Geschichte

Die Fälschung der Urkunde von Welcherath 954 n. Chr.

Erich Mertes, Kolverath

 

In den Mittelrheinischen Urkundenbüchern von Beyer, Eltester und Goerz befindet sich eine Urkunde1, die angeblich von dem Trierer Erzbischof Ruotbert (931 - 956) ausgestellt wurde und, um ganz sicher zu gehen, Bezug nimmt auf eine noch ältere Urkunde des Erzbischofs Hetti (814 - 847). Sie betrifft die Grenzumschreibung der hochmittelalterlichen Waldpfarrei Nachtsheim und die Einweihung einer Filialkirche zu Welcherath (Verbandsgemeinde Kelberg) durch eben diesen Erzbischof Ruotbert.

Die Urkunde ist jedoch eine der vielen hochmittelalterlichen Fälschungen, wie verschiedene Gutachten ausweisen2. Dennoch wird diese Fälschung nach wie vor in ungezählten Publikationen fleißig weiter abgeschrieben. Im Interesse einer endgültigen Klarstellung wollen wir daher den ganzen Sachverhalt nochmal nachvollziehen und einer größeren Leserschaft zugänglich machen.

Um jeden Zweifel auszuschließen, hier erstmal die Übersetzung der gesamten Urkunde ins Deutsche:

»Der Gemeinde aller Gläubigen zur Kenntnis, daß ich, Robert, unwürdig berufen als Erzbischof, auf Einladung eines gewissen Rather3 hierherkam zu einem bestimmten Orte seines Besitzes mit Namen Werichonissartem (Rodung des Wericho)4 und dort eine Kirche geweiht habe; ich habe sie der Kirche von Natesheim (Nachtsheim) unterstellt, von der feststeht, daß sie zu Ehren des hl. Stephanus errichtet ist. Ich mußte oder ich konnte keine andere Grenzfestlegung bestimmen, weil in einer früheren Grenzfestlegung der vorgenannten Kirche in Nachtsheim von meinem Vorgänger würdigen Angedenkens, dem Manne Hetti feststand, wie (alles) verteilt und für die Nutzung der Gott am Ort des hl. Martinus (Münstermaifeld) dienenden Brüder bestimmt sei. Ferner: Beide genannten Kirchen, die Mutterkirche in Nachtsheim und die Tochterkirche in Weriken-roth (Welcherath), sollen sich Priester nehmen zur Lenkung der Pfarreien, und um den priesterlichen Dienst zu verrichten, einen von den Brüdern an der Kirche des hl. Martinus, der beide Kirchen und Pfarreien betreue. Und sollte er nachlässig in seinem Dienste sein, so soll durch Wahl der Brüder ein anderer »praepositus« (Propst, Vorgesetzter) an die Stelle gesetzt werden, der beide Kirchen betreue.

Und wenn innerhalb dieses Bereiches mit Genehmigung noch eine weitere Kirche erbaut werden sollte5, so werde sie ebenfalls der Mut-terkiche in Nachtsheim unterstellt. Wir machen zur Auflage, daß alle versammelten (Gläubigern) anerkennen, daß sie (die Kirche in Welcherath) an den Nonen des Mai (am 7. Mai) geweiht ist und diesen Tag als Feiertag begehen.

Die alte Grenze (der Pfarrei Nachtsheim) wird durch folgende Orte festgelegt: Von der Mündung des Karenbachs in die Elz (oberhalb Monreal), den Elzbach aufwärts bis zur Rodung des Rather (Retterath)6 und weiter aufwärts bis zur Elzquelle (nördlich des Hochkelbergs), von der Elzquelle zum Hochkelberg (»Kelenberega«), von dort bis zum Trierbach und vom Trierbach zum Berg Antiquest (Rote Heck), von dort zwischen den Wäldern des Grundherrn Rather und der Trierer Abtei St. Maximin zur Straße, die von Barweiler kommt, und dann diesem Weg nach

Fundbericht des Amtes für Denkmalpflege Koblenz, Abt. Bodendenkmalpflege, vom 24. 3. 1954, über die Öffnung Pfarrkirche Welcherath.

Befund-Text von Dr. Röder: »Als infolge Renovierungsarbeiten die alte massive Altarplatte abgehoben wurde, zeigte sich, daß sie ein Sepulcrum mit dem Siegel des Erzbischofs Udo (1066 - 1078) besaß. Der Altar selbst stand auf einem viereckigen Fundament mit rund 0,53 m starkem Mauerwerk, das eine mit Erde ausgefüllte Höhlung von 0,92 zu 0,05 m Ausmaß umschloß und (verschieden an den einzelnen Seiten) 1,07 - 1,40 m tief war. Die Füllerde enthielt neben menschlichen Knochen eine gotische Gewölberippe, spätmittelalterliche Scherben und einen Kerzenstummel. Eine ungestörte Grabschicht wurde nicht angetroffen. Eine Grabung bis zum gewachsenen Boden war bei der Enge des Loches nicht möglich. Vgl. Felix Horbach, Geschichte der Pfarrei Welcherath (Sonderdruck der Rheinzeitung)«.

