Mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Einheit

Von Jünkerath nach Mellenbach

 

Aus der Aufbruchstimmung nach den großen Veränderungen, die Deutschland in 1990 erlebte, resultieren Aktivitäten und hier haben junge Leute »Buch geführt«, einen Reisebericht per Fahrrad dokumentiert. Das waren Britta Hack, Sandra Kraus, Mandy Etzrodt und Andreas Schieder von der Hauptschule Jünkerath. Ihre Notizen von der langen Tour per Fahrrad ins Thüring'sche zu der Partnergemeinde der Schule halten Erlebnisse und Eindrücke fest, die gewiß in einigen Jahren Geschichte sind, deshalb aber wichtige Aussagen und darum sind sie hier notiert.

Schon relativ bald nach Öffnung der innerdeutschen Grenze wurde eine Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Thüringen beschlössen. Erste Kontakte fanden vor allem auf kommunalpolitischer Ebene statt. Daraus erwuchs schließlich ein Austausch zwischen den Lehrerkollegien der POS Mellenbach und der GHS Jünkerath. Wir waren nicht damit einverstanden, daß wir Schüler von diesen Aktivitäten ausgeschlossen sein sollten und so wurde die Idee geboren, angesichts der geringen Finanzmittel, die Jugendlichen zur Verfügung stehen, per Rad nach Mellenbach zu fahren.

Zunächst schien unser Rektor wenig begeistert von dem Plan, Schüler auf eine 488 km lange Radtour zu schicken. Die ungeheuere Verantwortung! Unfallgefahren! Kosten! Zeitaufwand! »Seid ihr überhaupt geistig reif dazu?« Probleme und Fragen, die es zu lösen galt, sollte unser Projekt nicht ins Wasser fallen.

Wir fanden Unterstützung bei einem unserer Sportlehrer, der es sich in den Kopf setzte, das vielleicht wichtigste Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte, die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands, durch diese Radtour querdurch die Bundesrepublik und die ehemalige DDR zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden zu lassen. Wir Schüler sollten auf dem langen und beschwerlichen Weg gleichsam im Zeitraffer an die Mühe des DDR-Volkes erinnert werden und am Ende aller Anstrengungen auch das Gefühl der Freude und des Stolzes kennenlernen, wenn man den Schwierigkeiten getrotzt, sie überwunden und durchgehalten hat.

So war der Anlaß unserer Tour zunächst ein aktueller: Anhand des eigenen anstrengenden Weges eine gedankliche Brücke zur friedlichen Revolution der ehemaligen DDR-Bürger zu schlagen und, was für jede Reise gelten sollte, neue Freundschaften zu schließen, Land und Leute kennenzulernen. Unsere konkrete Planung sah dann so aus:

Aufziehen des Projektes als Fahrradstafette; anzusprechender Personenkreis: Sportliche Schüler der Klassen 8-10; Aufteilen der Gruppen und Einteilen der Strecke in Etappen von 20 - 30 km.

Der Ablauf der Tour gestaltete sich in der Praxis folgendermaßen: Am Start an der GHS Jünkerath und an jedem weiteren Morgen unserer Tour analog schwang sich die erste Gruppe aufs Rad und fuhr los, die anderen verluden ihre Räder und das Gepäck auf einen Anhänger, der an einen Kleinbus gekoppelt war, mit dem man sich zum ersten Treffpunkt begab. Dort wartete man auf die Radler, »sammelte« sie ein und die zweite Gruppe ging auf Tour. Daber begleitete ständig ein Pkw mit zwei Erwachsenen die Radfahrer, um im Notfall Erste Hilfe - gleich welcher Art - leisten zu können. Außerdem war einer der Radler stets ein Erwachsener aus dem Begleitteam (Eltern oder Lehrer). Übernachtet wurde in Jugendherbergen (Montabaur und Fulda), in Mellenbach bei Gastfamilien. Die Gesamtstrecke bewältigten wir in drei Tagen. Eine Voraussetzung zur Teilnahme an der Fahrt war die körperliche Fitness und dazu trainierten wir vier Wochen vorher täglich.

Jeder, der mitfahren wollte, mußte sich zu diszipliniertem Verhalten im Straßenverkehr, in der Jugendherberge und bei den Gasteltern verpflichten.

Zur unverzichtbaren Ausrüstung gehörten verkehrssichere, leistungsstarke Fahrräder, Bekleidung für jedes Wetter, Verpflegung für unterwegs und kleine Gastgeschenke.

Alle Teilnehmer der Tour informierten sich im Vorfeld über die Ereignisse, die der Maueröffnung vorausgingen, die aktuellen politischen Bestrebungen und über Thüringen und Mellenbach. Die gesammelten Materialien stellten wir zu Info-Mappen zusammen.

Das letzte große Problem war die Finanzierung. Uns kam eine ortsansässige Firma als »Sponsor« zu Hilfe, sonst wären wir bestimmt an den Förderverein unserer Schule herangetreten oder hätten versucht, die nötigen Gelder über einen Basar, ein Spielfest oder Showprogramm zu bekommen. Aus zeitlichen Gründen (Unterrichtsausfall) konnten wir leider nur anderthalb Tage bei unseren Gasteltern in Mellenbach verbringen, bevor wir, nun alle im Bus, wieder nach Hause fuhren. Besser wäre es allerdings, wenn man insgesamt mindestens eine Woche zur Verfügung hätte. Dann bliebe mehr Zeit für ein intensives Kennenlernen von Land und Leuten, man könnte länger am Unterricht teilnehmen, Sportwettkämpfe von Schulmannschaften oder Jugendtreffs oder Diskussionsrunden organisieren und mehr Besichtigungen durchführen.

Unser Projekt wird uns nicht nur deshalb immer in guter Erinnerung bleiben, weil wir unsere Ziele erreicht haben, sondern weil uns die Mellenbacher so herzlich empfingen und aufnahmen. Etwa 70 Schüler der POS kamen uns am angekündigten Ankunftstag - ebenfalls auf Rädern - bis zum 10 km entfernten Nachbarort entgegen. Als wir heimfuhren, konnten wir sicher sein, viele neue Freunde gefunden zu haben. Entsprechend tragen wir in den letzten Wochen zum ansteigenden Postaufkommen bei! Einige Familien besuchen sich gegenseitig - diesmal aber per Auto.

Wir können eine Nachahmung unserer Tour nur empfehlen, wünschen verständnisvolle, begeisterungsfähige Partner unter den Erwachsenen, viel Spaß beim Planen und Trainieren und ... gute Fahrt!