Auch Wespen brauchen Freunde

Dr. Klaus Cölln, Gönnersdorf

 

Wespen gehören nicht zu den beliebtesten Tieren. Sie erfreuen sich jedoch eines hohen Bekanntheitsgrades, der auf die Verbindung von charakteristischer Form und Farbe mit einer ausgeprägten Wehrhaftigkeit zurückzuführen ist. Diese Eigenschaften machen einen Teil des biologischen Erfolges der Wespen aus. Sie haben diesen Tieren die Ehre eingebracht, zu dem kleinen Kreis unter den 30.000 Insektenarten der Bundesrepublik zu gehören, für die die deutsche Sprache eigene Namen entwickelt hat.

Die 16 Wespenarten unseres Landes werden von der Umgangssprache nur in zwei Kategorien unterteilt. Man unterscheidet die Hornisse auf der einen Seite, während die restlichen 15 Arten, die vom Aussehen her alle einander sehr ähnlich sind, unter dem Sammelbegriff Wespen zusammengefaßt werden. Ein Blick hinter diese gemeinsame Fassade offenbart jedoch zum Teil sehr unterschiedliche Lebensweisen.

Legenden, wie die von den drei Hornissenstichen, die für den Menschen tödlich sein sollen, lassen viele von uns bei der Begegnung mit Wespen in Panik ausbrechen. Deshalb sollen mit diesem Artikel Vorurteile abgebaut und dem Leser die Wespen als ein wichtiger Bestandteil unserer Natur nahegebracht werden.

Wespen aus der Sicht der Zoologie

Die zoologische Wirtschaft faßt Wespen und Hornissen in der Familie der Sozialen Faltenwespen (Vespidae) zusammen, die dadurch charakterisiert sind, daß sie ihre Vorderflügel nach dem Fluge in Längsrichtung zusammenfalten und zumindest primär staatenbildend sind. Sie gehören zu den Hautflüglern (Hymen-opteren), die mit etwa 10.000 Arten in Mitteleuropa die größte Insektenordnung sind. Wenn man in Betracht zieht, daß die Familie der Sozialen Faltenwespen weltweit knapp 1000 Arten zählt, sehen die 16 Arten der Bundesrepublik recht bescheiden aus. Dennoch hat diese kleine, klar umrissene Gruppe nicht unerhebliche ökologische Funktionen.

Begegnung mit einem entwickelten Wespennest

In unseren Breiten sind Wespenstaaten einjährig. Zum besseren Verständnis der Struktur dieser Gemeinschaft und ihres Jahreszyklus wird zunächst die Situation in einem entwickelten Nest des Frühsommers geschildert.

Ein Staat, in dem die Frauen herrschen

In einem entwickelten Faltenwespen-Staat treten uns Weibchen in zweierlei Gestalt entgegen. Da ist zum einen die sogenannte Königin, die zu dieser Zeit nur noch die Aufgabe des Eierlegens hat. Zum anderen gibt es die Arbeiterinnen mit verkümmerten Ovarien, aber gut entwickeltem Brutpflegeinstinkt. Beide Weibchenformen besitzen einen zum Wehrinstrument umgeformten Legestachel. Dieser Wehrstachel ist im Gegensatz zur Honigbiene nicht mit Widerhaken versehen, er reißt deshalb auch beim Stich in die menschliche Haut nicht aus seiner Verankerung. Somit müssen wir, anders als bei der Honigbiene, gegebenenfalls mit mehreren Stichen durch eine einzige Wespe rechnen. Die Männchen haben einen kompliziert gebauten, zangenartigen Kopulationsapparat, mit dem sie nicht stechen können. Sie spielen, wie bei den Honigbienen, eine untergeordnete Rolle. Ihr Daseinsziel erschöpft sich in der Begattung junger Königinnen. Normalerweise sind alle Bewohner eines Nestes Nachkommen der Königin und damit Geschwister.

Das Nest - ein Kunstwerk aus Papier

Schon lange Zeit vor dem Menschen haben die Wespen die Papierherstellung erfunden und verfügen damit über einen bemerkenswerten Baustoff für ihre Nester. Die benötigten Holzfasern werden zum Beispiel aus dem grauverwitterten Oberholz einer Schuppenwand mit den scharfen Kieferzangen herausgenagt, eingespeichelt und in Ballen zum Nest getragen, wo sie verbaut werden. Die Nestformen der Sozialen Faltenwespen sind sehr vielgestaltig. Im Kreis Daun fehlen Funde der Feldwespen, die einwabige Nester ohne Hüllen bauen.