Reproduktion: Erich Mertes

bis zum Berg Nore (Nürburg), von diesem Berg (Nürburg) zum Berg Achon (Hohe Acht) und von dort bis Schwarzensohle; von dort bis Ekeda (Achtbach), dem Achtbach folgend bis zur Nitz, von der Nitz weiter zwischen dem Mayener Wald und dem Ort Herdiga (Hirten) bis zum Karenbach und diesen abwärts bis zur Mündung in die Elz und die Elz aufwärts bis Retterath (»Sartem Ratheri«).

So ist mit diesen Grenzbezeichnungen und den Anliegern bei der Weihe der Kirche in Nachtsheim 7 von unserem Vorgänger, dem Erzbischof Hetti seligen Angedenkens der Besitz umfaßt, sowohl im bebauten wie im unbebauten Gebiet (»tarn in cultis quam in incultis locis«). Keiner seiner Nachfolger kann diese Bestimmung brechen oder ändern ohne größte Gefahr für sein Seelenheil, und so soll sie unverändert weiterbestehen bleiben durch die Jahrhunderte.«

Die undatierte Urkunde weist als Aussteller den Erzbischof Ruotbert (Rotbert, Robertus) aus 8. Dieser regierte in Trier von 931 - 956. Danach wurde die Urkunde mal in das Jahr 943 gedeutet (MRUB; Pauly), mal in das Jahr 954 (MRR; Schug). Aufgrund des letzten Datums feierte Welcherath am 7. Mai 1954 sein 1 000 jähriges Bestehen als Pfarrei und renovierte dafür die Pfarrkirche von Grund auf. In der Rheinzeitung vom 8./9. Mai 1954 erschien ein langer Bericht Pfarrer F. Horbach ließ einen Sonderdruck davon anfertigen.

Bei der Renovierung im März 1954 fand man in der Pfarrkirche auch das unversehrte Sepulcrum von der Urkirche 9. Es enthielt eine verschlossene Bleikapsel, die man zum Generalvikariat des Bistums nach Trier brachte, wo sie vom Bistumskonservator Professor Dr. Alois Thomas geöffnet wurde. Sie enthielt neben dem Siegel des Erzbischofs Udo von Trier (1066 -1078), Reliquien von den Heiligen Celsus und Simeon von Trier.

Der heilige Simeon von Trier aber war erst beinahe 100 Jahre später gestorben, als die Urkunde angeblich ausgefertigt wurde10. Das konnte nicht stimmen.

» Es ist damit eindeutig erwiesen«, schreibt Prof. Dr. Alois Thomas als Bistumskonservator, »daß der frühere Altar in Welcherath unter Erzbischof Udo zwischen 1066 und 1078 eingeweiht wurde«.

Prof. Thomas berichtet dann weiter:» Durch das 1954 geöffnete Sepulcrum treten starke Zweifel an der Echtheit der Urkunde von Erzbischof Robert auf. Schon Oppermann behandelte die Urkunde als Fälschung« (S. 189f). Oppermann war der Ansicht, daß die Urkunde um 1100 n. Chr. entstanden sei. »Diese Vermutung ließe sich mit der Konsekration (Einweihung) unter Erzbischof Udo (1066 -1078) gut in Einklang bringen«, schreibt Professor Thomas 1969.

Der Hinweis, bereits Erzbischof Hetti hätte eine obenerwähnte Pfarrumschreibung Nachtsheim vorgenommen, ist nicht erwiesen und daher ungewiß (Oppermann).

Wann wurde Welcherath Pfarrei?

Diese Frage stellte Pfarrer Horbach von Welcherath 1954 in der Rheinzeitung. »Marx sagt«, so schreibt er11, »seit 1680 werde Welcherath als selbständige Pfarrei behandelt. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Kreis Mayen l (S. 458), schreiben, zwischen 1617 und 1656 sei die Welcherather Kirche Pfarrkirche geworden. Leider wird keine der beiden Angaben belegt. Demgegenüber steht fest, daß der Erzbischof Ruotbert am 7. Mai 954 Welcherath zur Pfarrei erhob«.

Nun wissen wir inzwischen, daß dies nicht stimmt, sondern daß die Urkunde eine spätere Fälschung ist. Auch ständige Wiederholungen machen eine Fälschung nicht echter.

