Kirchliches Brauchtum im Wandel der Zeit

Matthias Thömmes, Philippsheim

 

Advents- und Weihnachtszeit

Seit jeher war das Leben des Eifelmenschen eng mit dem religiösen Glauben verbunden. Von der Reformation weitgehend verschont, blieb die Eitel überwiegend katholisch und ihre Bevölkerung jahrhundertelang religiös streng geprägt. Die ländliche Struktur trug ein Weiteres dazu bei, den Menschen unserer lange •als "Rheinisches Sibirien" verschrieenen Eifelheimat an die Religion zu binden. Als Bauern und Waldarbeiter ständig mit der Natur in Berührung und in hohem Maße von ihr abhängig, waren die Eifelbewohner schon immer strenggläubige Christen, Feste und Festzeiten bestimmten ihren Jahres- und Lebenslauf in bedeutender Form. Vor allem des Kirchenjahr hatte großen Einfluß auf die Lebensweise der Eifelmenschen.

Krippe in der Pfarrkirche St. Josef Stadtkyll.                              Die Sternsinger sind da.

Wenn mit dem 1. Adventssonntag das liturgische Kirchenjahr begann, war das im großen Eifelgebiet der Auftakt zu einer stillen und ernsten Zeit, die bis zum Heiligen Abend andauerte. Noch bis vor wenigen Jahren waren in diesen Wochen feierliche Hochzeiten und andere laute Veranstaltungen und Lustbarkeiten streng verboten. Wir Kinder nahmen uns vor, in dieser Zeit besonders brav und folgsam zu sein. Jede gute Tat wurde mit einem Strohhalm belohnt, der mit vielen anderen an Weihnachten die Krippe des Christkindes auspolstern sollte. Je größer die Zahl der guten Taten, um so weicher das Bett des Christkindes.

Die Gottesdienstbesuche waren nicht nur an den Sonntagen, sondern auch an Werktagen eine Selbstverständlichkeit. Der Besuch der Roratemessen im noch dunklen Adventsmorgen und die vertrauten Weisen der alten Adventslieder wie "Tauet Himmel den Gerechten" oder "Komm, sende Herr uns Deinen Sohn" in der hellerleuchteten, mit Adventskranz geschmückten Dorfkirche gehören heute noch zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen, obwohl es damals für uns nicht immer angenehm war, in aller Frühe das warme Bett zu verlassen und durch den kalten Wintermorgen zu gehen, um in der ungeheizten Kirche der hl. Messe beizuwohnen.

Geheimnisvoll war auch der heute kaum noch beächtete St. Barbaratag am 4. Dezember. Gespannt beobachteten wir, wie Mutter an diesem Tag dürre Obstzweige in eine mit Wasser gefüllte Vase stellte, die dann an den Weihnachtstagen in voller Blüte standen.

Nach wie vor ist der Tag des hl. Nikolaus vor allem als Tag der Kinder erhalten geblieben. Schon am Vorabend, dem 5. Dezember, wandert er als Bischof verkleidet in Begleitung von Knecht Ruprecht durch die dunklen Straßen der Ortschaften, um die Kinder zu ermahnen und zu beschenken. Sicher ist heute die Angst und die Ehrfurcht vor dem heiligen Mann nicht mehr so groß, als in unseren Kindertagen. Kleinlaut harrten wir damals in der Stube bei frommem Gebet, und wenn dann im dunklen Flur die Glocke erklang, bebten unsere Herzen angstvoll in Erwartung der Ereignisse. Waren wir doch nicht immer brav gewesen, so daß eine Strafpredigt nicht ausbleiben konnte. Wenn dann doch alles glücklich vorüberging und wir reichlich beschenkt waren, sangen wir überglücklich und erleichtert aus vollem Herzen: "Niklaus ist ein guter Mann!"

Anders als in der heutigen, hektischen Zeit waren die Adventswochen besinnlich und zugleich geheimnisvoll. Je näher das Weihnachtsfest heranrückte, um so erwartungsvoller wurden wir. Dazu trug nicht wenig der Geruch der Weihnachtsbäckerei bei, der in jenen Tagen das ganze Haus durchzog. Färbte sich abends der Himmel rot, erklärte man uns: Das Christkind backt! Noch ohne Fernsehen versammel-te sich am Abend die ganze Familie um den Adventskranz, um Adventslieder zu singen und Geschichten vorzulesen, während im Ofen die Bratäpfel brutzelten.

