"Im Land der Märchen, Träume und Phantasien"

Buchausstellung Michael Ende in Daun

Malte Blümke, Daun

 

Der Bücherfrühling 1990 im Kreis Daun stand ganz im Zeichen des Themas "Märchen, Träume und Phantasien". Den Mittelpunkt der zahlreichen Veranstaltungen zur Kinder- und Jugendliteratur, die wiederum von vielen Schulen, Büchereien, Buchhandlungen, Vereinen und Verbänden im ganzen Kreisgebiet durchgeführt wurden, bildete die Buchausstellung Michael Ende, die im Mai 1990 vom Leseclub "Bücherwurm" am Geschwister-Scholl-Gymnasium, der Kreisverwaltung Daun, der Buchhandlung F. Werner, der Volksbank Daun und dem Kulturkreis Daun in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium Rheinland-Pfalz durchgeführt wurde.

Nach den Ausstellungen der vergangenen Jahre mit Achim Bröger, Willi Fährmann und Otfried Preußler wurden die Veranstalter immer wieder gefragt, was denn im nächsten Jahr präsentiert werde. Dies geschah natürlich mit dem Unterton der Erwartung nach einer ganz besonderen Ausstellung, einer Steigerung. Doch kann man Autoren tatsächlich vergleichen? Ist nicht jeder wirkliche Schriftsteller ein Original, jedes wahrhaft literarische Buch einzigartig? In Bezug auf Michael Ende läßt sich allerdings von einer Steigerung sprechen. Nicht zu Unrecht bezeichnet Volker Hage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Ende als den erfolgreichsten deutschen Romancier unserer Tage. Erfolg läßt sich messen anhand der Auflage von mehreren Millionen Büchern, von Übersetzungen in mehr als 20 Sprachen, von Auszeichnungen, darunter dem Deutschen Kinderbuchpreis, dem Deutschen Jugendbuchpreis, dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, dem Europäischen Jugendbuchpreis, dem Preis der Leseratten, die Ende zum zehnjährigen Jubiläum im Mai '90 nach Mainz eingeladen hatten. Worin ist nun dieser anhaltende Erfolg bei den Lesern und zum großen Teil auch bei den Kritikern begründet? Mit seinem Erstlingswerk "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" (1960) revolutionierte Ende die Kinder- und Jugendliteratur, die bis dahin - mit wenigen Ausnahmen wie Erich Kästner im Dienst einer moralisierenden Erziehung stand. Für Ende steht im Mittelpunkt das zweckfreie Spiel, die Lust am Fabulieren, der Gegenentwurf zur zweckgerichteten, funktionierenden Erwachsenenwelt, die diese auf die Kinder übertragen wollen. Die Eisenbahn als der Inbegriff der Technik wird zum "Spielzeug", zum Symbol der Zweckfreiheit. Als Ende dieses Buch 1960 schrieb, befand er sich in einer schwierigen Lebensphase. Er hatte sich gerade von seinem erlernten Beruf des Schauspielers abgewandt und wollte sich durch theatertheoretische Studien auf die Tätigkeit als Dramaturg vorbereiten. Mit den Schriften, vor allem mit den rationalen Theatertheorien Brechts hatte Ende seine Schwierigkeiten - "Ich fing eines Tages zu meinem Vergnügen und weil ich selbst gern spiele, an, eine Kindergeschichte zu schreiben. Ich tat es ohne Absicht und ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte. Und wie es so geht, die Geschichte machte sich selbständig und zog mich hinter sich her, und als ich fertig war, war es eben ein Buch geworden." (Michael Ende zum 50. Geburtstag, 1979, S. 14).

Die Preisträger im Schreib-, Mal- und Bastelwettbewerb und die Sieger im Michael-Ende-Quiz vor dem alten Landratsamt.

In den siebziger Jahren war es wiederum Michael Ende, der mit seinen Romanen "Momo" (1973) und "Die unendliche Geschichte" (1979) die engagierte, realistische Kinder- und Jugendliteratur, die sich teilweise in Phrasen und Schlagworten, in Ideologie und Indoktrination verfangen hatte, erneuerte.

In beiden Romanen setzt Ende gegen die Bedrohung der Menschen durch die grauen Herren, die hektisch, rücksichtslos und profitsüchtig die Zeit der Menschen stehlen (Momo), beziehungsweise gegen das Unheil, das Phantasien durch das Nichts droht (Die unendliche Geschichte), die Kraft der Phantasie und Poesie, die den Menschen helfen, sich in der Welt zurechtzufinden.

Anders als Otfried Preußler, der in seinem Werk starke historische Bezüge aufweist unddeshalb der Sage und Legende nähersteht, siedelt Ende seine Romane in einer zeitlich und räumlich abstrakteren Ebene an und steht hier dem Märchen viel näher.

Ende setzt auf die Kraft des Wortes. Deutlich wird dies in den 26 Kapiteln der "unendlichen Geschichte", die jeweils in ihren Anfangsbuchstaben dem Alphabet folgen. Aus der begrenzten Zahl der 26 Buchstaben werden unendlich viele Wörter, Sätze, Geschichten.

