Wenn Brauchtum mißbraucht wird

"Ein tiefer Sinn wohnt in den alten Bräuchen; man muß sie ehren" Friedrich v. Schiller

Franz Josef Ferber, Daun

 

Eine unserer vornehmsten Aufgaben ist es, das kulturelle Erbe der Ahnen zu hüten. Dies ist in einer Zeit, in derein zunehmender Werteverfall zu beklagen ist, nicht gerade leicht. Das Kulturerbe ist breit gefächert. Ein wichtiger Bestandteil sind heimatliches, kirchliches und weltliches, Brauchtum. Um dieses ist es nicht besonders gut bestellt. Nicht genug, daß es mehr und mehr zu verschwinden droht, zu bedauern ist auch, daß es teilweise nicht mehr in der rechten Weise gepflegt wird. Von Mißbrauch ist gar die Rede, und diese Bewertung ist keineswegs übertrieben. Das mögen folgende Beispiele zeigen.

Hüttenbrennen, Feuerradrollen, Martinsfeuer

Die Bräuche des Hüttenbrennens und "Radschejwens" sind uralt; vermutlich sind sie aus heidnischer Zeit überliefert. In einigen Dörfern des Kreises Daun wie in anderen Orten der Eifel werden sie auf lokal verschiedene Art und Weise noch gepflegt. Am ersten Sonntag in der Fastenzeit, nach dem Dunkelwerden, brennt die Dorfjugend auf einer Anhöhe eine "Hütte" (aus Stroh), auch "Burg" genannt, ab. Mancherorts wird ein mit Stroh umwickeltes Holzrad angezündet und den Berg hinabgerollt. Beide Bräuche haben nach Meinung von Volkskundlern die gleiche Bedeutung. Mit dem Feuer soll der scheidende Winter vertrieben und der nahende Frühling begrüßt werden.

Jung und alt erfreut sich auch heute noch dieses sinnvollen Brauches. Damit das so bleibt, sollte unbedingt daran gedacht werden, nur herkömmliches Brennmaterial - Holz, Stroh, Holzräder - zu verwenden. Es besteht Grund, darauf hinzuweisen, daß Gummireifen, Altöl und Sperrmüll nicht hierzu gehören. Schade wäre es, wenn diese lobenswerte Brauchtumspflege letztlich als Umweltverschmutzung kritisiert oder sogar ordnungsrechtlich geahndet werden müßte.

Genauso ist es mit dem Martinsfeuer, bei dem traditionsmäßig nur Gehölze abgebrannt werden sollen. Manche - so war in den letzten Jahren in einer Tageszeitung zu lesen - benützten das Martinsfeuerdazu, ihren Sperrmüll loszuwerden. Das ist kein Brauchtum mehr, und zudem ist es - aus gutem Grund - verboten.

Fastnacht

"Am Aschermittwoch ist alles vorbei"? In diesem Jahr (1990) jedenfalls nicht. Unter "Nachrichten aus der Eifel" war in einer Tageszeitung zu lesen, daß vielerorts die Fastnachtsumzüge auf das Wochenende nach Aschermittwoch verlegt wurden. Das sind ja "schöne" Nachrichten! Es ist wohl noch nie dagewesen, daß Fastnachtszüge in der heiligen Fastenzeit durchgeführt wurden. So geschehen auch im Kreis Daun. Die Begründung: Orkanartige Stürme hätten die Umzüge am Rosenmontag "vom Winde verweht". Hierzu ein Zitat aus einem Pressebericht vom 2. März 1990. "Den Zug ganz ausfallen zu lassen, hätte bedeutet, daß die vielen, oft wochenlangen Arbeitsstunden der Aktion umsonst gewesen wären . . . auch der finanzielle Aufwand der einzelnen Gruppen ist beträchtlich und rechtfertigt sicher die einmalige Durchführung eines Karnevalszugs am ersten Fastensonntag . . ."

