Gespräche über den Zaun

Anna Belmonte

 

Sobald der Frühling da ist, wird in Haus- und Vorgärten gewerkelt. Die Arbeit beginnt mit pflanzen, schneiden, dann jäten und mähen - das sind notwendige Tätigkeiten und eben Voraussetzung, wenns im Sommer blühen soll.

Meine Nachbarin hat einen "grünen Finger", ihr gelingt beinahe alles im Hausgarten. Wenn noch schmutzige Schneereste bei uns die Oberhand haben, gucken bei ihr schon vorwitzige Schneeglöckchen und Krokusse hervor und spät im Herbst, da ist in unseren Beeten alles abgeräumt, hat sie irgendwo ein verborgenes Blümchen, eine kleine Gartenschönheit, die es zu sehen lohnt.

Vor zwei Jahren pflanzte die Nachbarin entlang des Zauns frische Stauden - Holunder, Schneeball, Pfaffenhut. Sie achtet sehr darauf, daß die Vögel Nahrung finden und die Neupflanzung war eigens zu diesem Zweck angelegt. Auch im Sommer wachsen bei ihr zwischen Rasenfläche und Blumenbeeten ganz bewußt Wildblüher; Sauerampfer, wilde Mohre, eben Un-Kräuter.

Das bemängelte ihr Vermieter.

So etwas gehöre ja nun nicht unbedingt in den Garten. Schließlich ist genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite, ein großes Stück Un-Land; da können die Vögel sich Samen holen.

Meine Nachbarin ist dagegen. Auch Vögel haben "ihre Heimat" und die liegt nach ihrer Erfahrung für viele gefiederten Freunde nun mal im Bereich des von ihr versorgten Gartens. Sie ist eine stille Frau, nimmt sich Zeit fürs kleine Getier und weiß um Besonderheiten, so eben wer wann wohin kommt.

Gestern begrüßten wir uns "über den Zaun" und sie sagte, sie sei bemüht, dem Hausbesitzer einen Kompromiß anzubieten; einige Wildkräuter schnitt sie aus.

Es war nicht von der Hand zu weisen, der Optik tats gut. Doch für den Erhalt der ändern Wildpflanzen machte sie sich stark. Tenor der Verteidigung: Ein Garten muß leben. Er ist nicht nur schöner Anblick, er muß Insekten, Vögeln, allem Kleintier Lebensraum sein, sonst hat er seinen Sinn verfehlt. Und dann erzählt meine Nachbarin vom Sinn und Zweck des Krautes X und Y .... ich höre artig zu, mein "grüner Finger" ist nämlich ein wenig verkümmert und Lernen hat selten geschadet, zumal diese Frau schon so oft Recht hatte.

 Ich geb's zu, manchmal sind ihre Ansichten unbequem, sie passen überhaupt nicht in mein Lebensbild und ich hab sie oft verworfen - mich aber genau so oft korrigiert.

Zum Gespräch "über den Zaun" - was brachte es?

Ehe ich mir so recht Zeit nehmen konnte, über Sinn und Zweck der Diskussion nachzudenken, dies Bild heut morgen - so nebenbei beim Kaffeebrühen schau ich aus dem Fenster.

Da bewegt sich was in der Wiese. Keine Maus, etwas auf einer Rispe

 -ich hol mir die Brille.

Sitzt doch ein wunderschöner Vogel im Sauerampfer, den hab ich noch nie hier gesehen, braun, mit schwarzem, langem Schwanz und ein wenig Weiß auf der Brust.

Er pickt die Samen, schwingt mit dem dünnen Stil auf und ab ... natürlich denk ich an meine Nachbarin.

Sie hatte wieder mal "den Finger auf der Wunde" und eben Recht.

Leben ist lernen.

Über Anstöße sollte man schon mal nachdenken - oft lohnt sichs.