Den Beleg für die spätere Pfarrei Welcherath liefert uns Pfarrer P. Schug in seiner Geschichte der Pfarreien. Danach wurde Welcherath im Jahre 1654 wirklich Pfarrei12. Der erste gesicherte Pfarrer ist Johann Breitscheid (1654 -1706) und Schug weist von da ab lückenlos die Pfarrer in Welcherath nach. Vorher genannte Priester waren Pfarrer aus anderen Pfarrorten, die in der Filialkirche Welcherath Messe hielten. Das geschieht in unseren Pfarreien ja auch heute noch so, daß der Pastor in den Filialkirchen die Messe hält. Deshalb sind diese ja noch lange keine Pfarrei.

Denkmal in Welchenrath 954 / 1954

 

Zusammenfassend stellen wir fest:

1. Die Urkunde von »954« wurde um 1100 n. Chr. angefertigt.

2. Welcherath wurde wirklich 1654 Pfarrei, vorher war es Filialkirche von Nachtsheim, zeitweilig sogar evangelisch13.

3. Die Urkunde bezieht sich mit »Kelenberega« eindeutig auf den Hochkelberg, nicht auf den Ort Kelberg (»usque ad Kelenberega. et sie Kelenberega usque ad fluvium Triera ...«).

Warum hat man solche Urkunden gefälscht? Das Ziel der Fälschung um 1100 war, so vermutet Oppermann14, »eine Herrschaft der Trierer Kirche und ihres Erzbischofs mit der Stadt Trier als Mittelpunkt aufzurichten und zu befestigen«.

Anmerkungen:

1. MRUB l, 240 f; MRR l, 271f.

2. Oppermann 1951; Prof. Dr. Alois Thomas, Bistumskonservator des Bistums Trier, 1969.

3. Dieser Rather, oder sein Vorfahr, wird weiter unten als Gründer von Retterath genannt. Das deckt sich mit der Urkunde von 1052, Inder Retterath erstmals als Rethoroth erwähnt wird (MRUB l, 393).

4. Welcherath, s. LVJBL 3/1986, 81 (auch Sonderdruck).

5. Um 1338 wurde die Pfarrkirche in Retterath erbaut. Man baute sie damals abseits vom Dorf auf die linke Bachseite der Elz. Damit gehörte sie und mit ihr das Kirchspiel eindeutig zur Großpfarrei Nachtsheim im Dekanat Ochtendung (s. Chronik Höchstberg, S. 103).

6. siehe Anm. 3

7. Die älteste Kirche in Nachtsheim wurde erst um 1210 eingeweiht (Schug VI, 296). Ob sich daraus ein noch jüngeres Datum der Kirche in Welcherath ableiten läßt, sei dahingestellt. Es ließe sich gut mit den Reliquien des hl. Simeon von Trier vereinbaren. Dem steht aber das Siegel von Erzbischof Udo von Trier entgegen. Vielleicht gelingt es einer späteren Geschichtsforschung, hier endgültig Klarheit zu schaffen.

8. "... ego Robertus indigne uocatus archiepiscopus...«

9. Sepulcrum = die kleine Reliquiengruft im Altar.

10. Der hl. Simeon starb im Jahre 1035 n. Chr.

11. Der Name Marx bezieht sich nicht auf den Gründer des Kommunismus, Karl Marx aus Trier, sondern auf den Trierer Theologen Jakob Marx.

12. Schug VI, 540.

13. s. Verf. in Jahrb. Daun 1989, 199. Ein Küster wird schon 1556 zu Welcherath genannt. Er zahlt 8 Albus an das Amt Nürburg »für die Kirchengerechtigkeit« (LHAK, 2. 2167).

14. Oppermann, S. 182.

Literatur:

 

Chronik Höchstberg

= A. Mayer/E. Mertes, Höchstberger Chronik, 1989.

Jahrbuch Daun

=Heimatjahrbuch Kreis Daun 1989, S. 199.

LVJBL.

= Landeskundliche Vierteljahrsblätter, H. 3/1 986, Ges. f. nützl. Forschungen, Trier lfd Folge.

MRR

= Mittelrheinische Regesten, von A. Goerz, 4 Bde., Koblenz 1876 - 1886.

MRUB

=Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien, 3 Bde., bearbeitet von H. Beyer, L. Eltester und A. Goerz, Koblenz 1860 - 1874.

Oppermann

= Otto Oppermann, Rheinische Urkundenstudien, Groningen 1951.

Pauly

=Ferdinand Pauly. Aus der Geschichte des Bistums Trier, 3 Bde. , Trier 1 968 -73.

Sohug

=Pfr. Peter Schug, Geschichte der Pfarreien, Bd. VI, Trier 1961.

Thomas

=Prof. Dr. Alois Thomas, in: Kurtrieri-sches Jahrbuch 1969.

Mayer/Mertes

= Alois Mayer / Erich Mertes, Sagen, Geschichte, Brauchtum aus der Verbandsgemeinde Kelberg, Daun 1986, 192.