Alles, was der Mensch so brauchte . . .

Handelsvertreter unterwegs Annelie Diewald, Trier

 

Es gibt sie auch heute noch, Männer und Frauen, die Supermärkte,Baumärkte und Einzelhandelsgeschäfte bereisen, um ihr Warensortiment anzubieten und Bestellungen aufzunehmen. Sie sorgen für den schnellen Umschlag von Produkten, denn der Kunde ist anspruchsvoll. Ist ein Artikel nicht vorrätig oder ein Produkt nicht ganz frisch, wird zur Konkurrenz gewechselt.

Diese Sorgen hatten die kleinen Krämerläden auf den Dörfern früher nicht. Ihre Besitzer, meist die Hausfrau und ihr Mann im Nebenerwerb, wußten, was die Leute brauchten, und auf neu bestellte Waren mußte gewartet werden. Alle drei Wochen kamen die Handelsvertreter verschiedener Lebensmittelgroßhandlungen auf ihrer Tour vorbei, und dann dauerte es nochmals eine Woche, bis die Waren mit der Bahn geschickt, mit dem Pferdewagen oder später mit dem Lastwagen ausgeliefert wurden. Der Handelsvertreter mußte eine dreijährige kaufmännische Ausbildung absolvieren. Der theoretische Unterricht wurde abends nach zwanzig Uhr erteilt. Schreibmaschine schreiben und Stenographie mußten in eigener Initiative und auf eigene Bezahlung erlernt werden. Die Reiseroute des Handelsvertreters Jakob Daufenbach aus Wittlich, von dem hier die Rede ist, erstreckte sich in den Jahren 1925 bis 1955 von der Saargrenze über den Hochwald, den Moselraum und die gesamte Eifel.

Wie sah der Tagesablauf eines Handelsvertreters aus? Nach der Zusammenkunft aller Angestellten frühmorgens im Geschäft wurde der Arbeitsplan besprochen und um acht Uhr losgefahren. Während anfangs die Bahn oder das Fahrrad als Transportmittel dienten, wurde später der firmeneigene Stoewer, Ford oder Opel gesteuert. Nachdem die Kunden begrüßt waren, sprach man über die Familie, die Kinder und das Vieh, ehe man zum geschäftlichen Teil überging. Das mitgeführte Artikelverzeichnis umfaßte etwa tausend verschiedene Waren, wobei die Lebensmittel den größten Posten einnahmen. Neben Hülsenfrüchten, Gewürzen, Fetten und Ölen gab es Salz, Mehl und Zucker. Diese Produkte wurden in Zentner-Säcken geliefert und mußten beim Verkauf in Papiertüten abgefüllt werden. Auch Senf und Essigessenz wurden im Laden dem Kunden nachgefüllt. Der Handelsvertreter war auch berechtigt, für die Waren zu kassieren. Bei Barzahlung gab es Prozente. Das in Säcken gelieferte Salz beispielsweise mußte wegen der hohen Salzsteuer sofort bezahlt werden. Steuerfreies Salz war eingefärbt und diente hauptsächlich als Vieh- und Streusalz. Da echter Bohnenkaffee teuer war, wurde "Kathreiners Malzkaffee" als Ersatzkaffee verkauft. Durch Beigabe des Würzmittels Cichorie war er dunkel gefärbt und erhielt einen herben Geschmack. An Konserven gab es in der Regel nur Erbsen und Schnittbohnen. Das Sauerkraut wurde in Zwei-Zentner-Fässern und in Zehn-Kilo-Dosen geliefert. Kunsthonig gab es im Eimer und auch verpackt, Rübenkraut in Fässern und Dreißig-Kilo-Eimern. In den Läden mußte es verständlicherweise sehr kühl sein und nicht selten wurden Sauerkraut, Mehl und Zucker mit blauen Fingern in die Tüten gefüllt.

Die Nationalsozialisten legten nach der Machtübernahme Wert auf deutsche oder zumindest "deutschfreundliche" Produkte. So führte die Freundschaft zwischen Hitler und Mussolini dazu, daß zeitweise nur italienischer Reis angeboten wurde, während vorher unter etwa dreizehn verschiedenen Sorten gewählt werden konnte. Ähnlich erging es dem holländisehen Hering, der äußerst beliebt war, in den Kriegsjahren aber dem deutschen Hering weichen mußte.