Bei unseren Untersuchungen sind bislang nur Nester mit einer Außenhülle vorgefunden worden. Die Hülle des vollentwickelten Nestes ist mehrschichtig. Sie dient der Aufrechterhaltung von optimalen Bedingungen im Nest (Temperatur, Feuchtigkeit) sowie dem Schutz vor Feinden und umgibt eine unterschiedliche Anzahl von nach unten geöffneten Waben, die über zentrale Stiele und seitliche Stützpfeiler miteinander in Verbindung stehen. Das Nest ist über einen oder mehrere Stiele an einer geeigneten Befestigungsmöglichkeit aufgehängt. Die einzelnen Arten bevorzugen bestimmte Standorte für ihr Nest. Es gibt solche, die in Erdhöhlen nisten und andere, die als oberirdische Freinister zu bezeichnen sind. Bei manchen Arten können die Nester erstaunliche Größen erreichen. So wurde uns durch den Vorsitzenden der DBV-Gruppe Kelberg, Herrn Andre, ein Nest der Deutschen Wespe aus Uersfeld bekannt, das 50 x 40 x 35 cm groß war.

Eine Kindheit mit dem Kopf nach unten

Im Schutz des Nestes entwickeln sich die Wespen aus den Eiern der Königin. Je eines wird an eine Seitenwand der nach unten offenen Zellen geklebt. Nach einer Embryonalentwicklung von 4 bis 5 Tagen schlüpfen die jungen Larven. Sie sind weichhäutig und besitzen keine Beine. Ihre einzige Aufgabe ist das Fressen und dementsprechend besitzen sie gut ausgebildete Mundwerkzeuge. Anfangs haften sie weiterhin über die aufgesprengte Eischale seitlich an einer Zellenwand und erhalten von Arbeiterinnen hauptsächlich flüssige Nahrung. Die älteren Larven füllen mit ihrem Körpervolumen die gesamte Zelle aus. Sie nehmen jetzt auch feste Nahrung auf.

Die Fütterung ist kein einseitiger Vorgang, denn die erwachsenen Wespen nehmen auch Speichelsekret von den Larven auf. Die biologische Bedeutung dieser gegenseitigen Fütterung ist noch nicht eindeutig geklärt. Einige Wissenschaftler sehen in der Wechselwirkung einen bedeutenden Faktor für den Zusammenhalt des Wespenstaates.

Nach einer Periode von 11 bis 12 Tagen, in der 4 Häutungen durchgeführt werden, verpuppt sich die Larve. Zuvor wird der während der gesamten Larvalzeit nach hinten verschlossene Darm erstmals durchgängig, und die während dieses Lebensabschnittes angesammelten unverdaulichen Partikel werden durch den After abgegeben. Die Verpuppung vollzieht sich in einem Seidenkokon, den die Larve vorher noch anfertigt. Nach weiteren 11 bis 15 Tagen schlüpft dann aus der Puppe die fertige Wespe.

Ein Leben für die Gemeinschaft

Der Erhalt und die Fortentwicklung der Kolonie fordern speziell von den Arbeiterinnen die Erledigung zahlreicher Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Nestes. Obwohl sich die Tiere äußerlich nicht unterscheiden, gibt es bei manchen Arten unter den Arbeiterinnen eine Tendenz zur Spezialisierung. So beginnen diese bei der Gemeinen Wespe nach dem Schlupf aus der Puppenhülle zunächst mit Aufgaben in der Brutpflege, widmen sich dann der Kolonieverteidigung, um schließlich im Außendienst unter anderem für die Nahrungsbeschaffung tätig zu sein. Dagegen übernehmen bei Hornissen die Arbeiterinnen jeden Tag ganz unabhängig vom Alter zahlreiche unterschiedliche Tätigkeiten. Der Japaner Matsuura protokollierte die Aktivitäten im Leben einer Hornisse. Danach brauchen auch diese Tiere Zeit für sich. Immerhin verbrachte das beobachtete Individuum etwa 50 % seiner Lebensspanne mit Stillsitzen, Körperpflege oder dem Herumspazieren auf den Waben.

