Reineke Fuchs als Gast

Klaus Mark, Brockscheid

 

Eines Tages kam Neckels Weilern heim und brachte aus dem Forst einen jungen Fuchs mit. Oben im Eichenhang hatte er ihn gerade noch zu packen bekommen, als letzten der drei Jungfüchse, die im munteren Spiel den Schritt des Bauern zu spät vernahmen. "So ein Fuchspelz bringt ein schön' Stück Geld", belehrte Weilern seine Frau, "ich werd' ihn an die Kette legen und großziehen." Weilern überlegte, daß Fuchs und Hund eigentlich zusammen hausen könnten. Hektar war noch jung, Spiel und Scherz sehr zugetan. Und die Hundehütte war ja keine gewöhnliche Bretterhütte, sie nahm räumlich den ganzen Sockel des Treppenaufbaues unter der Haustür ein. Eine geniale Lösung der Unterkunftsfrage!

Der Hügel, wo Wellems Haus steht, liegt früh schon im Strahl der Sonne, und wenn der Abend kommt, löscht die Dämmerung zu allerletzt hier oben das Licht. Feldwärts, gleich hinter den Nußhecken, die den Hof umsäumen, breiten sich in einer langen geschwungenen Senke die Wiesen, an deren Seite sich der Wald anlehnt, darin die Kinderstube des Fuchses war.

Diesem Umstand schreibt Weilern das Mißgeschick zu, das ihm widerfuhr: "Der Fuchs hat immer die Wiesen zum Wald geäugt, und darum könnt' er sich an uns und das Haus nit gewöhnen."

Wellems Frau aber war dem rothaarigen Burschen nie zugetan. Sie durchschaute die Hinterlist nur zu deutlich. Hinter den harmlosen Spielen suchte der heranwachsende Räuber den ererbten Trieb zu bösen Ränken zu verbergen. "Ich hätt' ihn totschlagen sollen, beim ersten Male, als er die ersten Schnapper nach den Hühnchen tat", erklärt sie entschlossenallen, die die ärgerliche Geschichte hören wollen. "Aber unser Weilern, du liebe Zeit, der muß noch gescheit gemacht werden!" Selbst das Hühnervolk wußte genau, wieviel es geschlagen hatte, seit dem Tage, da der gesprenkelten Gluckhenne der eine Flügel herunterhing. Näherten sich (der Bäuerin) Hühnchen dem frechen Wildling, arglos und friedliebend nach Hühnerart, da straffte der Bösewicht die Sehnen und in den Lichtern blitzte es verlangend auf. Einmal rückte Wellems Frau dem Fuchs mit einem deftigen Stock zu Leibe, da tat der Bösewicht sanftmütig wie ein Lamm. Man hätte glauben können, der Fuchs hätte sich der Hühner erwehren müssen und alles sei nur harmloser Scherz; so wußten die listigen Äuglein um Mitleid zu betteln, das ihm besonders von den Kindern sicher war.

Indessen wurde das possierliche Füchslein ein rechter Reinecke voller List und Schläue. Mehr als ein Jahr genoß er dennoch Freundschaft, bis eines Tages, an einem langweiligen Sonntagnachmittag, das Unglaubliche geschah. Hektor blinzelte träumend in die wärmende Spätsommersonne, was ihm vernünftiger schien als das dumme Gespiel vor den Haselhecken, dem sich der Fuchs mit den Kindern hingab. Der Wald drüben schimmerte rotbraun, fast so, wie der Pelz des spielenden Fuchses, den die Kinder von der Kette gelöst hatten, daß er besser mit ihnen springen und laufen könnte. Lieb und artig wie der Fuchs sich gab, ging alles lange Zeit gut. Doch da tat Reinecke unversehens einen mächtigen Seitensprung und das schwarze Hühnchen war gepackt. Da war kein Wehren möglich. Eiligst stob der Räuber die Haselhecken den Hang hinunter auf Nimmerwiedersehen.

Doch er kommt wieder. Leider zu häufig erscheint er heimlich und nimmt sich, was er braucht. Ein um das anderen Huhn verschwindet in seinem nimmersatten Fang.

Die Bäuerin schimpft Weilern einen Dummkopf, der sich nun auch noch von den Füchsen an der Nase führen lasse. Und Hektor? Nun, der ist doch des Räubers Freund geworden, wie man es von ihm wollte; und Hektor ist erzogen, treu zu sein. Gerade das kommt Reinecke, dem Räuber, so sehr zupass.

Anmerkungen:

Heimatdichter Klaus Mark, * 24.11. 1903; +2. 3. 1968 in Brockscheid, veröffentlichte in den verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche heimatkundliche Aufsätze und Berichte. Bekannt wurde er besonders durch seine Theaterstücke "Das tote Dorf" {Allscheid), "Der Glockengießer von Müllenbach" und "Der Speerwurf" (Gerolsteiner Sage).

In lockerer Folge sollen seine Aufsätze im "Jahrbuch des Kreises Daun" erscheinen und so die Heimatliteratur vervollständigen. Der Beitrag wurde von Therese Schneider, Brockscheid, zur Verfügung gestellt.