Vieles hat sich geändert. Während einerseits als störend und nachteilig empfunden wird, daß man schon Wochen vor dem Weihnachtsfest die Stimmung durch eine Fülle von Angeboten, Weihnachtsliedern und -musik in den Geschäften und Kaufhäusern vorwegnimmt, hat die Adventszeit aber auch Bereicherungen erfahren. So finden in vielen Orten die von verschiedenen Frauengemeinschaften arrangierten Adventsbasare statt, in denen selbstangefertigte Bastei-, Strick- und Häkelarbeiten sowie Kaffee und Kuchen zum Verkauf angeboten werden. Der Erlös geht ausnahmslos an gemeinnützige Hilfswerke oder kommt einem anderen guten Zweck zugute. Dann die vielen Lichterbäumchen, die vom ersten Adventssonntag an bis zum Ende der Weihnachtszeit abends in den Vorgärten oder auf den Baikonen vieler Häuser leuchten und so auch nach außen hin diese schöne Zeit bereichern.

War dann endlich das Weihnachtsfest gekommen, standen zunächst die Gottesdienste im Vordergrund. Während heute die Christmette überwiegend in den frühen Abendstunden des Heiligabends gefeiert wird, fand sie in meiner Kindheit entweder um Mitternacht oder aber in den Morgenstunden des 1. Weihnachtstages statt. Überall konnte man damals in der meist schneebedeckten Eifellandschaft die mit Laternen ausgestatteten Gottesdienstbesucher beobachten, die durch den kalten Weihnachtsmorgen der mit Tannenbäumen und Krippe festlich geschmückten Kirche zustrebten. Der Besuch der Gottesdienste an den Weihnachtstagen ist erfreulicherweise bis heute nicht zurückgegegangen und nach wie vor erklingen die vertrauten Weisen: Stille Nacht, heilige Nacht; Es ist ein Ros' entsprungen; Zu Bethlehem geboren ...

Zu Hause fehlt auch heute in kaum einer Wohnung der festlich geschmückte Tannenbaum und die Weihnachtskrippe. Zu unserer Zeit brachte das Christkind nachts die Weihnachtsgeschenke, die wir dann am Weihnachtsmorgen, der sehnlichst erwartet wurde, in Empfang nehmen konnten. Heute findet die Bescherung in der Regel nach der Christmette am Heiligabend statt. An den Weihnachtstagen herrschte früher ein reges Kommen und Gehen. Wir Kinder gingen von Haus zu Haus, um die Geschenke und die Weihnachtskrippe unserer Spielkameraden zu bewundern. Vor allem aber die Krippe in der Kirche wurde regelmäßig besucht, ein Brauch, der sich bis heute erhalten hat. An manchen Orten steht dort noch der Opferstock mit dem kopfnickenden Negerknaben, in dem für die Heidenmission gesammelt wird.

Für die ältere Dorfjugend war der nach entbehrungsreichen Wochen erstmalig wieder angesetzte Tanzabend am 2. Weihnachtstag (Stefanstag) ein langersehntes Ereignis. Konnte man doch endlich nach langer Zeit wieder das Tanzbein schwingen und lustig sein.

Die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig nennt man seitjeherdie "Heiligen Nächte"oder "Rauh-(Rauch-)nächte". Früher war das eine Zeit voller Aberglauben, in der nachts angeblich Geister und Dämonen ihr Unwesen treiben sollten. Bis weit in die Neuzeit hinein hat sich dieser Glaube in den Eifeldörfern erhalten, so daß Bauer und Bäuerin Abend für Abend in den Stall gingen und das Vieh mit Weihwasser besprengten oder mit Rauchwerk segneten. Einiges davon hat sich erhalten. So achtet manche Eifelbäuerin auch heute noch streng darauf, daß in diesen Tagen keine Wäsche dräu ßen auf der Leine hängt; die bösen Geister könnten sich auf der Flucht darin verfangen.