Eine wichtige Aufgabe der Arbeiterinnen ist die Nahrungsbeschaffung. Für die Larven wird in erster Linie fleischliche Kost benötigt. Zu diesem Zweck jagt man hauptsächlich Insekten. Auf diese Weise werden Wespen auch zu Regulatoren von Schädlingen. Die erwachsenen Wespen sind auf kohlenhydratreiche Nahrung als Betriebsstoff für ihre zahlreichen Aktivitäten angewiesen. Diese besteht zum Beispiel aus reifen Früchten und aus Honigtau von Blattläusen. Die meisten Wespenarten sammeln aber auch Nektar von bestimmten Blütenpflanzen und werden so in gewissem Rahmen als Bestäuber tätig. In dieser Rolle kann man sie im Frühjahr regelmäßig an Stachel- und Johannisbeersträuchern beobachten. Die Nahrung wird nach Rückkehr ins Nest zum größten Teil an Artgenossen weitergegeben. Jede Wespe behält von ihrer Beute nur soviel zurück, wie sie für die Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen benötigt. Bei ihren Ausflügen, bei denen natürlich auch Holzfasern für den weiteren Ausbau des Nestes beschafft werden, entfernen sich die Arbeiterinnen in der Regel zwischen 50 und 400 m vom Nest.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Lebens wenden Arbeiterinnen für die Aufrechterhaltung einer gleichmäßigen Temperatur im Nest auf, denn die sich entwickelnde Nachkommenschaft benötigt die mehr oder weniger konstante Temperatur von 28-32 Grad C. Dabei erweisen sie sich als geschickte Klimatechniker. Abkühlung wird zunächst durch Steigerung körperlicher Aktivitäten entgegengewirkt. Bei längerfristigen Kälteperioden ist die Verstärkung der Nesthülle eine Gegenmaßnahme. Bei übermäßiger Erwärmung wird der "Ventilator" eingeschaltet. Das bewerkstelligen die Wespen über kollektives Flügelschlagen. Verbunden mit dem Eintragen von Wasser, das dann im Nest verdunstet, kann diese Methode sehr effektiv sein. Langandauernde Hitzeperioden werden schließlich mit dem Abtragen und Durchlöchern der Nesthülle beantwortet.

Am Anfang ist die Königin allein

Wespenstaaten entstehen in unseren Breiten in jedem Jahr von neuem. Das läuft bei den meisten Arten nach einem mehr oder weniger gleichen Schema ab. Die jeweilige Gründerin ist eine Königin, die im Vorjahr das Licht der Welt erblickte, das mütterliche Nest verlie ß und sich mit einem Männchen paarte. Danach hat sie sich den Winter über in einem Versteck aufgehalten und dieses bei geeigneter Witterung im Frühjahr verlassen. Sie beginnt nach einer Phase der Nahrungsaufnahme mit dem Suchen eines ihrer Art entsprechend geeigneten Nistplatzes. Dabei geht sie äußerst kritisch vor. Ist die richtige Stelle gefunden, so wird zunächst ein Stiel zur Verankerung des Nestes mit einer ersten Zelle gebaut. In diese wird sofort das erste Ei gelegt. Bald danach wird mit der Anlage einer Nesthülle begonnen und im weiteren Verlauf im Wechsel an der Konstruktion neuer Zellen sowie der Vervollkommnung der Nesthülle gearbeitet. Nach etwa 25 Tagen schlüpfen die ersten Arbeiterinnen und so wächst die Kolonie im Laufe der Zeit langsam heran. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, der bei den einzelnen Arten zu unterschiedlichen Zeiten erreicht wird, entstehen dann wieder junge Königinnen und Männchen. Die alte Königin und die Arbeiterinnen sterben ab und der Zyklus, den man bei unseren Untersuchungen mittels bestimmter, nichtlockender Fallen (Malaise-Fallen) beispielhaft darstellen kann, beginnt von neuem.

Einige Wespen lassen andere ihren Staat machen

Innerhalb der Gruppe der Sozialen Faltenwespen gibt es Arten, die sekundär zu einer bemerkenswerten Lebensweise übergegangen sind, die stark an die des Kuckucks erinnert. Deshalb werden sie auch als Kuckuckswespen bezeichnet. Die Königinnen dieser Arten erscheinen relativ spät im Frühjahr und machen sich bald auf die Suche nach den schon mit Arbeiterinnen bestückten Nestern ihrer Wirtswespen. Sie dringen in die Kolonien ein und verdrängen oder töten die Wirtsköniginnen. Dann lassen sie von den Arbeiterinnen des übernommenen Staates ihre Nachkommen aufziehen. Diese bestehen nur aus Männchen und Königinnen. Die Fähigkeit zur Produktion eigener Arbeiterinnen ist den Kuckuckswespen verlorengegangen.

