Auf den Spuren von Stefan Andres

Michael Blum, Euskirchen

 

Wir reden oft vom Zufall; vom günstigen, glücklichen, launischen, blinden, oder vom bösen. Wir sagen, der Zufall wollte es, durch Zufall erfuhr ich, das ist kein Zufall, das darf ich nicht dem Zufall überlassen ...

Meist meinen wir mit Zufall ein Ereignis, das in unser Leben eintritt, von uns aber nicht erwartet, nicht geplant, nicht beabsichtigt war, und für das wir grundsätzlich auch keine weltliche oder göttliche Macht verantwortlich machen können und wollen.

In diesem Sinne wollte es der Zufall, daß ich im Sommer 1988 eine Einladung der befreundeten Kath. Akademie in Trier erhielt, die Stefan-Andres-Gesellschaft auf einer Italienreise zubegleiten. Die neuntägige Studienreise unter dem Motto "Auf den Spuren Stefan Andres" war vorgesehen in den Herbstferien des Landes Rheinland-Pfalz.

Und es war wieder ein Zufall, daß die Ferien unseres Landes ausnahmsweise einmal in dieselbe Zeit fielen.

Stefan Andres, mir aus meiner eigenen Schulzeit als deutscher Dichter und Schriftsteller ein wenig bekannt, der seine Kinder- und Jugendjahre in Schweich bei Trier verbrachte und wegen des Naziregimes mit seiner Frau und seinen Kindern nach Italien emigrierte; ihn und damit sein Werk besser und genauer kennenzulernen, war wohl die wichtigste Motivation,den Anmeldebogen zur Italienfahrt für meine Frau und mich abzusenden.

"Frau Dorothee Andres in Rom freut sich auf das Wiedersehen mit den 'Abgesandten' der Stefan-Andres-Gesellschaft", stand in dem Begleitschreiben der Einladung.

Am 15. Oktober '88, um 7 Uhr morgens, saßen wir in Schweich in einem angenehmen Reisebus, der uns bis zum Abend desselben Tages bis nach Malcesine am Gardasee/ltalien brachte. Wir sahen in den folgenden Tagen Florenz, wurden in Rom von Frau Andres herzlich und liebevoll in ihrer großen, schönen Wohnung empfangen und hatten von der weiträumigen Terrasse einen herrlichen Blick auf die Kuppel des Petersdomes. Wir besuchten das Grab des Dichters auf dem Deutschen Friedhof bei St. Peter im Vatikan, sahen viele Heiligtümer und berühmte Bauwerke der römischen Zeit. Beeindruckend auch die ausgegrabene Stadt Pompeji und die Fahrt durch Italien in den Süden, Positano entgegen.

Unser Reisebus hat längst die Autobahn verlassen und quält sich durch die enge, kurvenreiche Gebirgsstraße. Es beginnt schon zu dämmern, als jemand von der Reiseleitung durch das Bordmikrofon mitteilt, daß wir etwa in einer Stunde in Positano ankommen. Dann folgen einige Ausführungen zur Geschichte Positanos.

Nach einer halben Ewigkeit hält der Bus. Wir sind - ohne es bemerkt zu haben - in Positano. Wir stehen auf der schmalen Straße neben einem Haus, zu dem steile Stufen hinaufführen, "Albergo California" lese ich auf einem alten Schild - unser Hotel! Ich schleppe das Reisegepäck hinauf, erhalte unseren Zimmerschlüssel, stehe in einem großen, mit kostbaren alten Fliesen belegten Hotelzimmer, stelle das Gepäck ab und trete durch eine hohe Doppeltür nach dräu ßen auf die Terrasse. Was sich hier meinem Blick darbietet, ist mit Worten nicht annähernd zu umschreiben - und wenn, es würde ein Buch füllen. - - -

Lange habe ich das Märchen POSITANO am Meer in dieser Mondnacht angeschaut. Und als ich nach ein paar Stunden durchträumten Schlafes am Morgen erwachte, begriff ich, daß ich rettungslos verliebt war.

Dabei zeigte sich Positano im frühen Morgengewand ebenso liebreizend, wie es sich des Nachts im Mondkleid dargestellt hatte. Alles so heiter, so leicht und licht! Ich wollte in den kommenden wenigen Tagen nur noch Positano sehen, möglichst viel davon über meine Sinne aufnehmen.

Wie dumm von mir! - Ich hatte weder einen Zeichenblock noch mein Skizzenbuch mitgenommen, geschweige denn ein Set Farbstifte oder gar einen Malkasten.

Aber mit einer solch gewaltigen Fülle von sinnenberauschendem Zauber hatte ich nicht im geringsten gerechnet.

Meine Frau besorgte mir einen Zeichenblock und in meiner Handtasche fand ich einen Zeichenstift. Das war alles, was in der Eile in Positano aufzutreiben war.

So zog ich durch das Städtchen hinunter zum Meer und wieder hinauf, auf endlosen Treppen, durch Rundbögen hindurch - jeder Blick ein Motiv - ein Fest für die Augen. Ich arbeitete fieberhaft, notierte in meinen Skizzen nur das Notwendige, das, was ich für meine Rückerinnerung zuhause brauchte.

Am frühen Abend, wenn ich von meinen Streifzügen in unsere Albergo zurückgekehrt war und Positano sich für die Nacht umkleidete, saß ich lange auf der Terrasse und notierte die Traumbilder, die vor mir aufstiegen.

Zu schnell kommt der Abschied. Morgens früh sitzen wir im Reisebus auf unseren angestammten Plätzen. Oben, von der Gebirgsstraße aus, zeigt sich Positano noch einmal im zarten Morgengewand.

In den Tagen, Wochen und Monaten nach unserer Italienreise blieb Positano Mittelpunkt meiner bildnerischen Arbeit. Immer wieder dachte ich an Positano, - nur Positano!

In der Ruhe und Abgeschiedenheit meines Eifelateliers fand ich Gelegenheit, meine Liebesträume meditierend nachzuerleben. Außer wenigen Skizzen sind alle meine Bilder dort entstanden. - Liebesgeständnisse an eine italienische Stadt am Meer.

Im Oktober des vergangenen Jahres - fast genau ein Jahr nach meiner Italienfahrt - fuhr mein Sohn Manuel nach Sorrent und besuchte einen Tag lang Positano.

Manuel war begeistert. Als wir nach seiner Rückkehr über seine Eindrücke sprachen, meinte er: "Was ihr von Positano erzählt habt, das konnte ich dort nicht so sehr wiederfinden; aber was Papa in seinen Bildern gesagt hat, das ist Positano!"

Mondnacht in Positano - Ölbild.