Dürrbach ist älter als Lirstal

Erich Mertes, Kolverath

 

Lirstal ist im Jahre 1336 nicht genannt worden. Dagegen wird der Ortsteil Dürrbach mit einer Mühle schon um 1200 im Güterverzeichnis der Abtei St. Maximin bei Trier aufgeführt1, genauso wie der Heyer Hof bei Borler.

Diese Mitteilung soll nicht die 650-Jahrfeier von Lirstal im Jahre 1986 schmälern. Im Gegenteil: Die Lirstaler im Oberdorf und Unterdorf können miteinander stolz darauf sein, daß ihr Ort sogar älter ist als man bisher angenommen hat.

In der Lirstaler Chronik von 1984 haben Alois Mayer und ich schon angezweifelt, ob die Schreibweise Leppelzal für Lirstal gelte. Darum versahen wir es in der Überschrift auch mit einem Fragezeichen und schrieben:

Leppezahl? - Seltsam!2

Hier das Ergebnis der weiteren Forschungen: Der

lrrtum begann 1912. In diesem Jahr schrieb Wilhelm Iwanski aus Koblenz eine Dissertation über die Geschichte der Grafen von Virneburg und veröffentlichte darin die Umschrift der Urkunde vom 15. Juni 1336, in der Graf Robert die Virneburg an Erzbischof Balduin von Trier verkaufte3. Er nimmt sie aber von ihm wieder als Lehen entgegen und zahlt ihm als Lehnsherrn dafür jährlich Frucht im Wert von 220 Gulden4. Das war 1/10 der Verkaufssumme.

Für uns klingt das heute etwas kompliziert, aber im alten mittelalterlichen Lehnsrecht war das so üblich. Wir müssen nämlich bedenken, daß es den Christen nach der Bibel verboten war, Zinsen zu nehmen5, den Ausländern aber nicht6. Daher wurden die Geldgeschäfte der weltlichen und geistlichen Herren im Mittelalter häufig von Juden geführt. Das hatte einen doppelten Vorteil: Die Juden führten die Bücher in Hebräisch. Das war nicht für jeden lesbar und eignete sich daher vorzüglich für eine verdeckte, aber dennoch offene Buchführung. So zahlte auch 1339 unter anderem der Pastor von Retterath einen Teil der Schuldsumme des Virneburger Grafen an den Juden Samuel von Daun zurück, wofür der Erzbischof Balduin die Quittung ausstellte7. Hier wird verständlich, warum der Graf von Virneburg 1336 kein Geld gegen Zinsen vom Erzbischof und Kurfürst Balduin von Trier lieh, sondern statt dessen die Virneburg an ihn verkaufte und als Lehen wieder zurückerhielt. Dafür gab er ihm als Lehnsherrn jährlich den Zehnten, oder, wie Iwanski es ausdrückt: »Als Pfand stellte er eine Rente« aus den Einkünften. Natürlich bleiben die Fakten gleich, und wir sagen heute auch richtig: Er lieh Geld, gab Sicherheit und zahlte Zinsen. Eid und Dienstleistungen nach dem Lehnsrecht lassen wir hier außer acht. Die Urkunde war ja auch auf Rückkauf angelegt.

Übrigens lebten seit dem hohen Mittelalter bis in unsere Tage Juden als angesehene Mitbürger unter den Christen. Selbst in Retterath und Uersfeld wohnten Juden. Der Jude Simon zu Retterath zahlte zum Beispiel 1623/24 jährlich 1 1/2 Goldgulden (= 6 Rechnungsgulden) an Juden-Schutz- und Geleitgeld an das Amt Virneburg.

Doch kehren wir zu der Urkunde von 1336 zurück, denn in ihr liegt die Fehlerquelle des Irrtums von Iwanski, der zur falschen Datierung von Lirstal führte.

Die jährlichen Fruchtzinsen aus der Grafschaft Virneburg an den Erzbischof Balduin betrugen8: »...zum ersten auf der Vogtei zu Müsch9 25 Malter Roggen, 33 Malter Hafer Mayener Maß10 und 16 Mark Pfennige11 gewöhnlicher Münze daselbst. Zu Arbach12 zwei Malter Roggen, 6 Malter Hafer und auf ein (besonderes) Maß daselbst 3 Malter Roggen und 5 Malter Hafer. Zu Nitz13 ein Malter Mühlenmaß Roggen und 11 Malter Hafer. Zu Virneburg auf eine Mühle 12 Malter Roggen und 1 (Mühl-)-Schwein von 1/2 Mark (Wert)14. Zu Wanderath15 zwei Malter Roggen und 10 Malter Hafer. Zu Freilingen16 vier Malter Roggen und 30 Malter Hafer. Zu Nachtsheim17 sechs Malter Roggen und 20 Malter Hafer. Zu Boos18 zwölf Malter Roggen und 30 Malter Hafer; auf dem Hof daselbst 2 Malter Roggen und 6 Malter Hafer. Zu Luxem19 zehn Malter Roggen und 20 Malter Hafer. Zu Lep-pelzal20 acht Malter Roggen und 14 Malter Hafer. Zu Arbach 4 Malter Roggen und 8 Malter Hafer21. Zu Retterath22 acht Malter Roggen und 18 Malter Hafer. Zu Drachelnburg23 zwei Malter Roggen und 8 Malter Hafer. Zu Ürsfeld24 Lehen-Hafer 24 Malter und vom Zehnten daselbst 4 Malter Roggen und 18 Malter Hafer. Zu Mannebach25 Futter-Hafer 29 Malter26

Bauernhof im Lirstal um 1950

Bis dahin genügt uns das Zitat der Urkunde für den Nachweis, daß Leppelzal nicht Lirstal ist. Die Urkunde zählt zuerst die Vogtei auf, dann die Höfe und Orte mit der Abgabe von Roggen und Hafer, danach, ab Mannebach, die Auflistung der Abgaben an Futterhafer und, als das wertmäßig noch nicht ausreichte, schließlich erneut ab Virneburg die Abgaben weiterer Malter Roggen und Hafer, dazu noch den Geldbetrag von 10 Mark Pfennige aus den Einnahmen des Virneburger Gerichts und weitere Getreideabgaben entfernt liegender Orte, wie zum Beispiel Mertloch. Daraus erklärt sich die Wiederholung einzelner Orte in der Urkunde.

