Kindheitsbegegnung mit "Kollewada Traud"

Im heutigen Amtsdeutsch:

"Person mit häufig wechselndem Aufenthaltsort"

Theo Pauly, Gerolstein

 

Sie ist nicht wegzudenken aus den Kindheitserinnerungen, "Kollewada Traud". Sie stammte aus Kolverath, damals im Kreise Mayen gelegen, heute dem Kreis Daun zugehörig. Aber was kümmerten Traud Kreisgrenzen! Heute würde man sie als "Nichtseßhafte" bezeichnen. Sie zog durch die Eifeldörfer und verkaufte für ein paar Pfennige oder mal ein Ei, ein Stück Brot oder ein Mittag- oder Abendessen Kamillenkräuter, weswegen sie nebenher auch den Namen "Kamilletraud"trug. Auch sie bezog wie alle Umherziehenden - sei es "et Köschtje" gewesen oder "Lühpaul" - Quartier bei "Wolles". Hier blieb sie meist mehrere Tage, manchmal Wochen. Sie "schmiß" die Hausarbeit bei "Wolles Schritt" (Grete), weil sie sah, daß es nötig war.

Wenn Kollewada Traud sich bei Wolles einquartiert hatte, dann wurde Große Wäsche gehalten. Nun gab es ja damals noch nicht die hochgepriesenen "Weißmacher"; die Wäsche wurde mit Kernseife oder Schmierseife gewaschen, zum Bleichen auf der Wiese am Bach wurde "Bläue" verwandt, die man beim Klasen in Neichen oder bei Zenz in Boxberg einkaufte. Immer wieder bei solchen Anlässen drückte mir "Kollewada Traud" ein paar Groschen in die Hand und schickte mich, "Wäschebläue" kaufen. Das Geld stammte aus dem mühsamen Verkauf ihrer Kamillenkräuter. Der häufigere Einkauf dieser "Bläue" veranlaßte mich einmal auch dazu, arglos, von "Märje Philipp" zum "Klasen" geschickt, für fünf Pfennige "Hau-michblau" zu kaufen. Das Gelächter, das "Kla-se Lentin" daraufhin veranstaltete, dröhnt mir noch heute in den Ohren. Die fünf Pfennige durfte ich behalten, und Lentin gab mir für sicher mehr als zehn Pfennige Bonbons mit dem Auftrag, Märje Philipp auszurichten, Hau michblau dürfe er nicht an Kinder abgeben, da müsse Philipp schon selber kommen.

Kollewada Traud aber gab sich redliche Mühe, die Wäsche von "Wolles Schritt" zu bleichen, doch es gelang ihr nie; es blieben immer nur graue Leinenstücke zurück. Aber die Wäsche war wieder mal sauber!

Traud war eine wüste Schafferin, durch nichts ließ sie sich von ihrer Arbeit abhalten. Einmal half sie einen ganzen Tag lang in unserer Scheune beim Dreschen. Es war wohl der Winter 1944/45, jedenfalls gab es keinen elektrischen Strom mehr, um die mit dem Elektromotor angetriebene eigene Dreschmaschine zu benutzen, "Schang Willi" aus Schönbach war Soldat und kam daher auch nicht mehr mit seiner von einem alten Lanz-Bulldogg angetriebenen Dreschmaschine ins Dorf, und so mu ßte die Frucht wie zu Urväter Zeiten mit dem Flegel gedroschen werden. Die Technik wollte erlernt sein. Nach Meinung meines Vaters war ich mit dreizehn Jahren schon kräftig genug, einen Dreschflegel zu schwingen, aber mit der Technik haperte es noch gewaltig, vor allem, wenn im Takt mit drei oder vier Flegeln gearbeitet wurde.

Kollewada Traud hat mir das innerhalb einer Viertelstunde beigebracht! Sie machte mir wortreich klar, daß sich immer nur ein Flegel auf der Frucht und damit auf dem Boden befinden dürfe, da man sich sonst die Dreschflegel gegenseitig zerschlagen würde. Dann zählte sie den Takt vor, und es klappte auch schon; nur bald war ich wieder aus dem Takt, und das Takt-Zahlen begann von neuem. Nach ein paar Minuten war ich wieder "taktlos". Da fuhr Traud mich an: "Wenn dat noch ees passeet, krejst de meine Fläjel um de Hörner!" Ich wußte, daßdies keine leere Drohung war, und siehe, von nun an beherrschte ich das "taktvolle" Spiel mit den Dreschflegeln. Wir haben an diesem Tag eine Menge geschafft; Traud gönnte uns keine Verschnaufpause. Als irgendwann der Nachbar sich zu uns gesellte und auf alle möglich Art und Weise versuchte, Traud zu foppen, weil bekannt war, wie sie wortreich, wüst und lauthals sich zu verteidigen wußte, würdigte sie ihn weder einen Blickes noch eines Wortes, nur gab sie den Takt ein bißchen schneller an. Nachdem dann der Nachbar, wohl ein wenig frustriert ob des mißlungenen erhofften Spektakels wieder gegangen war, fragte mein Vater, warum sie sich das alles habe gefallen lassen, ohne ein Wort zu sagen. Da meinte Traud: "Entwidda weed jeschafft udda de Schnüß jeschwoart, un eweile weed jeschafft!" Damit war der Fall für sie erledigt. Nach dem Abendessen bekam sie ihren Lohn; sie hatte ihn sich gefordert, und sie versprach, am anderen Tag wieder beim Dreschen zu helfen. Aber in aller Frühe war sie schon auf und davon.

Traud hatte Kinder gern, auch wenn diese ihr nachliefen und Schimpfworte riefen und nicht selten verteilte sie an Kinder Bonbons, die sie von ihren wenigen Pfennigen eigens dafür gekauft hatte. Es konnte aber auch passieren, daß sie alles um sich herum verscheuchte, auch die Kinder, wobei sie in der Wahl ihrer Worte gar nicht zimplerlich war. Ebenso ausfällig konnte sie werden, wenn irgendjemand ihr keinen "Kamillentee" abnehmen wollte. Dann "scha-lutterte" sie lautstark und lange, und nur der Verkauf eines Bündels Kamillenkräuter vermochte sie wieder einigermaßen zu beruhigen. Sie war von vielen verachtet, die Gertrud Feiler aus Kolverath, doch eine Persönlichkeit!

Ihr Leben war sicher nicht leicht, aber sie blieb eine ehrliche Frau, der nie in den Sinn gekommen wäre, fremdes Eigentum anzurühren.

Vgl. hierzu:

Franz Josef Ferber, Erinnerungen an die "Kolverather Traud", Jahrbuch des Kreises Daun 1978, S, 49 ff!