Briefe aus den neuen Bundesländern

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

Zeit heilt Wunden - sie schafft aber auch Distanz und wie schmerzlich sich das aufs Verstehen auswirkt, erfuhren wir nach der Vereinigung Deutschlands. Natürlich wollten wir das, ein »einig Volk von Brüdern« - ich spreche niemandem die besten Vorstellungen ab; doch das Ergebnis ist wenig positiv. Zu unterschiedlich waren die Lebensverhältnisse, der Alltag der Menschen in Ost und West. Man kann da nicht einfach einen Hebel umlegen und alles ist dann neu, ganz anders.

Meine Freunde in den neuen Bundesländern hab ich gefragt, wie ist es denn nun mit dem Leben nach der Wende, was freut euch, was hättet ihr euch anders vorgestellt?

Schreibt mir das doch mal..............

Der Gedanke zu den Briefen aus den neuen Bundesländern kam mir, weil ja auch der Kreis Daun eine Patengemeinde in Thüringen hat, mit allen Problemen belastet, die der Prozeß der deutschen Einheit so mit sich brachte - hüben und drüben. Oft gab's Mißverständnisse, da meinten die »Ostler«, die »Westler« wollten sie belehren - Ablehnung machte sich breit so nach dem Motto.....»wir schaffen das auch allein, schließlich können wir auch was.« Wahrscheinlich haben wir bei allem guten Willen zur Hilfe die Leute zu spontan angesprochen, ihnen das Versagen der Gesellschaftsform des Sozialismus »unter die Nase gerieben«. Das war nötig, auch richtig - doch von der anderen Seite aus betrachtet ist das ein Eingeständnis verfehlter Wirtschaftspolitik in vier Jahrzehnten. Wer schluckt so einen Brocken ohne zu würgen? Schließlich hat man den Leuten dort immer gesagt, daß sie für eine gute Sache arbeiten, hat ihnen Prämien verliehen für's Engagement um den sozialistischen Aufbau und nun stellt sich heraus, daß alles Schrott ist, der Arbeitsplatz, das Werk, das Produkt - nichts kann man in freier Marktwirtschaft mehr brauchen und der Arbeiter, er ist in hohem Maße genau an seinem Platz überflüssig. Noch vor zwei Jahren wurde er an gleicher Stelle hofiert. Wer kann das verstehen, begreifen?

Meine Bitte um »den Brief«, um Stellungnahme zu aktuellen Ereignissen wurde grundsätzlich als wichtig und nötig erkannt, aber niemand wollte ihn schreiben, fühlte sich der Anfrage gewachsen. Verunsicherung ist wohl der Grund. Von lieben Freunden aus dem Raum Sachsen bekam ich die Antwort.... »einen Brief zu diesem Thema kann ich augenblicklich nicht beisteuern. Was ich so spontan schreiben möchte, wäre zu ungeordnet. Vielleicht liegt's daran, daß wir uns nicht wie in einem Bundesland fühlen. Ich komme mir vor wie in einem staatenlosen Raum, nichts läuft richtig, überall wird so vor sich hin gewurstelt, es scheint keine Normen mehr zu geben. Oft kommt mir der Gedanke, was wollen wir denn? Uns geht's doch gut, was wir zum Leben brauchen, das haben wir, auch wenn vieles teurer wird, weil wir weniger Geld haben als je zuvor.«

Genau das ist's. Da liegen nun die wunderschönen Konsumartikel in den Schaufenstern und Otto Normalverbraucher kann sie nicht kaufen. Das Einkommen, die Arbeitslosenunterstützung erlauben's nicht.

Noch ein Brief - auszugsweise. Er kommt von einer Schulfreundin.....»mit meinem Mann ist, seit er nicht mehr arbeiten kann, nichts mehr los. Ich kann ihm nichts recht machen, an allem hat er was auszusetzen. Für ihn zählt nur noch gutes Essen, den ganzen Tag fernsehen bis in die Nacht, er kauft sich fleißig Bier und ich bekomme Selters - obwohl nun so gute Säfte bei uns zu kaufen sind. Mich ermahnt er zum Sparen, liest täglich Strom und Wasser ab, ich darf meine Strumpfhosen nicht abends durchwaschen, er schikaniert mich, wo er nur kann. Nur gut, daß ich meine Arbeit habe (zwei Stunden am Mittag in einer Großküche), da bin ich wenigstens für eine Zeit unter normalen Menschen.« Der Neid auf die Arbeitsstelle spricht böse Worte. Wer mag schon einsehen, daß er »übrig« ist und mit 58 Jahren bekommt man eben keinen neuen Platz mehr.

Briefe aus den neuen Bundesländern - alle haben so einen Ton zu Moll.

Aus Thüringen kommt einer auf meinen Tisch, von Freunden aus dem kirchlichen Dienst, eine Kantorin i. R, die noch viele Vertretungsarbeit macht, schreibt... .»wie es sonst in der Ex-DDR geht? Unwahrscheinlich aufregend. In meiner Straße kann man an Abgasen beinahe ersticken. Durch den Winter hab ich mich gequält, nichts funktioniert, ich habe zur Zeit einen ziemlichen Tiefpunkt...«

Dann eine Verwandte aus Dresden ... .»wir können hier nun beinahe alles kaufen, wie bei euch; wenn wir's nur bezahlen könnten!« Und da möchte ich anmerken, die Schreiberin war zu Kriegsbeginn Anfang zwanzig, heiratete, hatte ein Kind, der Vater kam als kranker Mann aus Gefangenschaft, starb kurz danach und die junge Frau lebte mit ihren alten Eltern -Vertriebene aus dem Raum um Zittau - in einem Jagdhüttchen, weitab vom Dorf. sie fuhr mit DDR Vespa zur Arbeit, die Großmutter brachte das Enkelkind später täglich zur Schule ins Städtchen, zu Fuß, so um 5 km .. .wer kann das heute nachempfinden?

Vorbei, vorüber, es ist »was draus geworden«. Doch nun sitzt genau diese Mutter in einer kleinen Wohnung, hat Sorge, ob sie die in Zukunft bezahlen kann und .......nur nicht krank werden! Das kleine Krankenhaus am Ort macht nämlich die Pforten dicht, und Ärzte sind eine Rarität in der Gemeinde.

Meine Cousine wird demnächst 70 Jahre alt, natürlich möchte sie einen Arzt in der Nähe wissen, an den man sich wenden kann, wenn's so alleine in den vier Wänden nicht mehr geht........da macht sich ganz existentielle

Angst breit und die spricht aus jeder Zeile aller Briefe - man muß nur lesen können. Genau da ist der Punkt, wir verstehen einander so schlecht. Deutsch spricht man in Ost und West unsers Landes, vom Verstehen her gibt's da kaum Probleme - aber vom Empfinden! Vier Jahrzehnte haben tiefe Spuren hinterlassen und das muß verarbeitet werden, es geht nicht von heute auf morgen.

Zusammenwachsen heißt die Lösung -

Wachsen braucht Zeit, Geduld.

Und die müssen wir uns anerziehen,

mit Fleiß.

Briefe aus den neuen Bundesländern könnten da hilfreich sein, man muß nur zwischen den Zeilen lesen (wollen), da steht Unausgesprochenes.

Sensibilität ist wieder gefragt.