Diese sachliche Unterscheidung macht Iwanski nicht. Er addiert vielmehr die Abgaben der Orte, bringt diese aber nicht in der Reihenfolge der Urkunde und Abgrenzung nach Vogtei, Höfen, Mühlen und Ortschaften, nach Hafer, Futterhafer, Sach-(z. B. Mühlschwein) und Geldwerten. Daher ist ihm die Mißdeutung Leppelzal für Lirstal bei der örtlichen Reihenfolge nicht aufgefallen.

Die weiteren Nachforschungen haben inzwischen ergeben, daß es bei Ditscheid einen (für die kleinen Verhältnisse) bedeutenden Hof Leppelzal gab (auch Leffelzall), der bis weit in die Neuzeit hinein existierte. Das paßt auch in die geographische Reihenfolge der Urkunde von 1336: »...Luxem, Leppelzal (bei Ditscheid), Arbach, Retterath ...«

Der Irrtum von Iwanski wurde seit 1912 ohne weitere Prüfung bis zur Lirstaler Chronik 1984 fleißig weiter abgeschrieben und in Zweifelsfällen zu deuten versucht. Wir müssen aber den Mut haben, auch in der Heimatforschung Irrtümer einzusehen und zu berichtigen. Das scheint mir nicht Schwäche, vielmehr Stärke zu sein. Durch die frühere Entstehung von Dürrbach um 1200 und die spätere Datierung der Urkunde von Welcherath rückt die Besiedlung der Orte in unserer Gegend näher aneinander. Die Einbeziehung archäologischer Funde und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Warvenchronologie von unseren Eifelmaaren lassen sich gut mit den neu erkannten Siedlungsdaten nach 1000 im Kelberger Land vereinbaren. Das gleiche gilt für die Pollenanalysen im Mosbrucher Weiher.

Anmerkungen:

1. MRUB II, 471, molendinum in Derbach.

2. Chronik Lirstal, 19.

3. LHAK 1C, 1208 (Balduineen IV, 1724); Iwanski 10f, 61ff.

4. Zu Guldenwährung, s. 100 Jahre Eifelverein, Ortsgruppe Kelberg, 1988, 108f.

5. 5. Mos. 23, 19.

6. 5. Mos. 23, 20.

7. Lamprecht III, 172.

8. Iwanski, 62.

9. Musche. Virneburg besaß in Müsch a. d. Ahr eine Vogtei.

10. Als um 1200 der Bann Retterath z. B. noch zum Besitz des Trierer Erzbischofs gehörte, galt dort das Andernacher Maltermaß. Als dieser Bezirkdann zwischen 1220 -1270 zur Grafschaft Virneburg kam, wurde das Mayener Maltermaß eingeführt. Das bedeutete für die Bauern eine verdeckte Steuererhöhung, denn das Mayener Maltermaß hatte bei gleicher Summer-Zahl ein größeres Volumen als das Andernacher Maltermaß. Es hatte an Volumen:

1. das Andernacher Malter = 167,17 Liter;

2. das Mayener Malter = 195,31 Liter.

Beide Malter enthielten acht Summer. Aber beim Andernacher Malter wurden alle Getreidesorten gestrichen gemessen, während beim Mayener Malter-Maß Hafer und Spelz gehäuft gemessen wurde. Siehe Sagen Geschichte Brauchtum, 163 und JB-Daun 1985,204.

11. S. 100 Jahre Eifelverein, 104.

12. Arrebare.

13. S. Chronik Nitz, 37.

14. S. 100 Jahre Eifelverein, 104.

15. Wamentrade.

16. Vrilingen.

17. Natzheim.

18. Botz.

19. Luxheim.

20. Hof Leppelzal, s. STAW a. a. O.

21. Arrebach.

22. Riechroide.

23. Unbekannt (vielleicht Kochenberg, Kachburg, Kachenberg?).

24. Ursfelt.

25. Mannenbach.

26. Ab hier wird bis Virneburg Futterhafer aufgelistet.

Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur:

Chronik Lirstal

= Alois Mayer/Erich Mertes, Lirstal Kreis Daun, Daun 1984.

Chronik Nitz

= Wilfried Manheller/Erich Mertes, Nitz, Chronikeines geteilten Dorfes, Nitz 1 987.

100 Jahre Eifelverein

= R. Luxem/E. Mertes/W. Schwind/K. J. Tonner, 100 Jahre Eifelverein, Ortsgruppe Kelberg, Andernach 1988.

Iwanski

= Wilhelm Iwanski, Geschichte der Grafen von Virneburg, Diss. 1912.

JB-Daun

= Heimatjahrbuch Kreis Daun, Lfd. Jahrgänge.

Lamprecht III

= Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, Bd. III, Quellensammlung, Leipzig 1885.

LHAK

= Landeshauptarchiv Koblenz.

MRUB II

= Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien, Bd. II, bearbeitet von H. Beyer, L. Eltester und A. Goerz, Koblenz 1865.

Sagen Geschichte Brauchtum

= Alois Mayer/Erich Mertes, Sagen Geschichte Brauchtum aus der Verbands-qsmeinde Kelberg, Daun 1986.

STAW

= Staatsarchiv Wertheim.

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