Reich an Brauchtum ist die Silvesternacht und der erste Tag des neuen Jahres. Nach der Jahresschlußandacht gegen Abend des Silvestertages, in der vom Pfarrer alle wichtigen Ereignisse des vergangenen Jahres verlesen werden, versammelt sich jung und alt entweder im Familienkreis oder im Gasthaus, um die Jahreswende gebührend zu feiern. Überall knallen die Sektkorken, werden Raketen, Knallfrösche und Böller losgelassen und läuten die Glocken schließlich um 24.00 Uhr das neue Jahrein. Es herrscht Jubel, Trubel, Heiterkeit, und bis in den frühen Morgen hinein wird das Tanzbein geschwungen.

Am Neujahrsmorgen unterwegs zur Kirche tönt das traditionelle "Prost Neujahr!" den Kirchgängern entgegen, und nach der Messe besucht man sich gegenseitig in den Häusern, um "alles Gute zum neuen Jahr" zu wünschen. Vor allem die Kinder zogen früher von Haus zu Haus und erhielten Süßigkeiten und den seit alters hermeist selbstgebackenen Neujahrsweck, wenn sie ihr Sprüchlein aufgesagt hatten. In vielen Eifelorten klang das so:

"Jode morjen am neijen Joahr, ech

wünschen ech e jelecksilies neijes Joahr,

lang se leaven un e jelecksieliges

Sterwen!"

Das Fest der "Erscheinung des Herrn" (Dreikönigstag) am 6. Januar war früher in der ganzen Eifel ein hoher, kirchlicher Feiertag, an dem nicht gearbeitet werden durfte. Die Anbetung des Christkindes durch die drei Weisen, die nach der Überlieferung Könige aus dem Morgenland waren, und die Überreichung der Geschenke Weihrauch, Myrrhe und Gold wird bis heute zum Anlaß des Sternsingens genommen, auch wenn der Dreikönigstag zum gewöhnlichen Werktag degradiert ist. Alljährlich ziehen zahlreiche Kinder als "Könige" verkleidet durch die Eifelortschaften und sammeln Geld für gute Zwecke, meist für ein Missionswerk oder für die Länder der "Dritten Welt". Nach altem Ritus ziehen sie von Haus zu Haus, prächtig gekleidet, die Krone auf dem Haupt, den "Stern von Bethlehem" vornauf und singen ihr Dreikönigslied, das von Ort zu Ort verschieden ist. In Niederbettingen lautet es beispielsweise:

"Wir sind die Weisen aus dem Morgenland.

Wir sahen den Stern, wir suchten

und fanden Christus, den Herrn. Heute

fanden wir Ihn bei den Kranken und

Armen, drum bitten wir für sie um Erbarmen.

Gebt reichlich, die ihr Geld habt und Brot,

 so viele Menschen leiden Not."

Zum Dank für die Spende hinterlassen sie über der Haustür ihr bekanntes Kreidezeichen: C + M + B, dahinter die entsprechende Jahreszahl. Die Bedeutung dieser Buchstaben ist zweifach: Einmal können es die Anfangsbuchstaben der Königsnamen sein (Casper, Melchior, Balthasar), zum anderen ist es die Abkürzung des Segensspruches: "Christus mansionem benedicat", das heißt: Christus möge dieses Haus segnen!

Man nimmt an, daß der Brauch des Sternsingens speziell in der Eifel eine Folge aus dem Dreikönigsspiel der Erwachsenen ist. Bei diesem Spiel war und ist es an vielen Eifelorten üblich, am Vorabend oder am Dreikönigstag selbst den Bohnenkönig und die Bohnenkönigin zu wählen. Zu diesem Zweck trifft man sich auf dem sogenannten "Bohnen-" oder "Königsball", wo zunächst der Königskuchen verzehrt wird, in dem eine schwarze und eine weiße Bohne eingebacken ist. Wer eine von diesen Bohnen in seinem Kuchenstück findet, wird Bohnenkönig oder Bohnenkönigin. Anschließend tanzt man bis in den frühen Morgen. Zum Ausgleich für dieses Erwachsenenspiel sollen die Kinder einstmals das "Sternsingen" erfunden haben, das ursprünglich als Heischelied für sie selbst gedacht war.

Quellen: Rolf Dettmann/Matthias Weber: Eifeler Bräuche, Köln 1987