Eisenmuseum Jünkerath

Hydraulische Revolution im gewerblichen Sektor

Semra Beck, Daun

 

Die geophysiologische Beschaffenheit der Eifel war jahrhundertelang ein wesentlicher Faktor für ihre kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung. Die Region gehört zu den montangeschichtlich ältesten Gebieten Deutschlands. Vor allem waren die weit ausgedehnten Eisenerzlager seit der Antike bis zum 19. Jahrhundert von großer lokaler und regionaler Bedeutung. Heute führt die Firma Mannesmann-Demag das Werk in Jünkerath in Fortsetzung dieser uralten Tradition als eines der wenigen Zeugnisse der einst in der Eitel blühenden Eisenindustrie fort.

Im Zuge des sich immer mehr verfestigenden Kulturbewußtseins halten es Gemeinden, Städte und Kreise immer mehr für ihre selbstverständliche Aufgabe, sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Die Erforschung der Kulturgeschichte und der kulturellen Güter war schon immer der sicherste Weg, die Spuren der Menschheit ausfindig zu machen, sie geographisch einzuordnen und zeitlich zu fixieren. All diese Aspekte vermögen die Probleme unserer Zeit nicht zu lösen; dennoch können sie dazu beitragen, Aufschluß darüber zu geben, wie Generationen von Menschen vergleichbare Probleme bewältigt haben, und Einsichten in die Prozesse der Kulturentwicklung der Menschen gewähren. Nicht zuletzt wird die Identität der diese Kultur tragenden Bevölkerung gestärkt, indem der Geist und die Wertmaßstäbe der Vergangenheit vergegenwärtigt werden. In diesem Sinne hat sich der Kreis Daun entschlossen, eines seiner Museen in Jünkerath dem Werkstoff Eisen zu widmen, wo ein Teilbereich der europäischen Kunst-und Technikgeschichte in einem sozialgeschichtlichen Zusammenhang dargestellt wird.

Während der ganzen Geschichte der Menschheit hat es Etappen gegeben, die ihrer Entwicklung besondere Impulse verliehen haben. In der frühesten ungeschriebenen Geschichte war es in erster Linie die Verwendung des Feuers1) und die Bearbeitung von Stein- und Knochenwerkzeugen, die neue Formen der Produktionstätigkeit ermöglichten. Die Fortentwicklung des Handwerks blieb nicht ohne Folgen auf die soziale und kulturelle Entwicklung der die Produktionszentren betreibenden Gesellschaften. Vor allem die Technik war immer auf das engste mit der Existenz des Menschen verknüpft. Sie ist in der Natur und der materiellen Umwelt begründet und das Ergebnis menschlicher Geistestätigkeit.

Eine weitere Etappe begann vor etwa zehntausend Jahren, als der Mensch Ackerwirtschaft und Viehzucht betrieb. Hier ist zum ersten Mal der Übergang von der konsumierenden zur produzierenden Gesellschaft festzustellen. Gewiß verlief die technische Entwicklung für unsere heutigen Zeitbegriffe recht langsam. Wenn man bedenkt, daß die Entstehung des Homo Sapiens vor etwa einer Million Jahren begann, so waren immerhin 99 % dieser Zeit verstrichen, als im Neolithikum2)die Voraussetzungen für Seßhaftigkeit geschaffen wurden. Der erste "Kunststoff" kam ebenfalls im Neolithikum allgemein in Gebrauch. Es war die aus Ton formbare und durch die Sonne und Feuer härtbare Keramik, ein neuer Werkstoff, der ebenfalls zum äußeren Erscheinungsbild dieser kulturellen Entwicklung zu zählen ist.

Zur Rohstoffbeschaffung für die Anfertigung täglicher Gebrauchsgegenstände durchforschte der Mensch weiterhin ständig seinen Lebensraum. Allmählich diente gediegenes Metall den Produzenten der Steinartefakten als neues, zu behämmerndes Werkmaterial, bis man dazu überging, das Metall aus geschmolzenen Erzen zu gewinnen. So erfuhr auch die Eifel, trotz ihres ungünstigen Klimas und der geringen Ertragsfähigkeit des Bodens, nicht zuletzt wegen ihrer Bodenschätze, bereits in den vorchristlichen Jahrhunderten Aufmerksamkeit3)

