Oh Täler weit, oh Höhen'

Zum Tode von Alexej von Assaulenko

Franz Josef Ferber, Daun

 

Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, wollte ich nicht glauben, daß er ein Kunstmaler und dazu noch ein so hochrangiger war. Ich vermochte mir nicht vorzustellen, daß er mit seinen mächtigen Bauernhänden imstande sein könnte, einen Pinsel sicher zu führen. Eher hätte ich ihn für einen russischen Bauern gehalten. Tatsächlich, aus Rußland, der Ukraine, kam er, aber mit der Landwirtschaft hatte der Arztsohn, der am 25. August 1913 in Lubny geboren wurde, in Kiew und Leningrad studierte, zeitlebens nichts zu tun. Dennoch gab ich ihm im Geiste einen Platz in dem Film "Der stille Don" nach dem Roman von Michail Scholochow. Dort, in der Ukraine, prägten die noch kindlichen Eindrücke sein Bild vom Menschen, seine intensive Wahrnehmung der Natur. Ich spreche von Alexej von Assaulenko. Im Jahre 1982, als er mich in meinem Büro besuchte, war es eine Art "Liebe auf den ersten Blick", die Geburtsstunde einer sich bald entwickelnden Freundschaft zwischen dem Künstler und mir, dem Eifeler Amtsschreiber. Bestechend waren viele seiner persönlichen Eigenschaften, besonders die vorbildliche Höflichkeit. Eigentlich war er gekommen, um sich im Kreishaus die großformatigen Fritz von Wille-Gemälde anzuschauen und sich einen Katalog zu kaufen. Von den Werken eben dieses Malers wurde er, wie viele seiner Malerkollegen vor ihm, inspiriert, sich mit der Eifellandschaft künstlerisch auseinanderzusetzen. Andere Landschaften, in Deutschland und in fremden Ländern, gehörten längst zu seinem Oeuvre. Das brachte ihm internationale Anerkennung ein.

Alexej von Assaulenko war beileibe nicht nur Landschaftsmaler. Zu seinen Hauptthemen gehörten - in dieser Reihenfolge - zuerst Porträts, Bildnisse, figürliche Kompositionen und schließlich Landschaften. In einem Interview (Trierischer Volksfreund vom 12./13. 9. 1987) sagte er: "Landschaften sind gewissermaßen der zweite Teil meiner Seele, mehr der poetische Teil, Porträts und Bildnisse sind mehr der psychologische Teil". Der Künstler bevorzugte die Porträtmalerei. Namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft ließen sich von ihm porträtieren: der frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Kai Uwe von Hassel, der Autofabrikant Felix Porsche, der Rennfahrer Graf Berghe von Trips, die Dichter Hermann Claudius und Stefan Andres, um nur einige Beispiele zu nennen.

Alexej von Assaulenko beim Malen auf dem "Hohen List" bei Schalkenmehren.

Mensch und Natur, sie waren es, denen sich der Künstler ein Leben lang mit besonderer Intensität, mit dem ganzen Einsatz seiner künstlerischen Fähigkeiten widmete. "Unter den vielfältigen Versuchen in unseren Tagen", so sagte er einmal, "neue Wege in der Kunst zu gehen, bleibt für mich dennoch die Natur unerschöpflich; sie kennt keine Routine wie wir Menschen, und als Ganzes ist sie nie zu erfassen". Auf meine Frage, was für den Maler die Vulkaneifel so reizvoll und interessant mache, meinte er: "Eigentlich hat jede Landschaft ihre Seele. Die Vulkaneifel ist wie überhaupt die ganze Eitel einmalig wegen der Vulkantätigkeit und der ganzen geologischen Formation. Sie hat eine gewisse geheimnisvolle und dramatische Ausstrahlung. Und sie ist sehr romantisch". Bemerkenswert an der Haltung des Künstlers ist auch, daß er sich ob seiner menschlichen Unzulänglichkeit der Grenzen, das Unendliche der göttlichen Schöpfung künstlerisch zu erfassen, stets bewußt war.

Es fiel nicht schwer, ihm, dem Kunstmaler von Rang, klarzumachen, daß die Eifel das nächste Ziel seiner Malreise werden müsse. Er sagte dies zu, und er hielt Wort. Es dauerte eine Zeit, als er, von seiner Gattin begleitet, anreiste, um in der Eifel - vorwiegend im Landkreis Daun und im Prümer Land - zu malen. Etwa sechzig anmutige Landschaftsbilder von hervorragender künstlerischer Qualität entstanden, Bilder, die verträumte Romantik widerspiegeln. Deswegen wohl fällt mir bei ihrem Anblick unwillkürlich das Gedicht von Joseph von Eichendorff ein, das wir einst in der Volksschule auswendig lernen mußten: "Oh Täler weit, oh Höhen", und sogleich klingt dazu die Melodie von Felix Mendelssohn-Bartholdy in meinen Ohren. In meinem Wohnzimmer hängt ein solches Gemälde, ein typisches Assaulenko-Eifelbild. Mein Freund Alexej hat es mir geschenkt. Es gibt den Blick frei auf die Weite der Landschaft unserer Vulkaneifelheimat, auf hohe Berge und in tiefe Täler. In stillen Stunden betrachte ich dieses Kleinod. Dann erfaßt mich zuweilen eine starke Sehnsucht nach den Heimatfluren Im oberen Tal der Uess, die mir von Kindheit an vertraut waren und in späteren Jahren als Lebensraum arg verleidet wurden, weil die Auserwählten des Dorfes es so wollten. Alexej von Assaulenko hat die Landschaft der Eifel spät, aber nicht zu spät, entdeckt und dargestellt. Er hat Kunstwerke von unvergleichlicher Schönheit geschaffen, Bilder, die Ruhe und Harmonie ausstrahlen und die merkwürdigerweise im Gegensatz stehen zu seinem impulsiven, geradezu explosiven Temperament. Das waren Gründe genug, die in unserer Heimat entstandenen Gemälde einer breiten Öffentlichkeitvorzuzeigen. Dies hat die Kreisverwaltung 1987, zusammen mit der Kreissparkasse in deren Schalterräumen, getan. Die Erinnerung an diese nicht alltägliche Präsentation ist bei vielen Freunden der Kunst und der Eifeler Landschaftsmalerei heute noch lebendig. Hierfür sorgt auch der Kunstkalender, den die Kreissparkasse, maßgeblich unterstützt von der Kreisverwaltung, dem Künstler gewidmet hat.

Für das Frühjahr 1989 hatte Alexej von Assaulenko seine nächste Malreise in den Kreis Daun angesagt. Aber das Schicksal hat es anders gewollt. Der Künstler wurde plötzlich krank. Am 22. August 1989, zu seinem bevorstehenden 76. Geburtstag, schrieb ich ihm einen Brief; er erreichte ihn nicht mehr. Noch am gleichen Tag nahm ihm der Tod den Pinsel aus der Hand. Katharina von Assaulenko schrieb zum Tode ihres Gatten: "Dein schöpferisches Leben war geistig-bildhafte Gestaltung aus der Fülle des Lebens, der Vielfältigkeit der Natur und der Menschen. Das war Dein Weg, Gott aus ganzer Kraft zu dienen. Du suchtest täglich, ein Leben lang, nur eine Wahrheit, um ihr zu folgen, die Wesenheit der Dinge zu erkennen, um in ihr die Gegenwart Gottes zu schauen . . ." Möge der Herrgott, dessen wunderbaren Schöpfungswerke Alexej von Assaulenko uns näherzubringen versuchte, ihn hierfür reichlich belohnen!