Neben den Lebensmitteln wurden Wasch- und Putzmittel angeboten. Produkte wie Persil, Imi, Sil, Henko und Ata sind auch heute noch bekannt. Besonders wichtig waren braune und weiße Schmierseife für die grobe und feine Wäsche sowie Kernseife, die auch zur Körperpflege benutzt wurde. Vier verschiedene Besensorten bot der Handelsvertreter an. Mit dem Birkenbesen kehrte man Stall und Hof, der Piassava wurde zur allwöchentlichen Straßenreinigung benutzt. Im Haus wurden die Holzböden mit dem Kokosbesen und die gekachelten Böden mit dem Haarbesen gekehrt.

Was die Männer am Vormittag in den Dorfladen führte, war weniger die Sorge um das Mittagessen, als der Wunsch, sich mit Tabakwaren zu versorgen. Angeboten wurden Zigarren, Zigarillos und Zigaretten. Der Pfeifentabak war in Tüten abgepackt, Rolltabak wurde nach Bedarf abgeschnitten. Zu diesem Zweck stand auf der Theke ein Gestell mit einem Tabakmesser. Während Rolltabak von starken Rauchern auch gekaut wurde, gab es auch extra verpackten Kautabak. Die Männer interessierten sich außerdem für Sägeblätter, Nägel, Wetzsteine, Hacken und Spaten. Eine durchschnittliche Ladengröße von zwanzig bis dreißig Quadratmetern setzte natürlich der Angebotspalette Grenzen und so war es nicht verwunderlich, daß Kuhstricke und Kuhketten zum Verkauf über die Straße gelegt wurden.

Da Baumärkte erst eine Erfindung unserer Zeit sind, mußte die Kundschaft auch mit Anstreicherfarben versorgt werden. Hierbei handelte es sich um Kalkfarben, mit denen die Zimmerwände gerollt wurden. Es gab noch keine Farbproben, und daher war es keine leichte Aufgabe für den Handelsvertreter, die über vierzig verschiedenen Farbtöne aufzuzählen und einzelne Farbabstufungen zu beschreiben. Einmal im Jahr kaufte die Hausfrau Schürzenstoff und blaues Leinen, um in der ruhigen Jahreszeit zu nähen und die notwendigen Flikkarbeiten an den Leinenjacken und Hosen der Männer durchzuführen.

Die Kinderkauften Schulhefte und Schreibstifte im Laden. Mehr aber als an diesen Schreibmaterialien hing ihr Blick am großen Glas auf der Theke. Es war mit billigen Bonbons gefüllt, die fest aneinander klebten und deshalb "Quodlibet" genannt wurden.

Eine feste Arbeitszeit gab es für den Handelsvertreter nicht. Zur Erntezeit konnten viele Ladenbesitzer erst dann besucht werden, wenn auch der letzte Heuwagen in der Scheune abgeladen war. Oft wurde aufs Feld hinausgefahren und dort die Bestellung aufgenommen. Die gute Zusammenarbeit zwischen der Firma und den Besitzern der Krämerläden äußerte sich vor allem darin, daß zu Hochzeiten und Kindtaufen ein Geschenk überreicht wurde. Besonders wichtig war die Teilnahme des Handelsvertreters an der Beerdigung der Geschäftsinhaber. Für alle sichtbar mußte er den wagenradgroßen Firmenkranz tragen, und er konnte froh sein, wenn der Friedhof nicht allzu weit vom Dorf entfernt lag. Eine tägliche Arbeitszeit von sechzehn bis achtzehn Stunden war für den Vertreter keine Seltenheit. Wenn es spät wurde, mußte im ländlichen Gasthof übernachtet werden. Als Nachtmahl gab es Eier und Schinken, am Freitag Bratfisch. Dabei konnte es auch vorkommen, daß man sich beim Wirt über den sauren Wein beklagte und dann erfahren mußte, daß die eigene Firma ihn geliefert hatte. Die Schlafzimmer waren unbeheizt und im Winter gefror das Wasser in der "Waschlavour".

Durch die Mobilisierung der Familien und Niederlassung größerer Handelsketten im ländlichen Bereich geht die Zahl der kleinen Krämerläden stetig zurück. Daran hat auch keine Nostalgiewelle etwas ändern können. Die heutigen Handelsvertreter und Handlungsreisenden brauchen ihre Kundschaft nicht mehr auf dem Feld aufzusuchen, und die Zeit für Privatgespräche ist knapp bemessen. Die meisten Warenartikel werden per Telefax bestellt, so daß viele Firmenvertreter nur noch gelegentlich zu Kontaktbesuchen vorbeikommen. Eine beschauliche Zeitspanne wurde von einer rastlosen überholt. Viele Zeitgenossen bedauern diese Entwicklung. Es muß aber die Frage erlaubt sein, ob immer wieder der sogenannten "guten alten Zeit" nachgetrauert werden soll. Die Antwort lautet Nein! Nur vergessen werden sollte sie nicht.