Von den ersten Ackerbaukulturen an war das Wasser nicht nur Voraussetzung für die Ernährung des Menschen, sondern ebenfalls bei einer Vielzahl technischer Entwicklungen und Erfindungen nicht hinwegzudenken. Reichten die natürlichen Niederschläge nicht aus, mußte das Wasser aus dem Fluß, dem See oder der Quelle auf die Felder gebracht werden. Die Flußkulturen von Euphrat und Tigris, Nil, Indus und Hoangho (ab 3500 v. Chr.) brachten die Organisation und Mechanisierung der Bewässerung des Bodens und waren mit der Entstehung der Hochkultur (Staat, Schrift, arbeitsteilige Gesellschaft und Rechtsordnung) verbunden. Die Kulturgeschichte bezeichnet diese einmalige Kreativität mit Recht nicht umsonst als "die hydraulische Revolution" der Bewässerungskulturen. Die Entstehung verbesserter Werkzeuge und hydraulischer Vorrichtungen ermöglichte es, die Muskelkraft des Menschen und seiner Tiere zu vervielfachen, obwohl sie weiterhin ausschließlich von diesen betrieben werden mußten. Nur recht zögernd gelang es endlich, die Muskelkraft durch die Naturkraft zu ersetzen.

Ehrenfriedersdorfer Radpumpe nach G. Agricola. Die Kolbenstangen für drei Pumpen werden über eine Kurbelstange und zwei Scheren mit dem Wasserrad in Bewegung gesetzt. Durch diese Methode der Wasserhaltung wurde der Tiefbergbau möglich. Die Eisenerzvorkommen der Eifel über Grundwasser waren bis 1815/20 ausreichend, sodaß diese Technik hier nicht zur Anwendung kam.

Sakiah, ein von Zugtieren angetriebenes Schöpfrad, seit der Antike üblich. Zu beachten das Schneckengetriebe, die Übertragung der horizontalen in die vertikale Drehung, wie im Schema dargestellt. Noch heute ist dies Schöpfrad in Indien im Einsatz, das Bild wurde 1990 in Mount Abu in Rajasthan aufgenommen.

Das Wasserrad 4) war die erste bodenfeste Anlage zur Gewinnung natürlicher Energie. Mit dieser Erfindung kann mit fast noch größerer Berechtigung der Beginn einer neuen Epoche bezeichnet werden. Sie verlieh den wirtschaftenden Menschen neue Impulse und stellte die Produktion auf eine völlig neue Grundlage. Was bis dahin lediglich erprobt worden war, wandelte sich nun rasch in ein bewußtes Streben nach Lenkung und Ausbeutung der zugänglichen Naturkräfte.

Unter dem Begriff "industrielle Revolution" war bisher traditionell der Strukturwandel des 187 19. Jahrhunderts in England zu verstehen. Die Technikgeschichte 5)konnte jedoch in der Zwischenzeit sehr überzeugend darlegen, daß dem technischen Aufschwung vom 11. bis zum 13. Jahrhundert der Rang der ersten industriellen Revolution in der Geschichte Europas zukommt. Gewiß verliert die "industrielle Revolution" des 18. Jahrhunderts damit nicht an Bedeutung, wohl aber ihre Singularität. Sie war gleichsam erneut eine hydraulische Revolution im gewerblichen Sektor.

Die Nutzbarmachung der Wasserkraft im späteren Mittelalter hatte im deutschen Raum in der Tat eine tiefgreifende Umwandlung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse hervorgerufen, wie es später durch die Einführung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert der Fall war.

Die Eisenindustrie 6) hätte sich ohne Wasserläufe niemals in der Weise entwickeln können, wie dies tatsächlich der Fall war. Erzvorkommen und der für die Reduktion und Energieversorgung mittels Holzkohle notwendige Waldbestand waren weitere Standortfaktoren, die die Lage begünstigten. Die nötigen Bäche zum Antrieb der Wasserräder waren in der Eifel zahlreich vorhanden. Im Norden sind besonders Vicht, Wehebach und Rur, weiter südlich dann Olef, Urft, Vey, Salm, Ahr, Ah, Sauer, Kyll, Quint, Kailbach und Alf zu erwähnen 7). Die meisten Hütten und Hammer lagen an Olef, Urft und Kyll. Zumindest bei normalem Wetter waren die Wasserverhältnisse recht günstig. So wanderten mit der Einführung der Wasserkraft für Gebläse, Hammer und Pochwerk zum Zerkleinern der Erze die Standorte der Eisenerzeugung von den Berghöhen der Erzlagerstätten herab in die wasserreichen Täler.

