Maße erreicht werden. Dies zeigten die Breitenwirkung der Jugendbuchwoche "Aussiedler und wir" und die engagierte Teilnahme von Aussiedlerkindern und deren Eltern.

Schon die Eröffnungsveranstaltung im überfüllten evangelischen Gemeindehaus in Daun zeigte die Zielrichtung an. Durch gemeinsames Tun wurden Kultur und Lebensverhältnisse in der Sowjetunion, Polen und Rumänien vermittelt. Als die Singgruppen von Elisabeth Benke Lieder aus ihrer russischen Heimat vortrugen und die deutschrussische Schriftstellerin Nelly Das die Aussiedler in russischer Sprache begrüßte, wurden manche Erinnerungen an die Heimat geweckt. Im Wechsel gestalteten Kinder aus Polen und der Sowjetunion und Kinder aus dem Pützbachtal und Üdersdorf das Programm mit Liedern, Märchen und Tänzen. In einer Malwerkstatt lernten Kinder östliches Osterbrauchtum kennen.

Im Mittelpunkt der Jugendbuchwoche standen die Autorenlesungen. Ganz bewußt hatten die Veranstalter Autoren eingeladen, die selbst. Aussiedler sind oder über Erfahrungen mit Aussiedlern verfügen. Sehr überzeugend schilderte Nelly Das in zwölf Lesungen im ganzen Kreis Daun das Schicksal der Rußlanddeutschen. Am Beispiel ihrer eigenen Familie, die aus Friedenstal in der Ukraine stammte und 1929 im Zuge der allgemeinen Kollektivierung ihr Land verlor, stellte sie die abenteuerlichen Erlebnisse ihrer Flucht, das Elend und die Strapazen dar. In dem autobiographischen Roman "Wölfe und Sonnenblumen" ist das literarisch verarbeitet. Auch heute noch hat Nelly Das sehr intensive Kontakte zu ihrer früheren Heimat. Durch die jüngsten Nationalitätenkonflikte werden die Rußlanddeutschen in Mittelasien wiederum stark gefährdet, so daß auch weiterhin Aussiedler aus diesen Regionen nach Deutschland kommen werden.

Mit sehr viel Einfühlungsvermögen gelang es der rumäniendeutschen Autorin Karin Gündisch, Kindern der Grundschule und der Orientierungsstufe die Welt der Deutschen in Siebenbürgen vorzustellen. In klarer und anschaulicher Sprache erzählt Karin Gündisch in den Büchern "Weit hinterden Wäldern", "Geschichten über Astrid" und "Im Land der Schokolade und Bananen" lustige und spannende, aber auch nachdenkliche und ernste Geschichten über die Deutschen in Rumänien - bis hin zu den Aussiedlerschicksalen der jüngsten Zeit. In mehreren Lesungen stellte der aus dem Banat stammende Autor Peter Groszdie Nachkriegszeit in einem deutschen Dorf in Rumänien dar. Er las dazu aus dem Manuskript seines neuesten Romans "Ende einer Wallfahrt". Die Schilderungen von den Greueln der Diktatur in Rumänien, die Peter Grosz 19 Monate ins Gefängnis brachte, wurden bestätigt durch die rumäniendeutschen Künstler Werner Söllner und Michael Wolff, die in der Druckwerkstatt des Geschwister-Scholl-Gymnasiums ein Plakat zum Thema der Jugendbuchwoche gestalteten. In sehr kunstvollen Sprachgebilden verarbeitet Werner Söllner in dem Gedichtband "Kopfland" seine Herkunft und die erhoffte Zukunft. Gemeinsam mit der Projektgruppe Druckwerkstatt, an der auch vier russische Aussiedlerkinder teilnahmen, wurde der Text von Werner Söllner in einem Lyrikplakat gestaltet: "Bruder, sag ich / was tun mit den Menschen? / soll man sie lieben? / soll man sie hassen? / oder reicht es schon, sie in Frieden leben zu lassen?"

Karin Gündisch bei der Autorenlesung im Leseclub "Bücherwurm".

Mit der Geschichte von jungen Menschen in der heutigen Sowjetunion beschäftigen sich die Bücher von Karin Kusterer "Von Rußland träum' ich nicht auf deutsch" und "Der schmale Weg zu Gott" von Alla Sariban, die in mehreren Lesungen von den beiden Autorinnen in Daun vorgestellt wurden und zu lebhaften Diskussionen führten.

Die Lesungen wurden ergänzt durch Buchausstellungen und Gesprächsrunden von Aussiedlerkindern mit einheimischen Schülern, die viele Fragen an ihre Altersgefährten aus Polen und der Sowjetunion (Alexander Simon, Harry Bender, Waldemar Brunner, Eduard Schkalei, Anna Rekling, Marius Rebzda, Valentina Knorr, Natalie Romme und Natalie Simon) stellten. Der erfolgreiche Verlauf der Jugendbuchwoche "Aussiedler und wir" im Kreis Daun bestätigt die Veranstalter im Vorhaben, das Projekt als ein Modellprojekt auszuweisen, das in anderen Kreisen und Kommunen in Rheinland-Pfalz weitergeführt werden soll.