Die Wiederherstellung einer heilen Welt wird Kindern anvertraut: Jim Knopf, Momo, Bastian. Und dennoch sind die Bücher Michael Endes keine Kinder- und Jugendbücher im engeren Sinne, denn sie sprechen alle Altersstufen von Lesern an; deshalb wurde auch ganz bewußt eine Buchausstellung Michael Ende gestaltet, um das Getto einer Kinder- und Jugendliteratur aufzubrechen oder gar nicht erst entstehen zu lassen.

Buchausstellungen allein sind langweilig. Deshalb wurden in den Ausstellungen der Jugendbuchwoche immer auch Illustrationen und Bilder gezeigt. Bei Michael Ende bietet sich das von Biographie und Werk nahezu an. Ende ist Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende, erwächst in Künstlerkreisen in Schwabing auf, seine Romane sind erzählte Bilder, 'Momo' ist von Ende selbst illustriert. Die Illustrationen von Roswitha Quadflieg 'Die unendliche Geschichte', Manfred Schlüter 'Norbert Nackendick', 'Lindwurm', Tranquilla', F. J. Tripp 'Jim Knopf und Lukas', Regina Kehn 'Wunschpunsch' und Reinhard Michl 'Jim Knopf bildeten deshalb auch den Kern der Ausstellung. Daß die Bildhaftigkeit der Ende-Bücher Film und Fernsehen anzieht, versteht sich von selbst und wurde auch in der Ausstellung gezeigt, wobei Bilder zu Sinnbildern werden müssen und nicht zum großen technischen Spektakel.

Ende ist - von seiner Ausbildung her - dem Theater stets verbunden geblieben. Alle seine Romane liegen auch in Theaterfassungen vor, "Das Gauklermärchen" (1982) und "Der Gog-golori" (1984) sind für das Theater geschrieben. Früh schon spielte die Augsburger Puppenkiste den "Jim Knopf" und trug zum Erfolg des Buches bei. Von der berühmten Augsburger Aufführung zeigten wir in der Ausstellung die Puppen von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer.

Mit Hilfe von Michael Ende und mit Unterstützung des Thienemann Verlages gab die Ausstellung, die vorher in Stuttgart zu sehen war, einen umfassenden Einblick in die Entstehung der Ende-Bücher, das Gesamtwerk und dessen Wirkung. Die Originalmanuskriptseiten, Bilder von Edgar Ende, Familienfotos bis hin zum Stammbuch der Familie Ende vermittelten einen Eindruck von dem Umfeld, in dem die Ende-Bücher entstanden sind.

Das Werk wurde durch alle lieferbaren Ende-Bücher, die Illustrationen und durch zahlreiche Lizenzausgaben - bis zu einer sehr sorgfältig gestalteten japanischen Ausgabe der "Unendlichen Geschichte" - repräsentiert.

Rezensionen, Preise und Dokumente zu Preisverleihungen, drei goldene Schallplatten, Spiele, Cassetten zeigten die ungebrochene Beliebtheit der Ende-Bücher.

Im Rahmenprogramm zur Michael - Ende-Buchausstellung begeisterte der Lyriker und Maler Manfred Schlüter in zehn Veranstaltungen rund 500 Kinder in Kindergärten, Buchhandlungen, Bibliotheken und Schulen. Zeichenblock und Zeichenstift unterstützten die phantasievollen und lustigen Geschichten und Gedichte.

Mit viel Geschick und Erfahrung stellte sich Manfred Schlüter bei den Autorenlesungen in der Dauner Region auf seine Zuhörer ein, ob es nun Kindergartenkinder, Grundschüler, Hauptschüler, Gymnasiasten oder Erwachsene waren. Mit schnellen und sicheren Strichen zeichnete Schlüter zu Beginn der Lesungen einen großen, bärtigen Mann, den die Kinder sofort als Porträt erkannten. Dann entwickelte er das Bild weiter nach Vorschlägen der Kinder oder nach eigenen Geschichten und Gedichten. Typisch ist das Wal-Gedicht, das Stück für Stück als Bild enstand:

"Der Wal schwimmt auf dem Meer,

die Maus, die schwimmt ihm hinterher.

Nach 51 Kilometern beginnt die Maus wie wild zu zetern,

denn siedend heiß fällt ihr ein:

Sie hat gar keinen Freischwimmschein!

Sie piept um Hilfe in der Not,

drum mal' ich ihr ein Rettungsboot."

Für die älteren Kinder erklärte Schlüter die Entstehung eines Buches vom Manuskript bis zum fertigen Exemplar. Anschaulich zeigte er, wie Schriften entworfen werden, damit sie zu den Geschichten passen. Mit Kreidestiften mischte er Farben, so daß ein Regenbogen entstand. Geduldig beantwortete er Fragen nach seiner Familie und Arbeitsweise. Er lebt in einem kleinen Dorf an der Nordsee in einer alten, ehemaligen Schule. Dort entstehen in seiner Werkstatt seit 1980 Bilder für Bücher mit Texten von Michael Ende, Boy Lornsen, Achim Bröger, Knister, Jürgen Banscherus und Willi Fährmann. 1981 wurde das Bilderbuch "Der Lindwurm und der Schmetterling" von der Stiftung Buchkunst als eines "der schönsten Bücher des Jahres" ausgezeichnet und 1983 erhielt Schlüter den Förderpreis der Friedrich-Hebbel-Stiftung.