 Dieser Meinung bin ich nicht. Es gibt für mich keinen einzigen Grund, der es rechtfertigte, das ansonsten - wohlgemerkt, zur rechten Zeit! - durchaus begrüßenswerte Fastnachtsspektakel in die Zeit der Fastentage zu verlegen. Zugegeben, es ist ärgerlich, Zeit, Arbeit und Geld sozusagen "für die Katz" aufzuwenden. Aber das müßte von vernünftigen Menschen und bei nüchterner Einschätzung der Dinge zu verkraften sein, wenn man bedenkt, daß wegen der verheerenden Stürme bei weitem mehr schmerzliche Verluste zu beklagen sind: Milliardenschäden und zahlreiche Menschenleben. Und wer sagt denn eigentlich, daß die Sturmböen einmalig bleiben und daß wir Menschen nicht noch weitere Quittungen dafür bekommen, daß wir stets und ständig, nicht gerade immer verantwortungsbewußt, an der Schöpfung herummanipulieren. Wie dem auch sei, ein einziger Fastnachtsumzug in der Fastenzeit ist einer zuviel. Ich bin, gelinde gesagt, verwundert darüber, daß hiergegen allgemein und besonders von unseren Kirchen kein nennenswerter Widerspruch zu vernehmen war. Wohl deshalb fragte Pfarrer Peter Blang aus Schweich-lssel (Trierischer Volksfreund vom 10./11.3.1990), meiner Meinung nach völlig zu Recht: "Wo sind die Christen, die sich gegen eine solche schwere Entgleisung, gegen den sündhaften Mißbrauch der heiligen Fastenzeit wehren?" Und die kirchlichen Funktionsträger? Nun, von einigen wird behauptet, sie hätten zum Fastnachtsumzug am ersten Fastensonntag "ja" gesagt. Wenn das wahr ist, drängt sich mir die Frage auf, ob die betreffenden geistlichen Herren wohl von allen guten Geistern verlassen waren.

Erste heilige Kommunion, Konfirmation

Die Feiern der ersten heiligen Kommunion und der Konfirmation gehören zum schönsten Brauchtum. Von Napoleon Bonaparte wird berichtet, daß er erzählt habe, der Tag seiner ersten heiligen Kommunion sei der glücklichste seines Lebens gewesen. Sollte er das wirklich gesagt haben, dann hatte sein Glücksgefühl die Ursache gewiß nicht darin, daß er mit materiellen Dingen überhäuft wurde. Vielmehr wird ihn das Erlebnis der heiligen Handlung ergriffen haben. Und so sollte es auch sein. Mir kommt es niemals in den Sinn, mich mit Napoleon zu vergleichen, aber was das Glücklichsein an meinem ersten Kommunionstag (im •Kriegsjahr 1944) angeht, habe ich ähnlich empfunden. Das fiel mir nicht schwer, denn die Armut jener Jahre verhinderte es, daß man vom Hauptsächlichen abgelenkt wurde. Dies war das eine Extrem. Heute haben wir es oft mit dem anderen zu tun; dem Überfluß. Beides taugt nichts. Unseren Kindern wird es von den Erwachsenen schwer gemacht, sich auf das Wesentliche dieser Feiern zu besinnen. Es ist leider eine nicht wegzuleugnende Tatsache, daß heute die Kommunikanten durch übertriebene Geschenke und Äußerlichkeiten vom eigentlichen Sinn des Festes, dem Erlebnis, Jesus Christus zu begegnen, abgelenkt werden. Bei den Konfirmanden ist es nicht besser. Im Jahre 1986 war in einer Tageszeitung zu lesen, evangelische Pfarrer beklagten, daß die Konfirmation noch stärker als das Weihnachtsfest vermarktet werde. Von "bloßen Konsumorgien" war die Rede und davon, daß manche die Konfirmation als eine Art "Schluckimpfung" ansehen. Zuweilen hat man wirklich den Eindruck, daß Erstkommunion- und Konfirmationsfeiern vordergründig als gesellschaftliche Ereignisse verstanden werden. Dies alles würde genau zu der nicht selten kritisierten gesellschaftlichen Entwicklung passen, daß bei vielem, was zum Wohle unserer Kinder geschieht, nicht kindliche Belange im Vordergrund stehen, sondern Erwachsenendenken dominiert.

