"Geschichte zum Anfassen"

Drs. Peter Burggraaff, Kelberg-Zermüllen

 

Vom 13. 11. bis 8. 12. 1989 war im Kelberger Rathaus die Ausstellung "Geschichte zum Anfassen" mit Schriftstücken und Plänen aus dem dortigen Archiv zu sehen. Der Plan für diese Ausstellung entstand bei einer oberflächlichen Durchsicht des Archivs im Juni 1988, wo wir viele interessante Stücke fanden. Das Ziel war, den Mitbürgern die Geschichte ihrer Heimat, die in Akten und Plänen enthalten ist, "zum Anfassen" zu geben.

In der Zeit vom August bis November 1989 wurde das Archiv systematisch durchforscht und eine Selektion der Akten und Pläne vorgenommen. Diese Auswahl erwies sich durch das Vorhandensein vieler Schriftstücke als sehr schwierig. Wir haben versucht, die Ausstellung so objektiv wie möglich zu gestalten. Das Ziel war, einen repräsentativen Querschnitt der vorgefundenen Akten und Pläne zu vermitteln. Trotz der Bemühung um eine ausgewogene Vertretung aller Ortsgemeinden der Verbandsgemeinde war aber die Dominanz von Kelberg und in etwas geringerem Maße von Uersfeld nicht zu vermeiden, da die beiden Gemeinden quantitativ besser vertreten sind. Außerdem gab es von einigen Gemeinden wie Katzwinkel, Beinhausen, Hörschhausen und Neichen, die erst seit 1971 der Verbandsgemeinde Kelberg angehören, wenige Schriftstücke. Es wurde nur Material ausgestellt, dessen Verjährungsfrist abgelaufen war. Persönliche Akten kamen nicht zur Veröffentlichung, auch wenn die Verjährungsfrist abgelaufen war.

Das Verbandsgemeindearchiv

In einem Verwaltungsarchiv werden alle Schriftstücke geordnet aufbewahrt, so daß sie für Verwaltungszwecke immer benutzt werden können. Dies gilt besonders für das laufende Archiv. Daneben gibt es auch ein sogenanntes Altarchiv, in dem Schriftstücke aufbewahrt werden, die für die gegenwärtige Verwaltung kaum oder gar nicht mehr relevant sind. Dieses Aktenmaterial wurde meistens auf einen Speicher oder in einen Keller ausgelagert. Wegen des Fehlens eines Archivars - kleinere Gemeinden können sich den nicht leisten - war keine fachgerechte Archivverwaltung möglich und solche Archive sind im Laufe der Zeit schwer zugänglich.

Im Altarchiv ist das menschliche Handeln der Vergangenheit, soweit es schriftlich festgelegtworden ist, aufbewahrt. Mit diesen Stücken kann man Verwaltungsvorgänge, Planungen und Entscheidungen rekonstruieren. Das Altarchiv der Verbandsgemeinde Kelberg enthält die Schriftstücke des ehemaligen Amtes Kelberg, dessen rechtlicher Nachfolger sie ist. Die Stücke befinden sich im Obergeschoß des Rathauses. Die weitaus meisten Akten sind nach ihrem Abschluß nicht mehr benutzt worden.

Zu den Schriftstücken

Das Archiv ist ein Behördenarchiv, in dem hauptsächlich Verwaltungsstücke aufbewahrt werden, die sich auf fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beziehen. Die Archivstücke haben vielerlei Formen: Urkunden, Verordnungen, Protokolle, Druckschriften, Broschüren, Korrespondenzen, Listen, Rechnungen, Atlanten, Pläne, Karten. Sie können sowohl handschriftlich als auch gedruckt sein. Das Amt Kelberg fungierte als Verwaltungsvollstrecker der ihm zugehörigen politischen Gemeinden (Ortsgemeinden) und hatte auch eigene Verwaltungskompetenzen. In der Verwaltungshierarchie haben wir es hier mit der untersten Ebene zu tun. Darum sind in den meisten Fällen auch die Gesetze, Verordnungen, Richtlinien der übergeordneten Verwaltungsorgane noch anwesend. Diese wurden mit den Ausführungsbestimmungen und Korrespondenzen thematisch in Akten geordnet, wodurch man in der Lage ist, ganze Verwaltungsvorgänge nachzuvollziehen.

Nach Durchsicht der vorhandenen Schriftstükke stellte sich heraus, daß der Schwerpunkt auf der Periode 1880-1938 liegt. Von den Perioden 1816-1880 und 1939-1945 gibt es nur noch einzelne Akten. Das älteste Stück, das gefunden wurde, ist eine Rechnung in französischer Sprache von 1809. Die besonders gut dokumentierte Periode 1880-1938 wird von markanten historischen Ereignissen, wie dem 1. Weltkrieg, der Besatzungszeit, der großen Inflation und Wirtschaftskrise und vor allem der Machtergreifung der Nationalsozialisten gekennzeichnet. Auswirkungen und Folgen dieser Ereignisse spiegeln sich in den Schriftstücken wider. Besonders der Übergang von der Weimarer Zeit zur NS-Zeit ist durch die Akten "Maßregeln gegen staatsgefährliche Bestrebungen" von 1926 bis 1938 sehr gut nachzuvollziehen. Daß es von der Periode 1939-1945 so wenige Akten gibt, wird aller Wahrscheinlichkeit darauf beruhen, daß am Kriegsende viele Papiere und besonders belastendes Material vernichtet wurde. Eine Ausnahme bildet die Akte "Wiedervorzulegende und vertrauliche Sachen" von 1944, in der sich wichtige Informationen über das Verhalten (Diensterfüllung, Vernichtung von belastenden Stücken) in den letzten Kriegstagen befinden.