Der Zeitpunkt, zu dem die ersten wassergetriebenen Eisenwerke in Europa gebaut wurden, ließ sich der Quellenlage nach bisher nicht ermitteln. Das Problem liegt sicherlich in der Tatsache, daß die Werksbezeichnungen in den mittelalterlichen Quellen nur in wenigen Fällen erkennen lassen, wie das jeweilige Werk aufgebaut war 8) Es steht jedoch fest, daß im Hochmittelalter Eisenwerke mit und ohne Wasserkraft nebeneinander arbeiteten. Die wassergetriebenen Werke waren technisch verhältnismäßig kompliziert. Sie hatten einen höheren Kapitalwert, höhere Produktivität und zwangen zu größerer beruflicher Spezialisierung. Mit der Einführung der Daumenwelle im 10. Jahrhundert konnte die Verwendungsfähigkeit eines Wasserwerkes durch die Umwandlung der Drehbewegung in eine Auf- und Abbewegung erheblich gesteigert werden. Vom 16. bis 18. Jahrhundert hatte sich das Wasserrad als allgemeine Kraftmaschine durchgesetzt und war überall in Europa anzutreffen. Es gab kaum einen gewerblichen Bereich, dem die Kraft des Wassers nicht direkt oder indirekt zugute kam. Neben den Eisenwerken trieben die Wasserräder Glasur-, Walk-, Korn-, Säge-, Schleif-, Papier-, Loh-, Bohr-, Glas und Pulvermühlen an, um nur einige Industriebereiche zu nennen 9). Sie bewässerten die Felder und entwässerten Gruben, pumpten Trinkwasser und trieben schließlich die Wasserkünste der Barockfürsten an.

Die leistungsfähige Wasserkraft beschleunigte den technischen Fortschritt auch im Eisengewerbe. Ständig wuchsen die Durchmesser der Wasserräder, von zunächst ein über drei Meter auf 10 Meter, was zu einer entsprechenden Kraftsteigerung von etwa einem auf rund 10 PS führte. Für schnell laufende Hämmer baute man kleinere, für langsamer arbeitende Blasebälge größere Räder 10). Konstruktion und Bau der Schaufel-, Wellen-, Zahn-, Stock- und Schneckenräder und der Arbeitsmaschinen erforderten den eigenen Berufsstand des Mühlenbauers. Die Deckung des ab dem Mittelalters äußerst schnell ansteigenden Bedarfs an Eisenwaren jeglicher Art wäre ohne Wasserkraft nicht denkbar gewesen.

Auch der Übergang zum Hochofenbetrieb war bedingt durch die Möglichkeit einer stärkeren und gleichmäßigeren Luftzufuhr. Mit dem An-. trieb durch ein Wasserrad konnten die Blasebälge auf das etwa dreifache Volumen vergrößert werden. Die größere Luftmenge steigerte Temperatur und Luftzug, so daß der niedrige Schachtofen im 14. Jahrhundert zum Hochofen vergrößert und zum ersten Mal flüssiges Eisen gewonnen werden konnte. Mit der Verflüssigung des Metalls war ein gewaltiger Produktionsfortschritt erreicht. Abgesehen davon, daß man eine wesentlich größere Ausbeute erzielen konnte, war es endlich möglich, Eisen gußfertig zu produzieren. Sogleich im Anschluß daran ließ man das flüssige Metall unmittelbar in die Form fließen.