Erster Mai

Es muß doch um ein hochwertiges Kulturgut gehen, wenn der Dauner Landrat - im Einvernehmen mit den Bürgermeistern aller Verbandsgemeinden des Kreises - sich in einem öffentlichen Aufruf besorgt an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger wendet. Karl-Adolf Orth schrieb im April 1990 unter anderem: "Daß in der sogenannten Hexennacht (der Nacht vom 30. April zum 1. Mai) nicht alles mit rechten Dingen zugeht, dafür habe ich durchaus Verständnis, das gehört einfach zu dem Brauch. Sorgen dagegen bereiten mir immer wieder bestimmte Vorkommnisse, um nicht zu sagen, Auswüchse, die man leider als groben Unfug, teilweise sogar als strafbare Handlungen bezeichnen muß. Sachbeschädigungen - das Abknicken von Bäumen, das Demolieren von Straßenlampen, das Abheben von Kanaldeckeln und das Verunreinigen von Straßen oder Gebäuden, um nur diese wenigen Beispiele zu nennen -haben nichts mit unserem althergebrachten Eifeler Brauchtum zu tun. Auch das Absägen von Maibäumen sollte unterbleiben. Ernstzunehmende Heimatkundler nennen das 'üble Streiche' ..." Schließlich sollte noch gesagt sein: Zum Brauch des Maibaumaufstellens gehört auch, daß der Baum am 1. Juni verschwunden ist. Früher wurde der Maibaum in der letzten Mainacht umgelegt.

! So wird richtig "Hillich geschliffen" - auf die Zutaten, den Dreck, zwar nicht verzichtet, aber das ist eben kein Müll. (Foto : oben)

Das "glückstrahlende Brautpaar". Beim Anblick des ihm dargebotenen Unrats hätte es eher Grund zu weinen. (Foto: links)

Hillichschleifen

Ein jeder weiß, daß in den letzten Jahren kein Brauchtum so verdorben wurde, wie das des Hillichschleifens. Was da vielerorts geschah und beklagenswerterweise heute noch geschieht, hat so gut wie nichts mehr mit unserem alten heimatlichen Brauchtum gemein. Es ist, um es ohne Umschweife zu sagen, grober Unfug, undes braucht nicht zu verwundern, daß viele Brautleute es als widerlich empfinden, wenn vor ihnen Berge von Müll und Unrat ausgebreitet werden. Daß viele Brauteltern sich solch ungehörige "Darbietungen" verbitten und Gemeinden sogar mit Anzeigen drohen, kann man nur begrüßen und andere ermuntern, desgleichen zu tun.

Im Jahre 1987 war es, als der Dauner Landrat einen offenen Brief schrieb, worin er bat, sich wieder auf das ursprüngliche Brauchtum zu besinnen. Er zitierte einen namhaften Brauchtumskenner, Hauptlehrer Hans Mühlhaus aus Darscheid: "Wir alle, ob jung oder alt, bejahen das vom Dorf geprägte Brauchtum und dürfen es nicht zulassen, daß durch Unverständnis ein sinnvoller Brauch zum sinnleeren und freudelosen Mißbrauch entwürdigt wird". Hans Mühlhaus ist es auch, der uns sagt, was in diesem Fall, bei lokal unterschiedlicher Handhabung, sinnvoller Brauch ist: "Gegen Abend der Hillich-Feier wird ein eisenbereifter Wagen von der Jungenschar durch die Dorfstraßen gezogen. Mit lauten Hillichrufen, die zur Teilnahme einladen, rumpelt der Wagen bis vor das Haus der Brautleute, wo er aufgebockt wird, damit ein Rad gedreht werden und das Schleifen der Sense beginnen kann. Mit dem schrillen Kreischen der Sense startet das ohrenbetäubende Naturspiel, ein Erbe aus uralter Zeit. Lautes Gejohle begleitet den langgezogenen Kratzton, der rostigen Sense letzter Schrei. Ausgediente Kochtöpfewerden zu handlichen Trommeln und eiserne Bratpfannen geben Brummtöne ab, die auch im Geräuscheorchester nicht fehlen dürfen. Dazwischen gellen Pfeiftöne hinauf zum dämmrigen Abendhimmel . . ."

