Der blinde Korbflechter "Dures;

Ein wandernder Handwerker, doch kein "Handwerksbursche" 

Theo Pauly, Gerolstein

 

"Dures" oder "Dores", beziehungsweise "Döres" sind die rheinischen Bezeichnungen für den Namen "Theodor". In der Struth existierte früher hierfür allein der Ausdruck "Dures". Da ich selbst den Vornamen Theodor trage, wurde ich als Kind häufig mit "Dures" angeredet oder gerufen. Damals habe ich mich stets über diese Bezeichnung geärgert, und das hat wohl manch einer gemerkt. Wollte mich also jemand meiner Spielkameraden ärgern, sprach er mich einfach mit "Dures" an. Tat es einer der älteren Leute, fühlte ich wohl, daß es eher als Kosename gemeint war; das ließ ich mir gern gefallen. Auf dem Schulweg von Beinhausen nach Neil-Chen gab es eine Stelle, kurz vor den ersten Häusern Neichen, die als "Dureße Potz" oder "Dureße Hack" bezeichnet wurde. Hier wuchs eine Hecke aus Haselsträuchern, Schlehen- und Weißdornbüschen, an der vorbeizugehen Koschtjes Maria und ich, im Jahre 1937 die einzigen Erstkläßler aus Beinhausen, uns stets fürchteten. Warum, weiß ich nicht, jedenfalls machten wir, die im ersten Schuljahr häufig später als die anderen zur Schule brauchten oder früher nach Hause gehen konnten, stets einen weiten Bogen um diese Stelle. Heute steht ein Wohnhaus mit Bauhof in unmittelbarer Nähe. "Dureße Potz", ein Brunnen also, existierte dort schon damals nicht mehr, und die Hecke ist mittlerweile auch verschwunden. Hieß es aber im Dorf, "Dures ös wia ünna-wächs", dann wußte jeder, wer gemeint war. "Dures" war ein kleiner, gedrungener, weißhaariger Mann. Er war blind und zog über Land, um mit Korbflechten seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich weiß nicht, woher er stammte, er kam regelmäßig auf seiner Rundreise auch nach Beinhausen und bot sich an, Körbe zu flechten. Nun gab es ja auch unseren Nachbarn Wolles Antunn, der Weidenkörbe, genannt "Schrumperekörw" (Kartoffelkörbe) aus unbehandelten, oder auch Wäschekörbe aus geschälten und gebleichten Weidenruten in gekonnter Manier zu flechten verstand. Auch mein Vater saß häufig des Winters im Stall auf dem Melkschemel und flocht Weidenkörbe; nur fielen die immer um einiges klobiger aus als die von Wolles Antunn oder Dures hergestellten. So waren denn unsere Frauen im Haus, meine Mutter, die Großmutter und die Tante, froh, wenn "Dures" wieder da war und "vernünftige" Körbe flocht.

Dann saß "Dures" in der Stube auf dem Fußboden und begann sein Werk. Da er blind war, befühlte er jede Weidenrute und prüfte ihre Stärke und Länge. Mitgeschickten Handgriffen vollendete er innerhalb kurzer Zeit sein Werk. Beim Essen am Mittags-oder Abendtisch hätte man meinen können, Dures wäre sehend wie jeder andere. Nur wenn er nach den Schüsseln auf dem Tisch tastete, merkte man, daß er nicht sehen konnte, aber war erst der Teller gefüllt, nahm er das Essen zu sich wie andere. Man behandelte ihn auch so, allenfalls schob man bei Tisch die Schüsseln in seine Nähe, daß er nicht so weit zu "toaken" (tasten) brauchte. Sicher freute ihn das.

Was er an Lohn für seine Arbeit erhielt, wei ß ich nicht. Es war gewi ß nicht viel, denn an Bargeld mangelte es den "Ströder Bauern" immer, aber es wird Dures gereicht haben, sonst wäre er nicht immer wiedergekommen. Für uns Kinder war er eine Besonderheit, denn außer ihm haben wir keinen blinden Menschen gekannt. Irgendwie umgab ihn eine Aura des Anders-Seins, und ich wüßte nicht, daß irgendein Kind ihm gegenüber ungezogen gewesen wäre wie etwa bei anderen, umherziehenden Zeitgenossen.

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