In der Kreisbibliothek erzählte Schlüter in Wort und Bild die Geschichte "Der rote Sessel" von Achim Bröger. Der Sessel verwandelte sich in eine Ritterburg, ein rasendes Auto, eine Wildwest-Postkutsche, ein rotes Sesselflugzeug und in ein Segelschiff. Im Leseclub zeigte Schlüter die Originalentwürfe zu dem Bilderbuch "Norbert Nackendick". An den vielen Veränderungen konnten die Bücherwürmer erkennen, daß Schlüter sehr lange an einem Bild arbeitet, bis es ihm gefällt.

Schon jetzt freuen sich die Kinder aus den Kindergärten in Daun, Steinborn und Neunkirchen, aus der Grundschule Mehren und den beiden Dauner Gymnasien auf das neue Buch von Manfred Schlüter. Es heißt "Kuddelmuddelbuddelbuch" und erscheint 1990. Schlüter verriet von der Geschichte, die er zum ersten Mal selbst geschrieben hat, nur soviel, daß sie von einem Kapitän handelt, der mit seinem Schiff in einer Flasche lebt.

An dem Quiz zur Michael Ende Buchausstellung nahmen 342 Kinder und Jugendliche aus dem ganzen Kreis Daun und von allen Schularten teil.

Fragen zu Michael Ende mußten beantwortet werden.

Die Antworten konnten mit Hilfe der Ausstellung beantwortet werden. 174 Antworten waren richtig und 168 falsch. Unter den richtigen Antworten wurden 30 Buchpreise ("Momo", "Die unendliche Geschichte", "Das Gauklermärchen", "Das Michael Ende Lesebuch", "Der Wunschpunsch" und andere ausgelost). Die Preise wurden vom Thienemann Verlag Stuttgart, vom Deutschen Taschenbuch Verlag München und vom Leseclub "Bücherwurm" am Geschwister - Scholl - Gymnasium gestiftet. Namen der Preisträger:

Grundschule Daun: Nils Blümke, Frank Berty; Hauptschule Daun: Angela Kapp, Britta Kanzler, Andreas Joksch, Markus Hens, Michael Schäfer, Manuela Willems, Dirk Schelian, Heidi Schu, Sandra Litzborski, Nicole Bauer; Realschule Daun: Beate Hayer, CarinaSerwaty, Vera Morstein, Silke Schmilz, Andrea Dussel, Kerstin Schmitt;

Thomas-Morus-Gymnasium Daun: Isa Hörn, Christian May, Michael Müller, Carina Äußern; Geschwister-Scholl-Gymnasium Daun: Lars Haferkamp, Marco Fuhrmann, Eva Sartoris, Melanie Puchner, Stefan Kallenberg, Ralf Kriegel, Christian Schneider.

In einem Schreib-, Mal- und Bastelwettbewerb, zu dem die Kreisbibliothek anläßlich der Jugendbuchwoche alle Kinder und Jugendlichen aufgerufen hatte, konnten Kinder und Jugendliche ihren Träumen und Phantasien freien Lauf lassen. In dem Schreibwettbewerb gewannen Oliver Fehrentz (Daun), Marei Fricke (Pützborn) und Mathias Dunkel (Pützborn) in den Jahrgängen 1979/80; Ralf Mayer (Gillenfeld) und Thorsten Güth (Kelberg) in den Jahrgängen 1977/78 und Nadine Humberg (Salm) und Jochen Willwer (Darscheid) Jahrgang 1976. Pierre Nölle (Hallschlag), Lars Haferkamp (Daun), Björn Blümke (Daun) und Orinna Becker (Daun) waren die erfolgreichsten Bastler.

Im Malwettbewerb nach Motiven von Michael Ende wurden Bilder von den folgenden Schülerinnen und Schülern ausgezeichnet: Katharina Gurski, Andrea Koch, Susi Czernohorsky, Stefan Zirwes, Jens Jenssen, Mike Wanner, Susanne Schmaus, Tamara Dinges, Verena Bruhn, Daniela Winterhoff, Susanne Dunkel, Manuela Krön, Babett Beyer und Anne Krag.

Daß solch eine umfangreiche Ausstellung durchgeführt werden konnte, ist den Veranstaltern, dem Thienemann Verlag, dem Friedrich-Bödecker-Kreis, den Sponsoren, dem Kultusministerium zu verdanken. Hinter den Institutionen stehen jedoch viele Mitarbeiter, denen besonderer Dank gilt: Annette Müller, Ursula Naw-rath, Klaus Türr, Matthias Mainz, Christel Werner, Lisa Henn, Dieter Michels, Franz-Josef Ferber, Birgit Sonnenfroh, Anita Tittel, Maria Gurski und nicht zuletzt Michael Ende.