Man möchte freudig aufschreien, wenn man in letzter Zeit beobachten kann, daß da und dort auf das Dreckanhäufen verzichtet und wieder nach alter Manier geschliffen wird. Es sind Zeichen der Hoffnung, daß derart gute Beispiele nachgeahmt werden. Ein dringend nötiger Bewußtseinswandel scheint im Gange zu sein.

Weihnachten, Sylvester

In einer Geschichte vom Weihnachtsbaum steht geschrieben, daß. . . "heute, an jenem 24. Dezember, ein Baum Kinderaugen glänzen läßt". Ich weiß nicht, welches Heute hiermit gemeint sein soll; von unserem wird wohl kaum die Rede sein, denn die freudige Erwartung auf den geschmückten Weihnachtsbaum ist am Heiligabend längst vorbei, der Glanz ist verblaßt. Das, was die Kinder am hochheiligen Christfest erleben sollen, wird zumeist schon Wochen vorher überall massenhaft geboten: in Geschäften, an Straßen, auf Plätzen und vor Wohnhäusern. Was haben, so muß man sich fragen, Christbäume vor Weihnachten hier zu suchen? Das Gefühl einer "gnadenreichen Zeit", von dem der Dichter spricht, vermögen sie kaum zu vermitteln. Das sind eher Zeichen der vielbeklagten, zuweilen geschmacklos anmutenden Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes; sie scheint - gottlob - immer mehr Menschen abzustoßen. "Alle Jahre wieder und jedes Jahr früher!" schrieb im Jahre 1985 eine christliche Wochenzeitung. Mancherorts seien schon vor Allerheiligen (!) die Weihnachtsmänner in den Läden zu sehen, was zum Beispiel die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg scharf kritisiert hatte. Ebenso habe das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) den ausufernden Konsum mit den Mitteln christlicher Symbole und den Mißbrauch weihnachtlicher Gefühle zum Zwecke der Umsatzsteigerung gerügt. Weihnachten, so das ZdK, sei ein Fest und kein Jahrmarkt. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Der letzte Tag des Jahres hat seinen Namen von dem später heiliggesprochenen Papst Sylvester, der am 31. Dezember 335 gestorben ist; er wird auf verschiedene Weise gefeiert. Weit verbreitet sind das Abbrennen von Feuerwerken und Entzünden von Knallkörpern. Hierfür werden Millionenbeträge im wahrsten Sinne des Wortes, verpulvert. Gleichzeitig verhungern tausende Menschen auf unserer Erde. Das paßt nun ganz und gar nicht zusammen. Für mich persönlich ist dies weniger eine Frage des Geschmacks, als vielmehr eine Gewissensfrage. Ob es mir behagt oder nicht, die Gewissensprüfung, der ich mich zu unterziehen habe, wenn ich für einen solch' feuerspei-end-krachend-umweltverschmutzenden Unsinn Geld ausgebe, wird mir niemand abnehmen.

Schlußbemerkung

"Brauchtum gibt dem Dasein Struktur; darum ist es auch eines der liebsten Kinder der Menschheit". Das schrieb der "Paulinus" (das Trierer Bistumsblatt) am 30. November 1986 im Zusammenhang mit dem religiösen Brauchtum im Advent. An dieser zutreffenden Feststellung kann und darf es keinen Zweifel geben. Deswegen sollten wir uns alle bemühen, die guten alten Bräuche, dieses Stück Heimat und Alltagskultur zu ästimieren.