Die einzelnen Schriftstücke zu bestimmten Verwaltungs- und Aufgabenbereichen sind dagegen thematisch geordnet zusammengefaßt. Jede Akte handelt von einen gewissen Verwaltungsbereich oder -Vorgang. Nach Abschluß derartiger Akten wurde eine nachfolgende angelegt. Die Aufschrift der Akte bestand aus dem Thema, Anfangs- und Abschlußjahr und einer laufenden Nummer. Bei Inventarisierung des Archivs müßten vorrangig die Akten nach Themen sortiert werden, so daß auch die chronologische Reihenfolge des nachfolgenden Materials wiederhergestellt werden kann. Außerdem müßten die Akten mit einer Inventarnummer versehen und ihr Inhalt kurz umschrieben werden. Mit dem erstellten Inventar könnte jede Akte im Archiv zurückgefunden und für eventuelle Benutzer zugänglich gemacht werden.

Auch wenn der Aktenbestand des Altarchivs für die Verwaltung, abgesehen von einigen Ausnahmen, nicht mehr relevant ist, hat es für wissenschaftliche und besonders historische Zwecke eine große Bedeutung. Die Anwesenheit von fast allen Bauakten mit Bauplänen und Gebäudeskizzen der Periode 1880-1938 ist für eine verantwortungsbewußte Durchführung der Denkmalpflege und der erhaltenden Dorferneuerung sehr wichtig. Außerdem muß hier noch bemerkt werden, daß diese Gebäudeskizzen einen künstlerischen Wert besitzen. Eine andere, sehr wichtige Quelle bilden die Atlanten und Rezeßbücher der Zusammenlegungen der Periode 1885-1929, die für alle Ortsgemeinden noch komplett anwesend sind. Hiermit verfügt die Verbandsgemeinde Kelberg über Unterlagen, mit denen die Entwicklung der Landwirtschaft und Kulturlandschaft seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts genau verfolgt und rekonstruiert werden kann. Im Altarchiv ist somit ein Stück Geschichte des Kelberger Landes aufbewahrt. Schließlich bietet ein solches vielseitig ausgestattetes Archiv auch interessante Möglichkeiten für Heimat-, Ahnenforscher und historisch interessierte Mitbürger. Wenn man sich intensiv mit den alten Schriftstücken beschäftigt hat, wird das menschliche Handeln vergangener Zeiten in mancherlei Hinsicht viel verständlicher. Bei der Durchsicht des Archivbestandes wurden wir mit eine geschichtsträchtige Periode mit viel Leid, Armut und Ungerechtigkeit, aber andererseits auch mit positiven und fröhlichen Ereignissen konfrontiert.

Übersicht der übergeordneten Verwaltungsebenen:

vor 1945

nach 1949

Deutsches Reich

- Bundesrepublik Deutschland

Preußen Rheinprovinz Regierungsbezirk Koblenz

- Rheinland-Pfalz Regierungsbezirk Trier seit 1971

Landkreis Adenau, seit dem 1.10. 1932 Landkreis Mayen

-Landkreis Daun seit 1971

Amt Kelberg (bis 1. 10. 1932

-Amt Kelberg seit 1971

28 und danach 32 politische Gemeinden)

-Verbandsgemeinde mit 33 Ortsgemeinden

Politische Gemeinde

-Ortsgemeinde

Da es sich hier um ein allgemeines Verwaltungsorgan handelt, beziehen die sich im Archiv vorhandenen Schriftstücke auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Hier eine Auflistung dieser Bereiche:

-Allgemeine Verwaltungssachen

-Interne Verwaltungssachen

- Staatssicherheit und Polizei

Standesamt

-Finanzen und Steuer

- Bauwesen

- Schulwesen

-Kirchliche Angelegenheiten

-Vereinswesen

- Militärwesen

-(Gesetzgebung, Verordnungen Vorschriften,

Ausführung, Wahlen, Gemeinderatsprotokolle).

(Dienstvorschriften, Personal).

(Staatsgefährliche Bestrebungen, Gerichtsurteile,

Gefängniswesen, Vollstreckungen, Spionage,

-Presseverbote)

-Landwirtschaft und Forsten

-Handel und Gewerbe

-Bergbau und Industrie

-Jagd und Fischerei

-Arbeit, Soziales, Gesundheit

-Straßenbau, Zusammenlegungen

-Meliorationen, Wasserversorung

Bei der Aufbereitung und Zusammenstellung dieser Ausstellung hat sich gezeigt, daß die Verbandsgemeinde besonders für die Periode 1880-1939 über einen fast kompletten Archivbestand verfügt. Dieser Bestand ist so reichhaltig, daß sich eine Inventarisation sicher lohnen würde. Außerdem möchten wir dafür plädieren, daß dieser Archivbestand dort bleibt, wo er entstanden ist, nämlich in der Verbandsgemeinde Kelberg und daß in Zukunft dieses Altarchiv den Bürgern der Verbandsgemeinde zugänglich gemacht wird. Mit der Durchführung dieser Ausstellung ist ein kleiner Schritt dazu getan.

Literatur

Archivausstellung "Geschichte zum Anfassen" im Rathaus zu Kelberg vom 13.11.1989 bis zum 8. 12. 1989. Zusammengestellt und aufbereitet von Drs. Peter Burggraaff. Kelberg 1989.