Der Kreis Daun, Heimat von mindestens 10 Wespenarten

Im Rahmen von Untersuchungen über die Insektenvielfalt des Kreises Daun konnten wir bislang 10 Soziale Faltenwespenarten nachweisen. Das sind über 60 % des Artenbestandes der Bundesrepublik. Unter ihnen sind einige relativ seltene Formen, wie die drei Kukkuckswespenarten und die Mittlere Wespe, die bundesweit als gefährdet gilt. Die meisten Arten sind typisch für das relativ rauhe Klima unserer Heimat. Die Norwegische Wespe gilt sogar als ein Eiszeitrelikt im engeren Sinne (Wolf 1986). Sie kommt in unseren Breiten fast nur im Bergland vor. Leider konnten wir bisher die Hornisse noch nicht im Kreisgebiet auffinden, obwohl sie hier eigentlich vorkommen müßte. Für Hinweise auf diese Art wären wir dankbar.

Wie gefährlich sind Wespen?

Unbestritten handelt es sich bei Wespen um wehrhafte Tiere, deren Stich Schmerzen verursacht. In aller Regel sind jedoch auch zahlreiche Stiche für einen Menschen nicht allzu gefährlich. Natürlich ist dabei Wespenstich nicht gleich Wespenstich. So kann ein Stich im Mundraum zu solchen Schwellungen führen, daß der Tod durch Ersticken droht. Auch Personen, die unter entsprechenden Allergien leiden, sind in höherem Maße gefährdet. In der Regel geht jedoch von Wespennestern, auch wenn sie sich in der Nähe eines Hauses befinden, keine akute Gefahr aus. Man sollte sie nach Möglichkeit an Ort und Stelle belassen. Zumal ausgerechnet die Nester der selteneren Arten, die sich gleichzeitig durch eine geringe Agressivität auszeichnen, leicht aufzufinden sind. Die beiden manchmal wirklich lästigen und häufigen Arten, nämlich die Gemeine und die Deutsche Wespe, nisten relativ versteckt und bleiben bei "spontanen Bekämpfungsaktionen" meistens verschont. Sollte es einmal wirklich Probleme mit Wespennestern geben, so wende man sich an die Gruppen des Deutschen Bundes für Vogelschutz in den jeweiligen Verbandsgemeinden. Sie werden sachkundige Hilfe vermitteln. Auch die örtlichen Imker verfügen in der Regel über die notwendigen Kenntnisse, um eine ordnungsgemäße Umsiedlung von Nestern durchzuführen.

Die Wespen, ein wichtiger Bestandteil unserer Natur

Es wäre noch viel über das Umfeld unserer Sozialen Faltenwespen zu berichten. So gibt es zahlreiche andere Insekten, wie zum Beispiel bestimmte Käfer und Schwebfliegen, die für einen Teil ihres Lebenszyklus auf Wespennester angewiesen sind. Einige Insekten imitieren Wespen und vergrößern mit einer vorgetäuschten Wehrhaftigkeit ihre Überlebenschancen. Viele die Wespen betreffenden Zusammenhänge sind darüber hinaus nur sehr unvollkommen erforscht. Deshalb freut sich derVerfasser über jedes Nest in seiner näheren Umgebung, weil es ihm zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten gibt. Im letzten Jahr baute eine Mittlere Wespe direkt auf unserer Terrasse. Gegen eine Einladung zum Abendessen in einem guten Restaurant "erkaufte" ich von meiner Frau ein Wohnrecht für die Wespe. Leider wurde das Nest schon in der Anfangsphase von Vögeln zerstört. Kommentar eines Kollegen: "Nun war das Essen ganz umsonst." Eine solche Sichtweise sollte bei allem Interesse an den Wespen vielleicht doch nicht aufkommen.

Weiterführende Literatur

Blab, J., Nowak, E., Trautmann, W. W. & Sukopp, H. (1984): Rote Liste der gefährdeten Tiere und Pflanzen in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl., Naturschutz aktuelle Nr. 1, Kilda Verlag, Greven Cölln, K. (1990: Die Sozialen Faltenwespen (Hymenoptera, Vespidae) von Gönnersdorf (Kr. Daun). Beiträge zur Insektenfauna der Eifeldörfer l. Dendrocopos 17, 101-108.

Kaule, G. (1986): Arten- und Biotopschutz, Verlag Eugen Ulmen, Stuttgart.

Kemper, H. & Döhring, E. (1967): Die sozialen Faltenwespen Mitteleuropas. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg.

Königsmann, E. (1990): Hympenopteren. In Urania Tierreich/Insekten. 5. Aufl., Urania-Verlag, Leipzig, Jena, Berlin.

Wilson, E. O. (1971): The Insect Societies. Harvard University Press Cambridge, Massachusetts, and London, England.

Wolf, H. (1986): Die Sozialen Faltenwespen (Hympenoptera: Vespidae) von Nordrhein-Westfalen. Dortmunder Beitr. Landeskde., naturw. Mitt. 20, 65-118.