Es wurde bereits angesprochen, daß die Technik für noch nicht vorhandene Zwecke oder Bedürfnisse erfinderisch Mittel zur Verfügung stellt, die sie selbst miterzeugt 11). Die technische Entwicklung ermöglichte mit dem neuen Werkmaterial "Gußeisen" eine neue Kunsttechnik und -gattung, die durchaus mit der Druckgrafik und der Fotografierkunst vergleichbar ist. Die Herstellung von Kamin-, Ofen- und Takenplatten sowie diverser Potteriewaren erreichte zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert besonders in der Eifel eine hohe Blüte. Die planmäßige Nutzung der Wasserenergie gelangte im 18. Jahrhundert zum technischen Höchststand bei der größten Ausdehnung. In Europa liefen allein 500.000 bis 600.000 Getreidemühlen mit 1,5 bis 3 Millionen PS. Das fließende Wasser deckte schätzungsweise 90% des Bewegungsenergiebedarfs der Gewerbe. In Deutschland arbeiteten um 1930 noch über 5.000 Getreidemühlen und nahezu 15.000 Sägewerke mit Wasserkraft 12) in Kreis Meisburg (Kreis Daun) arbeitete das Sägewerk sogar noch nach dem 2. Weltkrieg weiter. Zwei Jahrtausende lang diente das Wasserrad der Menschheit als bedeutendste Energiequelle. Neben ihm waren es vor allem die angetriebenen Maschinen und die Mechanik der Kraftübertragung, welche die technische Entwicklung förderten. Die Epoche des Wasserrads schaffte Schritt für Schritt die Voraussetzungen für die Erfindung der Dampfmaschine und die Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips13).

Heute bekommt man eine Wassermühle als museales Bauwerk zu sehen, als Symbol einer Epoche, in welcher der technische Fortschritt bessere Lebensbedingungen schuf und den Wohlstand förderte. Was das Eisen anbelangt, ist es eine bekannte Tatsache, daß es nach wie vor das Rückgrat des gesamten Wirtschaftslebens bildet. Heute gilt das für die ganze Welt. Vor hundert Jahren allerdings traf dies lediglich für einen Kontinent, und zwar für Europa, zu.

 

Anmerkungen:

1} Rudolf Jeschar, "Beherrschung des Feuers als Schlüssel zum-Fortschritt" in: Mitteilungsblatt TU Clausthal (1981), Nr. 50, S. 9-15.

2) Richard Pittioni, "Der urgeschichtliche Horizont der historischen Zeit" in: Propyläen Weltgeschichte, Bd. l, 1986, S. 285 ff..

3} W. Söltner, "Archäologische Untersuchungen zur antiken Wirtschaft und Technik in der Eitel" in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. 25, 1976, S. 50-68.

Es wurde darauf aufmerksam gemacht, daß wirtschaftliche Gründe zu der außerordentlichen Prosperität und hervorstehenden sozialen Position der sog. frühlatenezeitlichen "Fürstengräber" im rheinischen Gebirge geführt haben mögen. Zahlreiche Indizien deuten immer wieder darauf hin, daß nur eine blühende Eisenindustrie dem Adel der frühlatenezeitlichen Bevölkerung zu großem Reichtum verhalf. Für fast alle Gräberfunde waren Roteisenlager in der unmittelbaren Nachbarschaft nachzuweisen. Ausführlich darüber schrieb: Wolfgang Kimmig, "Bronzesituten aus dem Rheinischen Gebirge, Hunsrück-Eifel-Westerwald" in: 43.-44. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission, 1962/ 1963, S. 31-106.

4) Lynn White jr., "Die mittelalterliche Technik und der Wandel der Gesellschaft", München 1968; Jean Gimpel, "Die industrielle Revolution des Mittelalters", Zürich-München 1980.

5) Wilhelm Wölfel, "Das Wasserrad. Technik und Kulturgeschichte", Berlin 1987.

6) Hermann Kellenbenz, "Europäisches Eisen. Produktion-Verarbeitung-Handel" in: Schwerpunkte der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in Europa 1500-1650, Hrsg: H. Kellenbenz,

1974 (Kölner Kolloquien zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. II); Ralf Sprandel, "Eisengewerbe im Mittelalter", Stuttgart 1968, S. 397-452.

7) Hans Pohl, "Das Eisengewerbe in der Eitel und im Hunsrück" in: Schwerpunkte der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in Europa 1500-1650, Hrsg: H. Kellenbenz, 1974 (Kölner Kolloquien zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. II), S. 147-171.

8) Sprandel, a.a.O., S. 221 ff..

9) Wölfel, a.a.O., S. 83 ff..

10) Franz Selmeier, "Eisen, Kohle und Dampf - Die Schrittmacher der industriellen Revolution", Hamburg 1984.

11) Arnold Gehlen, "Urmensch und Spätkultur, philosophische Ergebnisse und Aussagen", Frankfurt 1975, S. 14.

12) Selmeier, a.a.O., S. 33.

13) Wölfel, a.a.O., S. 8.