Der Spiegel

Lotte Schabacker, Daun

 

Neulich hatte ich mal wieder den Tag, an dem man für alles zu schade ist! Nicht wahr, Sie kennen das ja: Anklagend steht man vor den ungemachten Betten und naserümpfend vorm Staubsauger; ein Kochtopf ist das Symbol der Mittelmäßigkeit und der Umgang mit einer Nähnadel beschädigt die Würde des Menschen. Natürlich hatte ich auch einen trifftigen Grund, mich zu ärgern. Zwar fiel er mir im Augenblick nicht ein, aber ich würde schon einen finden. Bestimmt würde ich das! Inzwischen ärgerte ich mich über die eigene Vergeßlichkeit. Und nun kam mir auch noch die unglückselige Idee, mich im Spiegel zu betrachten. Da war schon gleich alles falsch. Ich sah zehn Jahre älter aus, mindestens . . .

Auch das noch: Das Telefon läutete. Ich ri ß den Hörer vom Apparat und blaffte meinen Namen. "He, was ist?" hörte ich die erwartungsvolle Stimme einer Bekannten. "Geht es Ihnen nicht gut? Eigentlich wollte ich mir gerade das versprochene Buch bei Ihnen abholen, aber wenn . . ." Oh doch, es sei alles in allerbester Ordnung, sie möge nur schnell vorbeikommen, flötete ich, so falsch ich konnte.

Ich wußte, daß ich diese Frau auf ihre Frage nach meinem Befinden mit einem Klagelied sehr erfreuen konnte - sie tröstet so gern, das ist ihr Hobby. Aber dieses Vergnügen gönnte ich ihr nicht, obgleich ich sie eigentlich reizend fand. Dafür hatte ich eben zu schlechte Laune. Ich würde sie im Gegenteil mit albern-euphorischem Gehabe ärgern, so gut es ging.

Da wir für so was keine Pillen im Hause haben, fand ich es günstig, daß jene Muskeln, mit denen wir den Anschein der prächtigen Stimmung erwecken können, unserem Willen untertan sind: Zuerst ein paar tiefe Atemzüge am offenen Fenster, dann Mundwinkel hoch, Schultern runter, Bauch rein, Brust raus. Ob man nun Lust hat oder nicht, man muß sich von oben bis unten umbauen. Man hat aufzuhören, mit mißmutigen Beinen über den großen Onkel zu latschen, man muß beschwingt und leichtfüßig durch die Räume huschen, wobei man ein wenig die Hüften schwenken sollte, aber nicht zu sehr, damit es nicht affektiert wirkt und man keinen Hexenschuß bekommt. Wenn die Gesichtshaut trotz Wasser und Klopfmassage immer noch zu grau ist, streicht man sie an. Lange Ohrringe, die bei jeder Kopfbewegung einen lustigen Tanz aufführen, sind ebenfalls zu empfehlen. Zuletzt setzt man dann die Stimmbänder in Betrieb und summt eine fröhliche Weise.

Ich war gerade bei "wohlgemut" von "Häns-chen klein" angelangt, da erschien die Bekannte. Als sie wieder ging, begann ich mit dem Liedchen von vorn, aber diesmal laut. Ich hatte mich selbst aufs Kreuz gelegt und überlegte, wie ich diese unangebrachte Heiterkeit wieder loswerden könnte. Vielleicht, wenn ich den anstrengenden Umbau meines Äu ßeren nun in umgekehrter Richtung vornähme? Wie lästig! Außerdem wußte ich immer noch keinen echten Grund, mich selbst zu ärgern. Ich hatte ja noch nicht mal meine Bekannte mit meinem kreuzfidelen Getue ärgern, sondern nur anstecken können. Der Gedanke an unseren amüsanten Plausch ließ mich jetzt noch lächeln.

In diesem Moment lief ich meinem Spiegel über den Weg. Ich schaute hinein. Oh Wunder, die zehn Jahre waren weg, mindestens! Ich begrüßte mich freudig und wünschte mir einen guten Tag.

Nein, man sollte wirklich nicht in den Spiegel sehen, wenn man schlecht gelaunt ist! Das gibt nur weiteren Ärger.

Und noch was: Wenn wir mal den Tag haben, der nicht taugt, dann sollten wir nicht sagen und schon gar nicht denken: "Ich bin heute depressiv!" Das ist zwar fesch und modern, aber es wirkt zur negativen Seite hin suggestiv. Und außerdem stimmt es nur in seltenen Fällen. Eine echte Depression ist eine Krankheit. Und die meisten von uns sind zum Glück in diesem Sinne nicht krank, sie haben einfach hin und wieder ehrlich schlechte Laune! Wobei nicht von Interesse ist, woher die kommt, sondern wie man sie los wird.